Medizin & Technik

Rüstungswahnsinn oder notwendiger Fortschritt?

10.11.2010 -

Eigentlich ist ein Hybrid-OP nichts anderes als ein ganz normaler Herzkatheter-Arbeitsplatz, der in der sterilen Umgebung eines Operationssaals montiert wird. Die Technologie ist als solches also nicht neu. Dennoch eröffnet der Hybrid-OP, insbesondere der Herzchirurgie, völlig neue Therapieoptionen. Kardiochirurgische Notfälle können hier im Hybrid-OP ohne jede Zeitverzögerung simultan diagnostiziert und therapiert werden, ohne dass risikoreiche Transporte vom Herzkatheter in den OP erforderlich werden.

Ein weiterer Vorteil ist, dass das OP-Team bei Komplikationen während einer minimalinvasiven Prozedur sofort auf konventionellen Betrieb „umschalten" kann.

Der Patient erhält so einen erheblichen Gewinn an Behandlungsqualität. Und, so weiß Uwe Hubrig, Produkt Manager Interventional X-Ray Philips Healthcare, durch die Zusammenarbeit von Experten aus den unterschiedlichen Fachgebieten lassen sich im Hybrid-OP nicht nur Behandlungsgrenzen, sondern auch ehemals fixierte Fachgebietsgrenzen überwinden.

M&K: Was genau versteht man unter einem Hybrid-OP?

Uwe Hubrig: Der Hybrid-OP ist meist eine Kombination aus einem kardiovaskulären OP-Saal mit entsprechendem OP-Tisch und einem vollwertigen Herzkatheterlabor. Oft ist auch gleich noch ein High-End-Ultraschall-System integriert zur transösophagealen Echokardiografie (TEE).

Welche Eingriffe werden dort typischerweise vorgenommen?

Hubrig: Das Behandlungsspektrum reicht von der Katheter gestützten Therapie verengter Aortenklappen über Mitralklappen-Clippings bis hin zur Versorgung akuter Aortenerkrankungen, die nun chirurgisch, endovaskulär oder in einer Kombination aus beiden Verfahren behandelt werden können.

Sind Hybrid-OPs nur für die Kardiologie interessant - oder auch für weitere Bereiche?

Hubrig: Interessant sind die OPs vor allem für Herzzentren, sprich für die Häuser, die Kardiologie, Radiologie und Chirurgie an einem Standort haben, und Häuser, die eine „Leuchtturm-Funktion" in ihrer Region übernehmen wollen.

Aber auch in anderen Fachbereichen, wie z.B. der Neurochirurgie, etablieren sich Hybrid-OP-Lösungen nach und nach. Hier wird auf die MRT-Bildgebung zur Verlaufskontrolle während einer Operation zugegriffen, ohne dass der Patient umgelagert werden muss.

Gibt es Limitationen durch den Gesetzgeber?

Hubrig: Während die großen Fachgesellschaften, wie European Association of Cardio-Thoratic Surgery (EACTS), European Society of Cardiology (ESC) und die European Association of Percutaneous Cardiovascular Interventions (EAPCI), diese neue Methode aktuell noch für Hochrisikopatienten limitieren, wird sich in naher Zukunft bald mit Einführung der nächsten Klappengenerationen und weiterer Verfeinerung der Methoden die Anwendung auf eine größere Anzahl Patienten ausweiten. Vielleicht wird eines Tages die Behandlung der Aortenklappenstenose in enger Kooperation zwischen Kardiologen und Kardiochirurgen alternativ zur offenen Herzoperation ebenso routinemäßig im Herzkatheterlabor durchgeführt werden wie die Behandlung der koronaren Herzerkrankung heutzutage.

Wie wird sich der Markt entwickeln?

Hubrig: Die Zahl der minimalinvasiven Eingriffsmöglichkeiten wird deutlich steigen. Wurden 2007 noch 0,3 % der Aortenklappen via Katheter eingesetzt, waren es 2009 bereits 11 %. Und auch die Neuentwicklungen bei den Klappenherstellern schreiten extrem schnell voran. Um es aber auch deutlich zu sagen, der konventionelle Aortenklappenersatz ist für viele Patienten die bevorzugte Methode, weil das neue invasive Verfahren immer noch Risiken birgt. Fachleute fordern daher, dass der Kathetereingriff nur in Zentren durchgeführt werden soll, in denen Herzchirurgen und Kardiologen eng zusammenarbeiten und gemeinsam entscheiden, welches Verfahren für den Patienten das richtige ist.

Ist das ein Trend nur für bestimmte Kliniken oder wird sich das weiter verbreiten?

