Translationale Krebsforschung: Wissenstransfer zum Wohle des Patienten
15.03.2012 -
Das Deutsche Konsortium für translationale Krebsforschung (DKTK) nahm 2011 seine Arbeit mit dem Ziel, aktuelle Forschungsergebnisse schneller in die Versorgung krebskranker Patienten zu übertragen, auf.
Es geht auf eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Krebshilfe und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zurück. Geplant ist die Einrichtung von insgesamt acht Translationszentren unter der Trägerschaft des DKFZ und ausgewählten deutschen Universitäten.
Außerdem wird es mehrere Forschungsplattformen geben, die alle Partnerstandorte gemeinsam nutzen können. Prof. Otmar Wiestler, Vorstandsvorsitzender des DKFZ Heidelberg, erläuterte Stefanie Menzel Struktur und Aufgabenbereiche des im Juni 2011 gegründeten Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK).
M&K: Herr Prof. Wiestler, als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg leiten Sie ein Kernzentrum der Krebsforschung in Deutschland. Außerdem sind Sie auch noch Vorsitzender des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung, das im Jahr 2011 gegründet wurde. Welche Aufgaben hat dieses Konsortium?
Prof. Otmar Wiestler: Letztlich hat das Konsortium die Aufgabe, die vielen spannenden Erkenntnisse, die aus der Krebsforschung mittlerweile kommen, schneller in klinische Anwendungen zu übertragen. D.h., wir möchten kontinuierlich neue Befunde aus der Forschung nutzen, um innovative Ansätze für die Diagnose, für die Behandlung, aber auch für die Früherkennung und Prävention von Krebs zu entwickeln und zu überprüfen.
Wie schnell sind wir inzwischen mit diesem Wissenstransfer in Deutschland?
Prof. Otmar Wiestler: In Deutschland und international dauert es leider nach wie vor oft 10 bis 15 Jahre von einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis bis zur Entwicklung eines Behandlungsverfahrens, das in der Klinik dann zur Anwendung kommt. Das hat eine Reihe von Gründen: Es liegt u.a. daran, dass die Entwicklung neuer Medikamente natürlich ein vielschichtiger und auch sehr komplexer Prozess ist, der an hohe Auflagen gebunden wird.
Ein weiterer Grund ist aber, dass wir nach wie vor diesen Entwicklungsprozess zu umständlich gestalten. Es fehlen intelligente Verknüpfungen zwischen der Forschung auf der einen sowie der Entwicklung und der klinischen Anwendung auf der anderen Seite. Noch ist die Zusammenarbeit zwischen der Forschung und der klinischen Medizin nicht ausreichend. Und es gibt auch Verbesserungsbedarf in der Interaktion zwischen Forschung und Industrie, die wir natürlich als Partner brauchen, wenn es um Anwendungen geht.
Könnten Sie kurz sagen, wie die Struktur des Konsortiums ist? Es hat mehrere Standorte.
Prof. Otmar Wiestler: Das DKFZ als Kernzentrum baut gemeinsam mit universitären Partnern an acht Standorten in Deutschland sogenannte Translationszentren auf. Darunter verstehen wir Strukturen, wo die Forschung und die Krebsmedizin eng zusammenrücken und gemeinsam versuchen, neue Ideen für die Diagnostik, die Behandlung und die Prävention von Krebs umzusetzen. Diese Struktur ist auch deshalb reizvoll, weil sie langfristig vom Bundesforschungsministerium unterstützt werden kann und wir damit die Chance haben, in langen Zeitzyklen translationale Krebsforschung zu betreiben. Für ein Gebiet, das oft mehrere Jahre erfordert, um Projekte umzusetzen, ist das ein großer Vorteil.
Wo sehen Sie denn den größten Bedarf in der translationalen Forschung? Und welche Forschungsprojekte hat das Konsortium da schon im Blick?
