Reanimationsregister: Qualitätsmanagement in der Notfallmedizin
26.04.2011 -
Reanimationsregister: Qualitätsmanagement in der Notfallmedizin. Jedes Jahr erleiden in Deutschland mehr als 100.000 Menschen ein plötzliches Versagen des Herz-Kreislaufsystems, mehr als 50.000 Menschen werden aufgrund dieses Ereignisses reanimiert. Doch die Chancen, diesen plötzlichen Herzstillstand zu überleben, sind trotz intensiver Bemühungen auf allen Ebenen der rettungsdienstlichen und innerklinischen Versorgung gering. Während Morbidität und Mortalität der meisten kardiovaskulären Erkrankungen in den letzten 30 Jahren stetig gesenkt wurden, konnten die Überlebensraten nach einem plötzlichen Herzstillstand nur wenig verbessert werden. Nur bei etwa 50 % der Patienten gelingt es, einen Spontankreislauf wiederherzustellen.
Das Reanimationsregister, welches auf Initiative der DGAI für den deutschsprachigen Raum initiiert wurde, liefert fundierte Informationen über die Wirksamkeit von Reanimationsinterventionen auch außerhalb von Studien. Diese einheitlich erhobenen Daten ermöglichen die Analyse der eigenen Stärken und Schwächen. Auch ist der Vergleich zwischen verschiedenen Rettungsdienstsystemen innerhalb Deutschlands möglich.
Bereits seit 2002 wurden in einer Pilotphase die Modelle für ein Qualitätsmanagementinstrument in der Reanimatologie erarbeitet. Die Koordination des Reanimationsregisters erfolgt durch verschiedene Mitglieder des Arbeitskreises Notfallmedizin, Mitarbeiter der Kieler Universitätsklinik sowie der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Klink am Eichert in Göppingen (Chefarzt Prof. Dr. Matthias Fischer).
Die Aktivitäten der DGAI werden sowohl von Seiten der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) und des German Resuscitation Council (GRC) unterstützt und bieten somit über die Fachgesellschaft hinaus die Basis für ein bundesweites Qualitätsmanagement im Rettungsdienst.
Der Startschuss für das Register fiel im Mai 2007 nach drei Jahren der Vorbereitung. Aktuell nehmen 41 Kliniken, 57 Rettungsdienste mit ca.129 Notarztstandorten an der gemeinsamen Datenerfassung teil. Jeden Monat kommen neue hinzu.
Im Reanimationsregister werden Daten von präklinischen und innerklinischen Reanimationsmaßnahmen gesammelt und analysiert. Im Modul „Erstversorgung“ werden präklinische Logistik, Befund und Behandlung sowie der Zustand zum Abschluss der präklinischen Behandlung und nach 24 Stunden erfasst. Im Modul „Weiterversorgung“ werden die ersten 24 Stunden der innerklinischen Behandlung sowie die Befunde und Therapie der weiteren Krankenhausbehandlung bis zur Entlassung oder zum Tod des Patienten festgehalten. Das Modul „Langzeitverlauf“ schließlich erfasst die Dauer und die Qualität des Überlebens zu den Zeitpunkten Krankenhausentlassung, 30 Tage und 12 Monate nach der Reanimationsbehandlung.
Das Register dient als universelles Werkzeug des Qualitätsmanagements im Rettungsdienst. Es gibt Auskunft über den erzielten Behandlungserfolg und die zugrunde liegenden Prozesse. Demnächst wird es Auskünfte über optimale Therapie- und Behandlungsstrategie geben. Als wichtigstes Ziel aber wird es den beteiligten Einrichtungen helfen, ihre Prozesse zu analysieren und in einem zweiten Schritt ihre Ergebnisse zu verbessern.
Die Dateneingabe und Teilnahme
Die Datenerfassung für das bundesweite Register kann auf mehreren Wegen erfolgen, die letztlich alle in einer internetbasierten Datenbank zusammengeführt werden. Neben reinen Reanimationserfassungsprotokollen stehen seit mehreren Jahren Kombinationsprotokolle, bestehend aus DIVI-Notarzteinsatzprotokoll und dem Datensatz Erstversorgung, zur Verfügung. Die Stärke der WEB-Datenbank liegt jedoch in der direkten Importmöglichkeit aus bereits vorhandenen elektronischen Notarzterfassungssystemen. Unabhängig von allen Hilfsmitteln ist auch eine direkte Eingabe über ein Internetportal möglich, die für den Anwender mit zahlreichen Hilfetexten und Hinweisen erleichtert wurde.
Sowohl direkte Interneteingabe als auch Export aus eigenen Systemen erfordern eine einmalige Anmeldung des teilnehmenden Notarztsystems oder der teilnehmenden Klinik.
