Prädiktive, personalisierte Medizin
Chancen für morgen
Zahlreiche Methoden, die krankheitsrelevante Veranlagungen im menschlichen Erbgut frühzeitig nachweisen können, sind bereits entwickelt worden und Bestandteil der ärztlichen Versorgung. Experten dieses Bereichs sehen die Chance, weitere vorbeugende Diagnosemöglichkeiten künftig auch einer breiten Bevölkerung für zahlreiche Erkrankungen zur Verfügung zu stellen. Mitte November trafen sich führende Fachleute dieser Disziplin aus weltweit 30 Ländern in Brüssel, um sich im Rahmen des 2. EPMA-Workshops (13. bis 14. November - Meeting der „European Association for Predictive, Preventive & Personalised Medicine") über die Entwicklung der prädiktiven Medizin auszutauschen und den Weg für eine umfangreichere tägliche Anwendung zu ebnen.
Die aktuellen Ergebnisse und Vorhaben erläutert Frau Prof. Olga Golubnitschaja, die die Europäische Assoziation für prädiktive, präventive und personalisierte Medizin als Generalsekretärin vertritt und am Universitätsklinikum Bonn die Abteilung „Molekulare/Experimentelle Radiologie, Vorsorgeuntersuchung, Prädiktive Medizin" leitet. Dipl.-Biologin Beate Rühlemann sprach mit Prof. Olga Golubnitschaja.
M&K: Inzwischen gibt es eine ganze Reihe prädiktiver Untersuchungsmöglichkeiten. In welchem Bereich sind Sie tätig und welche Vorteile bietet die prädiktive Medizin aus Ihrer Sicht?
Prof. Olga Golubnitschaja: Wissenschaftlich gesehen bin ich auf dem Gebiet der post-genetischen prädiktiven Untersuchungen tätig, d.h. pathologiespezifische Expressionsmuster, subzelluläre Imagingmethoden et cetera. Wichtig ist, dass meine Abteilung an der prädiktiven Diagnostik mehrerer Krankheitsbilder arbeitet. Dadurch ist es uns möglich, diagnostische Ansätze zu entwickeln, die lebensnah sind.
Es passiert selten, dass sonst gesunde Menschen nur eine Krankheit entwickeln. Ein Beispiel dazu: Viele Gruppen versuchen, die Biomarker für die Prädiktivdiagnostik eines Brustkrebses an den gezüchteten Zelllinien beziehungsweise genmodifizierten Tiermodellen zu entwickeln. Diese Modelle sind jedoch weit weg von der Vielfalt der Brustkrebskranken, die jung oder alt, prä- oder postmenopausal, ohne oder mit Begleiterkrankungen (wie Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen) sind. Obwohl solche Forschungsansätze in Deutschland und weltweit Milliarden von Euro kosten, sind in der Regel die dadurch entwickelten Biomarker für eine praktische Anwendung nutzlos.
Wie gehen Sie dabei genau vor?
Golubnitschaja: Unser Ansatz ist es zum einen, mit den klar definierten Patienten-Subgruppen zu arbeiten, und zum anderen, die Pathologie-spezifischen Informationen aus Blut für diagnostische Zwecke zu nutzen. Dieser Ansatz ist minimalinvasiv und bietet Riesenvorteile im Sinne der individualisierten Diagnose. Dabei werden genetische Prädisposition und resultierende individuelle Verarbeitung der Faktoren gemessen, die zu potentieller Entwicklung der Krankheit führen können wie die verschiedensten Stressfaktoren.
Wir arbeiten mit den am meisten verbreiteten Krankheitsbildern wie Brustkrebs (die häufigste Krebskrankheit unter Frauen), Diabetes mellitus Typ 2 (ca. 300 Mio. weltweit) und Glaukom (ca. 65 Mio. weltweit). Die applikationsreifen Technologien der prädiktiven Diagnostik habe ich mit Unterstützung von 60 Mitautoren aus 16 Ländern im weltweit ersten Buch über das Gesamtkonzept zusammengestellt: („Predictive Diagnostics & Personalized Treatment: Dream or Reality?", O. Golubnitschaja (ed.), „Nova Science Publishers", New York, USA, 2009.)
Wie viele Tests braucht denn die zuverlässige Risikoabschätzung von Erkrankungen?
Golubnitschaja: Die optimale Anzahl festzustellen, das ist eine komplexe Aufgabe. Dafür benötigt man ein starkes Konsortium - führende Spezialisten aus fachübergreifenden Gebieten. Gerade damit und mit weiteren Aufgaben beschäftigt sich die „European Association for Predictive, Preventive & Personalised Medicine", die ich als Generalsekretärin führe. Und im Fokus dieser Assoziation steht der Patient.
Wer nahm am 2. Empa-Workshop in Brüssel teil und welchem Zweck diente dieser?
Golubnitschaja: Es war eine multidisziplinäre Konferenz der weltweit anerkannten Experten, die nicht nur auf den medizinischen Gebieten der prädiktiven Diagnostik, der gezielten präventiven Maßnahmen und personalisierten Patientenbehandlung, sondern auch in Labormedizin, Bioinformatik, Industrie, Versicherung und Risikomanagement arbeiten. Um aus dem Slogan „Personalisierte Medizin" die Realität zu machen, muss man zuerst eine neue Kultur entwickeln, sodass die Leute aus verschiedenen Branchen einander zuhören, sich gegenseitig verstehen und miteinander kooperieren. Erst dann wird die personalisierte Medizin zur Realität. Dies bezweckt EPMA als Umbrella-Organisation.
Wie würden Sie das Ergebnis des Workshops zusammenfassen?
Golubnitschaja: In einem Satz - Die absolute Mehrheit der Europäischen Länder - und weltweit sind das außerdem derzeit Indien, Israel, Japan, Taiwan und die Türkei -, die sich zusammentun, um die wichtigste Initiative der Assoziation zu realisieren: eine Kette von Zentren zu kreieren, die zuverlässige prädiktive Diagnostik mit gezielten präventiven Maßnahmen und personalisierter Behandlung anbieten.
Was soll nun unternommen werden, um weitere Schritte in Richtung „Verstärkte Anwendung von prädiktiver Medizin" zu gehen?
Golubnitschaja: Stattliche Programme sind wichtig, die die Anwendung innovativer PPPM-Technologien unterstützen: Anstatt „Wissenschaft für Wissenschaft" soll es „Wissenschaft für Anwendung" heißen. Bisher habe ich keine wirksamen Programme dieser Art in Deutschland erlebt.
Welche Organisationen spielen hierfür eine große Rolle?
Golubnitschaja: Alle, die mit der Sache zu tun haben, inklusive organisierte Patientengruppen (beispielsweise Deutscher Diabetiker Bund) und nationale/globale Regierungsinstitutionen! Im Sinne dieser Kooperation wird im Dezember 2009 das EPMA-Projekt der Führung von UNO und WHO in Genf vorgestellt.
Gibt es auf internationaler Ebene Vorbilder?
Golubnitschaja: Die EPMA-Initiative ist für Europa neu, jedoch an einem ähnlichen Modell wird bereits von der „Personalised Medicine Coalition" in Nordamerika gearbeitet. Wir wollen im globalen Maßstab die Synergien entwickeln.
Was sollten diese Maßnahmen in Deutschland optimalerweise konkret bewirken?
Golubnitschaja: Verbesserte Lebensqualität, beispielsweise - für acht bis zehn Millionen Diabetiker, Prävention verbreiteter Erkrankungen, individuell angepasste Behandlung.
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