Prof. Otmar Wiestler: Der Bedarf in der translationalen Forschung insgesamt für die kommenden Jahre besteht sicher erstens darin, neue Behandlungsansätze zu entwickeln. Das gilt vor allem für die Krebsarten, die heute noch sehr schwer therapierbar sind, wenn Sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs denken, an Lungenkrebs oder auch an bösartige Gehirntumoren.
Die zweite große Herausforderung ist die personalisierte Onkologie. Hier versuchen wir herauszufinden, welche Therapie oder welche Therapiekombination beim einzelnen Patienten mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird. Da gibt es völlig neue Ansätze auf der Diagnostikseite, aber natürlich auch auf der Seite der Therapie, wenn Sie an die neuen zielgerichteten Medikamente denken.
Eine dritte Herausforderung für die Zukunft liegt in meinen Augen darin, dass wir sehr viel stärker auf intelligente Kombinationen verschiedener Behandlungsansätze setzen müssen und nicht nur auf einzelne Verfahren oder einzelne Medikamente. Und als vierte große Aufgabe müssen wir sehr viel konsequenter Möglichkeiten der Früherkennung und Prävention ausnutzen. Denn es ist auch heute noch so, dass etwa jeder zweite Krebspatient erst auf seine Erkrankung aufmerksam wird, wenn sie bereits weit fortgeschritten ist. In fortgeschrittenen Stadien ist die Behandlungsmöglichkeit einfach a priori schlechter.
Im Rahmen von gesundheitspolitischen Diskussionen nimmt nun die Bedeutung der Versorgungsforschung immer größeren Stellenwert ein. Wie kommen denn Ihrer Meinung nach Grundlagenforschung, Epidemiologie und Versorgungsforschung zusammen?
Prof. Otmar Wiestler: Ich glaube, wir haben auf einer Reihe von Feldern Bedarf, die verschiedenen Segmente in dieser ganzen Kette enger zusammenzubringen. Das eine ist der Aspekt Risikoerfassung bei Gesunden, Früherkennung und Prävention. Da gibt es bundesweit große Anstrengungen, z.B. das Projekt, eine nationale Kohorte aufzulegen, im Rahmen derer 200.000 gesunde Menschen erfasst und über 20 Jahre begleitet werden sollen. Dies ist ein wichtiges Instrument, um neue Ansätze für Früherkennung und Prävention zu finden. Es beinhaltet einen starken Versorgungsaspekt. Wir müssen sehr viel mehr Informationen sammeln über den langfristigen Verlauf der Krebserkrankung bei einzelnen Patienten.
Zwar wissen wir viel über das Akutstadium, sind da auch sehr erfolgreich, aber verlieren viele Patienten langfristig aus den Augen. Deshalb ist es wichtig, klinische Krebsregister aufzubauen, die den langfristigen Verlauf beobachten. Auch hierbei müssen die Versorgungsforschung und die mehr basalen Forschungsgruppen sich intensiv zusammentun. Ein weiterer Punkt betrifft alle Fragen um den Komplex Krebs als chronische, langfristige Erkrankung: Was sind Folgen der Erkrankung bei Patienten, die langfristig überleben können? Was sind Folgen der Therapie? Was sind besondere Probleme, die auf Menschen zukommen, die ein langfristiges Krebsleiden haben oder die nach einem Krebsleiden geheilt werden konnten? Solche Themen wird das Konsortium intensiv verfolgen.
Wie ist jetzt der Zeitplan bis zum Ende des Jahres?
Prof. Otmar Wiestler: Das Konsortium ist im Moment gerade in der Gründungsphase. Die Partner an den acht Standorten haben ehrgeizige Forschungsprogramme formuliert, wir haben uns auch auf den Aufbau von wichtigen Technologie-Plattformen geeinigt. Ich gehe davon aus, dass das Konsortium zum Jahreswechsel startet und dann mit ersten Projekten beginnt. Wir werden mit dem Aufbau der Translationszentren beginnen und dabei auch Professuren einrichten, um einzelne Gebiete der translationalen Krebsforschung stärker zu unterfüttern.