Eine Behandlungsform zwischen ambulant und stationär
23.08.2023 - Manche Menschen sind so schwer psychisch krank, dass sie stationär aufgenommen werden müssen. Andere benötigen lediglich eine ambulante Versorgung. Doch was ist mit jenen zwischendrin?
Bisher war es am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg so, dass tagklinische Patient*innen weitgehend stationsübergreifend behandelt wurden. Seit gut vier Monaten gibt es für sie eine zentrale Anlaufstelle: die Tagklinik im Haus 53. Sie ist die erste ihrer Art in der mehr als 100-jährigen Geschichte der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Und sie ist gleich von Anfang an sehr gut angenommen worden.
Los geht es in der Tagklinik werktags um 8 Uhr. Von Montag bis Donnerstag ist sie dann bis 16 Uhr in Betrieb, am Freitag bis 14.30 Uhr. Aufgenommen werden Menschen mit psychischen Erkrankungen, die in der Lage sind, selbstständig zur Klinik und nach Hause zu kommen. Bei ihnen soll eine ausreichende Motivation vorhanden sein, das Angebot und die Therapien der Einrichtung zu nutzen. Außerdem sollten Wohnung und Klinik nicht zu weit auseinander liegen, sprich die Tagklinik sollte verkehrstechnisch erreichbar sein.
Für diese Menschen stehen seit 1. Mai 2023 zehn Plätze zur Verfügung. „Bisher haben wir Räume für eine eigene tagesklinische Patientenversorgung nicht gehabt“, sagt Pflegedirektor Georg Baur. Weil im Gesundheitswesen der Trend hin zu mehr Ambulantisierung und teilstationären Versorgung geht, erteilte der Vorstand der Bezirkskliniken Schwaben den Auftrag an alle Standorte, sich strategisch neu aufzustellen und alternative Wege zu beschreiten. Das betraf auch das BKH Günzburg.
In der Pandemiezeit ist eine kleine tagklinische Einheit, angegliedert an Station 42, innerhalb weniger Wochen auf die Füße gestellt worden. „Wir hatten vier Plätze und mussten unter erschwerten Bedingungen arbeiten: extra Therapien, keine Mischung mit stationären Patienten usw.“, berichtet Miriam Ott, die für die Einheit oberärztlich zuständig war. Zuletzt nahmen die Tagklinik-Patienten regelhaft an den angebotenen Therapien auf Station teil. Das Angebot wurde laut Ott gut angenommen und es bestand zum Zeitpunkt der Eröffnung der Tagklinik als stationsunabhängiges Angebot eine Warteliste.
Anfang des Jahres wurde im Haus 53 eine offene Suchtkrankenstation (53/3) aufgelöst. Die Patienten wurden auf die anderen 13 Stationen verteilt. Stattdessen etablierte man dort eine Tagklinik. „Wir sind quasi von 0 auf 100 gestartet. Es ging ganz schnell“, berichtet Pflegedirektor Baur.
Behandelt werden hier Menschen mit psychischen Erkrankungen ab 18 Jahren. „Häufig leiden die Patienten unter Depressionen, aber auch unter Essstörungen, Borderline-Erkrankungen, bipolaren oder Traumastörungen“, so Stationspsychologin Lydia Rundel. Die Klienten stammen aus den Landkreisen Günzburg, Neu-Ulm, Dillingen und Augsburg. „Sie kommen aus einem Umkreis von maximal 50 Kilometern entweder selbstständig mit dem Auto, mit dem Zug oder sie werden gefahren“, berichten die Mitarbeitenden. Zuweisende sind niedergelassene Ärzte wie Hausarzt oder Psychiater. Die Menschen kommen auch über die Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) am BKH hierher oder werden hausintern von einer Station verlegt.
Die Patient*innen melden sich häufig zur tagklinischen Behandlung, weil sie zum Beispiel Kinder oder ein Tier zu Hause zu versorgen haben. „In diesen Fällen können psychisch Erkrankte nicht so einfach stationär bleiben“, sagt Heike Häfele, die Pflegeleiterin der Tagklinik und der PIA.
In der Tagklinik erwartet die Hilfesuchenden ein Team aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen und Komplementärtherapeuten (aus der Ergo-, Kunst-, Musik, Sport- und Bewegungstherapie). „Unser Ziel ist es, psychisch erkrankte Menschen tagklinisch an Werktagen zu begleiten, damit sie ausreichend Stabilität, Sicherheit und Selbstständigkeit erreichen, um den Alltag zuhause allein bewerkstelligen zu können“, ist in einem Flyer zu lesen. „Die Menschen können ausprobieren, ob der Transfer in den Alltag gelingt. Bei uns ist immer jemand für sie da“, sagt Heike Häfele.
Wie Oberärztin Miriam Ott ausführt, wird mit jeder Patientin/mit jedem Patienten bei Behandlungsbeginn abhängig von Diagnostik und Indikation ein individueller Wochenplan erstellt. „Es gibt festgelegte Termine wie einen Wochentherapieplan, Mahlzeiten sowie die Morgen- und Abschlussrunde, dazu Einzel- und Gruppengespräche. Wöchentlich finden Visiten statt, um den Behandlungsprozess zu überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen anzupassen“, erläutert Ott. Zusätzlich zur Belastungserprobung werden individuell Jobcoaching, EDV-Training und die Teilnahme an einer Holzwerkgruppe angeboten. Für die Oberärztin sind Tagkliniken in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsstruktur unverzichtbar: Viele Krankheitsbilder könnten tagesklinisch behandelt werden, sagt sie.
Warum dann nur zehn Plätze für das gesamte BKH Günzburg? „Über mehr Räume verfügen wir aktuell nicht. Aber im Neubau sollen 20 tagklinische Plätze entstehen – also das Doppelte im Vergleich zu jetzt“, betont Pflegedirektor Baur. Der Bedarf ist offensichtlich groß: Schon kurz nach dem Start bildete sich eine längere Warteliste. „Aktuell warten 17 Patientinnen und Patienten auf einen Platz. Bis einer frei ist, dauert es etwa acht Wochen“, so Christine Schimana, Krankenschwester in der PIA/Tagklinik. Wie lange die Klienten die Tagklinik besuchen dürfen/sollen, dazu gibt es keine Vorgaben. „Sie sind aufgefordert, mindestens sechs Stunden am Tag anwesend zu sein. Ziel ist es, eine Tagesstruktur zu bekommen“, so Therapieleiterin Ina Eger. Die Behandlungsdauer beträgt im Durchschnitt sechs bis acht Wochen. „Wir hatten auch schon jemand, den nach nur ein- bis eineinhalb Wochen wieder stabil war“, ergänzt Christina Schimana.
Die ersten Monate sind aus Sicht des Tagklinik-Teams recht erfolgreich verlaufen. „Wir haben zahlreiche positive Rückmeldungen von den Patientinnen und Patienten erhalten“, stellt Pflegeleiterin Häfele erfreut fest.
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