Hubrig: Dieses Verfahren wird sich rasant ausbreiten, da bin ich sicher! Zunächst sind die großen Herzzentren und Uni-Kliniken an den vielfältigen Möglichkeiten eines Hybrid-OPs interessiert. Doch auch andere Häuser sehen in der Technologie viel Potential - auf der einen Seite medizinisch, auf der anderen aber auch als Wettbewerbsvorteil.

Je schneller die Medizintechnik fortschreitet, je mehr verschiedene und wieder herausnehmbare Klappen vorhanden sind, und wenn die technische Unterstützung bei Planung, Durchführung und Kontrolle noch besser wird - spätestens dann findet der Hybrid-OP seinen Weg in die große Breite.

Wie muss die Technik hierfür aussehen?

Hubrig: Optimal ist ein OP Raum mit 70-80 m2, notfalls aber auch etwas kleiner. Notwendiger Bestandteil ist ein festmontiertes Angiografiesystem, also die Durchleuchtungseinheit, die in das OP-Feld gefahren werden kann. Ferner das schon erwähnte High-End-Ultraschall-Systeme zur Live-3-D-TEE. Wichtig ist einfach die beste Bildqualität für den Kliniker!

Welchen weiteren Herausforderungen muss man sich bei der Planung stellen? Wie sieht es mit der Hygiene aus?

Hubrig: Ein zentrales Thema ist die sogenannte „Reinraum-Diskussion" - ausgehend von den Richtlinien der DIN 1946-4 aus 2008. Darin werden für Operationen mit besonders hohen Anforderungen an die Keimarmut Lüftungsanlagen mit turbulenzarmer Verdrängungsströmung (TAV) in einer Größe von 3,2 m × 3,2 m empfohlen. Hierfür benötigt man breite Deckenschienen für die Aufhängung des C-Bogens. Von der bodenmontierten C-Bogenlösung haben wir Abstand genommen, da das System bei Nichtgebrauch zu häufig im Weg ist, die Hygiene schwieriger einzuhalten ist und die Arbeit des Anästhesisten unnötig eingeschränkt wird.

Auch haben einige Anwender spezielle Wünsche in Bezug auf die Montage zusätzlicher Monitore und diverser Deckenversorgungen.

Gehen die großen Hersteller dieser Systeme den Weg, Komplettsysteme zu schaffen? Oder lassen sich Fremdprodukte integrieren, sodass auch andere Anbieter von diesem Trend betroffen wären beziehungsweise davon profitieren können?

Hubrig: Die großen Hersteller ergänzen zunächst natürlich ihre eigene Produktpalette, besonders wenn es um spezielle Software geht. Jedoch gehen die meisten Anbieter auch Partnerschaften ein. Im Bereich OP-Tische haben wir eine enge Partnerschaft mit der Firma Maquet. Hier profitieren beide Partner extrem von den Kompetenzen des anderen.
Dort, wo Komponenten integriert werden müssen (TAV, Medienbrücke etc.), nehmen wir Fremdhersteller mit ins Boot.

Müssen sich Hersteller von Medizinprodukten generell auf diesen Trend einstellen? Wen betrifft es konkret?

Hubrig: Ja, das müssen sie, und es betrifft fast alle Marktteilnehmer. Wir bei Philips haben diesen Trend sehr früh aufgegriffen und sehen uns heute als Lösungsanbieter in diesem Segment. Ein „Stück" Herzkatheter kauft heute kaum noch jemand. Die Kunden wünschen über die reine Technik hinaus eine Anbindung an Netzwerke, eine vollständige Integrierung anderer Systeme, wie z.B. Monitore, Ultraschall, OP-Tisch, IT-Struktur.

Was wünschen sich die Mediziner an Verbesserungen bei Medizinprodukten, damit sie damit die Vorteile eines Hybrid-OP nutzen können?

Hubrig: Wunsch ist ferner die Integration bzw. Überlagerung der verschiedenen Bildinformationen z.B. Röntgen, Ultraschall, MRT oder CT. Speziell hierfür haben wir den HeartNavigator entwickelt. Mit ihm ist es sogar möglich, ein individuelles, spezifisches 3-D-Modell des Patienten-Herzens auf Basis einer vorausgegangenen CT-Untersuchung anzufertigen. Anhand dieser Informationen wird die Operation virtuell geprobt. Werden diese Bildinformationen integriert in die interoperativen Live-Bilder des Herzkatheter-Systems, erhält man viele wertvolle Zusatzinformationen über die Anatomie, die Lage der Organe mit dem Ziel der Millimeter-genauen Platzierung der neuen Aortenklappe. Dieses steigert die Qualität des Eingriffs, welcher seit Mitte dieses Jahres im zentralen Aortenklappenregister berichtet wird.

Kontakt

Philips Deutschland GmbH

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22335 Hamburg

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