Nierenfunktion über die Haut messen
01.02.2011 -
Die Nierenfunktion läßt sich mittels einer neuartigen Messmethode ermitteln, die unter der Federführung eines Forschers der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) entwickelt wurden. Vorstellen lässt sich dieses Verfahren wie ein auf die Haut aufgeklebtes Pflaster, das die Konzentration eines zuvor injizierten Diagnostikums bestimmen kann und an einen Computer weiterleitet. Aus diesen Daten lässt sich dann die Organfunktion ableiten.
Im Rahmen des EU-geförderten Projekts PLACE-it haben sich die Forscher zunächst mit der Funktion der Niere beschäftigt - ein Thema von großer Bedeutung in Anbetracht der ständig steigenden Zahl an Diabetikern in den westlichen Industrieländern. Bei einer Diabetes-Erkrankung werden die Nieren besonders häufig in Mitleidenschaft gezogen, die regelmäßige Überprüfung ihrer Funktion ist daher sehr wichtig.
Die Funktion eines ausscheidenden Organs zu überprüfen, folgt in der Medizin stark vereinfacht diesem Prinzip: Eine Substanz wird in den Blutkreislauf injiziert, anschließende Blutentnahmen liefern dann Informationen darüber, wie viel dieser Substanz ausgeschieden oder in andere Substanzen umgewandelt wurde. Ein Nachteil liegt darin, dass besonders aussagekräftige Ergebnisse dicht aufeinanderfolgende Messergebnisse erfordern; Patient und Personal werden durch entsprechend häufige Blutentnahmen belastet.
Hier setzt die Neuentwicklung an. Auch sie basiert darauf, dass ein Organ - hier die Niere - die Aufgabe wahrnimmt, eine Substanz aus dem Körper zu eliminieren; gelingt ihr dies in einem erwarteten Zeitraum, so spricht dies für ein voll funktionsfähiges Organ. Um dies zu messen, wird zunächst ein gesundheitlich völlig unbedenklicher Marker einmalig injiziert: Fruchtzuckerketten, die mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert sind und die sich daraufhin im ganzen Körper verteilen.
Das auf die Haut aufgebrachte „intelligente" Pflaster sendet nun über eine Leuchtdiode (LEDs, light emitting diode) in regelmäßigen, kurzen Abständen ein blaues Lichtsignal. Die ebenfalls optische Rückmeldung aus dem Körpergewebe in Form von grünem Licht mit einer niedrigeren Wellenlänge wird von einer Fotodiode empfangen und mit einem in die Elektronik des Pflasters eingebauten Sender an einen PC übertragen. Je stärker die Rückmeldung, desto mehr Kontrollsubstanz ist noch vorhanden - oder anders herum: desto weniger konnte das Organ bis zum Messzeitpunkt eliminieren. Denn mit jedem Molekül, das über die Nieren ausgeschieden wird, sinkt die Konzentration im Gewebe, das grüne Lichtsignal wird schwächer.
Ergebnis ist schließlich eine detaillierte Verlaufsgrafik, die aber ohne invasive Messmethoden zustande gekommen ist, sondern die auf der „lichttechnischen" Kommunikation zwischen der Leiterplatte im Pflaster und dem Marker im Körpergewebe beruht. Das innovative Verfahren hat sich in ersten Untersuchungen sowohl bei gesunden Organen als auch bei eingeschränkter Organfunktion als valide erwiesen, liefert also zutreffende Ergebnisse. Auch kurzzeitige Änderungen, etwa ein rasches Anfluten der Kontrollsubstanz, zeichnet es zuverlässig auf.
An dem Projekt sind Ärzte und Naturwissenschaftler aus mehreren Forschungseinrichtungen der Metropolregion Rhein-Neckar beteiligt. Federführend ist das Institut für Medizintechnologie (IMT), eine Einrichtung der Universität Heidelberg und der Hochschule Mannheim. Geleitet werden die Arbeiten von Prof. Dr. Norbert Gretz, Direktor des Zentrums für Medizinische Forschung an der Universitätsmedizin Mannheim.
Eine besondere Bedeutung bekommt das „schlaue Pflaster" durch die Perspektiven, die es der Medizin und der Wissenschaft eröffnet: Es handelt sich um das, was Forscher gerne als eine Plattformtechnologie bezeichnen. Also um eine Technologie, die sich unkompliziert von einem auf den anderen Anwendungsbereich übertragen lässt - was für ein bestimmtes Organ funktioniert, sollte ähnlich auch für andere Organe funktionieren. Denn entscheidend für die Anwendung ist die Messmethode als solche, Veränderungen betreffen lediglich die organspezifische Testsubstanz - und eine solche ist meist ohnehin bekannt oder lässt sich leicht ermitteln.
Im Bereich der Medizintechnologie spielen sich Fortschritte auf dem sehr spannenden Feld der organischen Elektronik ab. In die Zukunft gerichtet denken die Forscher beispielsweise an „smart textiles", also an kluge Kleidungsstücke, die über eingenähte oder gedruckte Sensoren Messwerte der Körperfunktion vermelden. Der zukunftsweisende Charakter dieser Technologie ist es auch, der dem Gesamtprojekt PLACE-it eine nachhaltige Unterstützung sichert: Europäische Union, Bundesbildungsministerium, Landesstiftung Baden-Württemberg und namhafte Unternehmen aus der Region - zum Beispiel Freudenberg - fördern die Arbeit der Mannheimer Wissenschaftler.