Aus den Kliniken

Neuartiger Ansatz verspricht bedeutenden Fortschritt bei der Behandlung autoimmuner Gehirn-Entzündungen

03.11.2023 - Forschende des DZNE und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben einen Ansatz entwickelt, um die häufigste autoimmune Gehirn-Entzündung präziser als bisher zu behandeln

Sie programmieren dafür weiße Blutkörperchen so um, dass sie krankmachende Zellen im Körper ausschalten. Das Verfahren hat sich in Laborstudien bewährt, klinische Studien am Menschen sind bereits in der Planung.

Bei einer autoimmunen Gehirn-Entzündung richtet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper. Die sogenannte NMDA-Rezeptor-Enzephalitis ist die häufigste Form dieser Gehirn-Erkrankungen, bei der Antikörper plötzlich das Gehirn angreifen. „Uns ist es in präklinischen Tests gelungen, zielgerichtet die Zellen auszuschalten, in denen diese fehlgeleiteten Antikörper gebildet werden“, sagt Professor Harald Prüß, der am Berliner Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) sowie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin forscht. Mit seinem Team nutzte er dafür sogenannte CAAR-T-Zellen: Diese „chimären Autoantikörper-Rezeptor-T-Zellen“ sollen Patientinnen und Patienten injiziert werden und mit hoher Präzision jene Zellen abtöten, die die problematischen Antikörper herstellen. Im Mausmodell hat dieses neuartige Verfahren bereits seine Wirksamkeit bewiesen. Ihre Ergebnisse publizieren Prüß und Kolleginnen und Kollegen jetzt in der renommierten Wissenschaftszeitschrift CELL.

Neues Behandlungsverfahren

In Deutschland erkranken nach Schätzungen jedes Jahr rund 200 bis 300 Menschen an einer NMDA-Rezeptor-Enzephalitis – mit schwerwiegenden Symptomen: Sie erleiden Gedächtnisstörungen, es kann zu epileptischen Anfällen, Bewusstseinsstörungen und Psychosen kommen. In schweren Fällen kann sogar eine Behandlung auf der Intensivstation erforderlich sein. Das neue Verfahren wäre eine enorme Verbesserung gegenüber der aktuellen Therapie. Prüß: „Anstatt wie bisher das gesamte Immunsystem zu unterdrücken und neben den fehlgeleiteten Antikörpern auch die mehr als 99 Prozent der anderen, gut funktionierenden Antikörper auszuschalten, haben wir uns auf die Suche nach einem zielgenauen Ansatz gemacht.“ Das ist jetzt gelungen. „Man kann es sich vorstellen wie bei einem chirurgischen Eingriff, bei dem das Skalpell nur das rausschneidet, was schädlich ist, und das gesunde Gewebe nicht angerührt wird.“

Die Krankheit, gegen die sich die Therapie richtet, ist tückisch: Das eigene Immunsystem wird dabei zum Feind, der den Körper angreift, statt ihn zu schützen. Antikörper, die gezielt Viren oder Bakterien ausschalten, sind bei allen Menschen in großer Menge im Blut vorhanden. Richten sich einige von ihnen gegen körpereigenes Gewebe und überwinden die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, dann können sie das Gehirn angreifen. Bekannt ist mittlerweile, dass es eine ganze Reihe solcher autoimmunen Enzephalopathien gibt, die jeweils von anderen Antikörpern ausgelöst werden.

Umprogrammierte Zellen

Für ihre neue, zielgerichtete Therapie mussten die Forschenden ein aufwendiges Verfahren entwickeln: „Wir nutzen menschliche T-Zellen, die wir aus dem Blut von Patienten gewinnen können, und setzen im Labor eine Art Kupplungsmolekül auf sie drauf“, erläutert Dr. Momsen Reincke, einer der Erstautoren der Studie, der ebenfalls am DZNE und der Charité forscht. Diese genetische Umprogrammierung macht aus den T-Zellen – es handelt sich um eine spezielle Sorte weißer Blutkörperchen – sogenannte CAAR-T-Zellen. Sie werden danach wieder zurück in den Körper transferiert. Die CAAR-T-Zellen attackieren nun gezielt jene Körperzellen, die die fehlgeleiteten Antikörper produzieren. „Die Oberfläche dieser Zellen ist so beschaffen, dass die CAAR-T-Zellen zielgenau an sie andocken und sie abtöten.“ Solche Zellen aber, die andere Antikörper produzieren und deshalb über eine andere Oberfläche verfügen, werden nicht angegriffen.

Der Begriff „Chimäre“, der hinter der Abkürzung CAAR steht, bezeichnet das Prinzip, ein Molekül aus unterschiedlichen Komponenten künstlich aufzubauen. Eine Behandlung, die nach ähnlichem Muster vorgeht, gibt es bereits in der Krebstherapie. Die Berliner Forschenden sind die ersten, die dieses Konzept erfolgreich auf eine Autoimmunerkrankung des Gehirns angewendet haben.

Aussichten auf Heilung?

In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die neue Therapie in einer klinischen Studie am Menschen testen. In ein bis zwei Jahren, so die derzeitige Schätzung, könnte es damit losgehen. „Zu Anfang werden wir von jedem einzelnen Betroffenen eine Blutprobe nehmen, um daraus individuell die T-Zellen zu gewinnen“, sagt Harald Prüß. „Angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich der Zelltherapien könnte man in einem nächsten Schritt aber vermutlich auch auf Zellen zurückgreifen, mit denen die Behandlung nicht mehr patientenspezifisch erfolgen muss. Das wäre weitaus weniger aufwändig.“ Die Hoffnung der DZNE-Forschenden: Eine einmalige Gabe der umprogrammierten Zellen könnte diese autoimmune Enzephalitis endgültig heilen – denn die einmal abgetöteten Zellen, die die problematischen Antikörper produzieren, bilden sich nach derzeitigem Wissensstand oft nicht mehr nach. Und zugleich könnte die Methode so angepasst werden, dass sie auch bei anderen autoimmunen Enzephalopathien wirkt und nicht mehr nur bei der NMDA-Rezeptor-Enzephalitis.

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