Erste Analysen
Am Beispiel der schwierigen Intubation beschreibt Dr. Martin Messelken, Klinik am Eichert, Göppingen, die im Rahmen von Widerbelebungsmaßnahmen analysierten Daten von 807 Patienten, die im Zeitraum 1. Januar 2004 bis 9. März 2006 an fünf Standorten behandelt wurden. 107 schwierige und 11 unmögliche Intubationen konnten hier näher untersucht werden. Es zeigt sich, dass die Unmöglichkeit den Atemweg adäquat zu sichern, die Wahrscheinlichkeit das plötzliche Herzversagen zu überleben drastisch reduziert. Zudem konnte gezeigt werden, dass die Erfahrung und Ausbildungsrichtung (Facharzt) die Kompetenz zur Sicherung der Atemwege maßgeblich beeinflusst. Diese Tatsache – als auch die Beobachtung, dass das nicht ärztlichen Rettungsdienstpersonals im Rahmen der so genannten Notkompetenz keine hinreichenden Intubationserfahrungen erlangen kann, führte zu umfassenden Schulungsmaßnahmen in Methoden zur alternativen Atemwegssicherung sowie zur Ausstattung der Rettungsfahrzeuge mit den entsprechenden Materialien.
Zur Verbesserung der Ersthelfermaßnahmen sowie Implementierung von Frühdefibrillationsprogrammen liefern Reanimationsregister ebenfalls wichtige Hintergrundinformationen.
Die Datenbank umfasste im September bereits mehr als 2.400 Einsatzfälle, die für Gesamtauswertungen und Detailanalysen zur Verfügung stehen. So kann aktuell nur noch bei ca. 23 % aller Patienten mit einem initialen Kammerflimmern gerechnet werden, welches per Defibrillator therapiert werden könnte. Das Register liefert darüber hinaus auch Aussagen zur Ersthelferquote, die mit unter 20 % auf weltweit vergleichbarem niedrigem Niveau liegt. Interessant werden bei dieser Ersthelfer-Reanimationsquote jedoch die Auswertungen der Schwankungen innerhalb des Registers von unter 5 % bis hin zu 45 %. Hier setzten Studiengruppen mit tiefer gehenden Analysen an.
In der Detail-Betrachtung von 469 Reanimationsmaßnahmen an einem der teilnehmenden Standorte wurden hierbei die Einsatzorte und somit die mögliche Verfügbarkeit von öffentlichen Defibrillatoren überprüft. Hierbei ergab sich in 292 (62 %) Fällen die häusliche Umgebung, in 22 (4,7 %) Fällen ein Altenheim, in sechs (1,3 %) Fällen eine Arztpraxis, in zehn (2,1 %) Fällen die offene Straße, in 55 (11,7 %) Fällen der öffentliche Raum, in acht (1,7 %) Fällen sonstige nicht näher definierte Einsatzorte als Ort des Kreislaufstillstandes.
Diese Daten liefern im Zusammenhang mit der in den letzten Jahren rückläufigen Zahl von Patienten, welche mit einem defibrillierbaren Rhythmus gefunden werden, die Argumente eine Zielgruppen orientierten Schulung von Angehörigen der Risikopatienten vorzunehmen und Standorte für öffentliche Defibrillatoren differenziert auszuwählen.
Benchmarking
Mit jedem eingegebenen Datensatz steht den Teilnehmern ein umfangreiches Werkzeug – online – zur Auswertung der eigenen Daten zur Verfügung. Mittels Online-Benchmarking liefert das Reanimationsregister den Teilnehmern nicht nur Detailinformationen über Prozesse, Strukturen und Ergebnisse am eigenen Standort sondern im direkten Vergleich zu den weiteren Rettungsdienstsystemen und teilnehmenden Einrichtungen Optionen für eigene Analysen und Optimierungsmaßnahmen.
Die Teilnahme am DGAI-Reanimationsregister ist freiwillig und kostenlos. Sie steht allen interessierten Rettungsdiensten und Kliniken offen. Alle an der Versorgung von Patienten mit plötzlichem Herztod beteiligten Organisationen sind eingeladen sich zu beteiligen, denn je mehr Daten gesammelt werden, desto verlässlicher und repräsentativer sind die Ergebnisse.
Voraussetzung für die Teilnahme ist lediglich eine Anmeldung bei der DGAI.
Ausblick
Mit einer im Juli gestarteten Aktion des Europäischen Resuscitation Councils (ERC) wird der Aufbau einer europaweiten Datenbank umgesetzt. Durch die Beteiligung von Experten des Deutschen Registers in der Leitung des Steering Comitees dieses europaweiten Projektes kann das bereits gesammelte Wissen gewinnbringend für alle Beteiligten am deutschen Register mit eingebracht werden.