Versorgungs-Engpass in der Geriatrie - DGIM fordert mehr Altersmediziner in Kliniken
03.08.2017 -
Hierzulande leben derzeit 17 Mio. Menschen über 65 Jahre. Im Jahr 2030 werden es 22 Mio. sein – also ein Viertel der Bevölkerung.
Die medizinische Versorgung dieser Patienten setzt Erfahrung und Spezialkenntnisse voraus, die bei der Versorgung Jüngerer nicht zum Tragen kommen: bei Betagten gilt es, nicht nur die oft zahlreichen Begleiterkrankungen im Blick zu haben. Therapieziel sollte auch sein, Selbstständigkeit und Lebensqualität der oft gebrechlichen Betroffenen bestmöglich zu erhalten.
Versorgungsstrukturen mit gut ausgebildeten Altersmedizinern und multiprofessionellen Teams aus Internisten, Unfallchirurgen, Neurologen, Sportmedizinern sowie Rehabilitationsangeboten seien jedoch bislang unterrepräsentiert, sagt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Die Fachgesellschaft fordert deshalb, die geriatrische Kompetenz deutscher Krankenhäuser auf einen Stand zu bringen, der dem demografischen Wandel Rechnung trägt.
„Ältere Patienten unterscheiden sich in vielen Punkten von den jüngeren“, sagt Prof. Dr. Cornel C. Sieber, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg und neuer Vorsitzender der DGIM. „Sie sind viel gebrechlicher und haben oft nur geringe körperliche Reserven.“ Viele seiner Patienten leiden bereits an mehreren chronischen Erkrankungen. Ein weiteres Ereignis – wie etwa ein Unfall oder auch nur ein Krankenhausaufenthalt – könnte ihr bisher gerade noch funktionierendes Gleichgewicht nachhaltig aus dem Lot bringen.
„Wir Geriater betrachten die Krankheiten deshalb in ihrem Zusammenspiel“, sagt Prof. Sieber, der auch Leiter des Instituts für Biomedizin des Alterns in Nürnberg ist. „Zudem benötigen wir besondere Kenntnisse über die Wechselwirkungen von Arzneimitteln. Schließlich nehmen viele Patienten fünf oder mehr Medikamente ein.“ Auch Mangelernährung sei ein typisches Alterssyndrom, das in die Behandlung einbezogen werden müsse.
Zudem kommen teilweise andere Therapieoptionen als bei jüngeren Patienten zum Einsatz: „Als Geriater muss ich die Behandlung so auswählen, dass dem Patienten in seinem noch verbleibenden Leben möglichst viel Lebensqualität und Funktion erhalten bleibt,“ sagt der DGIM Vorsitzende Prof. Sieber. Dies könne bedeuten, gegebenenfalls auch Medikamente einzusetzen, die bei langjährigem Gebrauch Nebenwirkungen haben können, wie etwa bestimmte Wirkstoffe gegen die Osteoporose: von ihnen könnten Patienten klar kurz- bis mittelfristig profitieren. „Denn die Spätkomplikationen kommen bei unseren hochbetagten Patienten kaum mehr zum Tragen.“ Die Einnahme von Medikamenten, die einen langfristigen Nutzen, aktuell aber Nebenwirkungen haben können, sollte hingegen überdacht werden – so könne die Gabe von Betablockern nach Herzinfarkt Schwindel und Sturzgefahr begünstigen und dadurch zu Stürzen führen“, so der Geriater weiter.
Auch bei der diagnostischen Abklärung von Beschwerden gelte es, kritisch zu hinterfragen, welche Konsequenzen die Befunde nach sich ziehen, so Sieber. Sei ein Patient etwa nicht mehr operationsfähig, benötige er unter Umständen auch keine aufwendige und strapaziöse Diagnostik.
Die fachgerechte geriatrische Versorgung steht in Deutschland noch am Anfang: Bisher ist sie als Schwerpunkt in der Inneren Medizin nur in drei Bundesländern (Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt) anerkannt. Zwar richten immer mehr Universitäten einen Lehrstuhl für Geriatrie ein: Der Bedarf werde dadurch jedoch nicht gedeckt. „Geriatrische Kompetenz muss zwingender Bestandteil in Aus- und Weiterbildung werden und die nötigen Strukturen auf allen Versorgungsebenen – in Praxis, Klinik und der Rehabilitation – sichergestellt sein“, betont auch der Generalsekretär der DGIM, Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich R. Fölsch aus Kiel. Mit dem Geriater Prof. Sieber als aktuellem Vorsitzenden der DGIM wolle die Fachgesellschaft ein Zeichen setzen: „Der demografische Wandel ist in aller Munde. In der medizinischen Versorgung ist er aber bisher nur in Teilen angekommen“, so Prof. Fölsch.
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