Medizin & Technik

Professur für Notfallmedizin

17.10.2015 -

Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) hat deutschlandweit die erste Professur für Notfallmedizin an einer Uniklinik besetzt: Anfang April trat Prof. Wilhelm Behringer sein Amt an. Er leitet damit auch das Zentrum für Notfallmedizin am einzigen Thüringer Universitätsklinikum.

M&K: Prof. Behringer, welche medizinischen Erfahrungen bringen Sie nach Jena mit?

Prof. Dr. Wilhelm Behringer: Rd. 20 Jahre klinische Tätigkeit in Wien in einer der größten Notfallabteilungen Europas mit 80.000 Patienten pro Jahr, inklusive Intensiveinheit mit sieben Betten. Das Patientenspektrum in der Notfallklinik im AKH beschränkt sich auf konservative Fälle und reicht vom banalen Husten/Schnupfen/Heiserkeit bis zu Patienten im Herzstillstand und Behandlung mit Herzlungenmaschine vor Ort in der Notfallklinik. 2014 wurden z.B. ca. 250 Patienten nach Herzstillstand, ca. 800 Patienten mit Herzinfarkt und ca. 60 Patienten mit Aortenaneurysma von den Ärzten der Notfallklinik versorgt. Darüber hinaus konnte ich in Abu Dhabi als Leiter einer Notfallabteilung nach angloamerikanischem Vorbild mit rd. 100.000 Patienten pro Jahr Erfahrung in der Versorgung schwerstkranker Unfallpatienten sammeln.

Welchen Stellenwert hat die Notfallmedizin in der arabischen Welt im Vergleich zu Europa?

Prof. Dr. Wilhelm Behringer: In der arabischen Welt ist die Notfallmedizin als eigenes Sonderfach mit Facharztausbildung etabliert. Österreich und Deutschland hinken in dieser Beziehung weit hinterher. In der EU gibt es nur noch sieben Länder, in denen die Notfallmedizin kein eigenes Sonderfach oder Zusatzfach darstellt. In der arabischen Welt ist der niedergelassene Bereich eher rudimentär, und die Notfallabteilungen dienen als Anlaufstelle aller medizinischen Probleme, auch wenn die keine wirklichen Notfälle sind. Ansatzweise kann man diesen Trend der unreflektierten Notfallbesuche aber auch in österreichischen und deutschen Notfallabteilungen erkennen.

Welche Strategien fehlen in Deutschland, was könnte man aus anderen Ländern übernehmen?

Prof. Dr. Wilhelm Behringer: Das ist eine sehr weit gefasste Frage und erlaubt viele Antworten. Insgesamt gibt es in Deutschland sicherlich zu viele Krankenhäuser, die Bettendichte liegt über dem OECD-Durchschnitt. Was die Notfallmedizin betrifft, so kommen jedes Jahr mehr und mehr Patienten in die Notfallabteilungen. Ein Ausbau der ambulanten Versorgung, die weit über die bisherigen Öffnungszeiten hinausgeht, könnte ein Baustein sein, Patienten weg vom teuren Krankenhaus hin zur kostengünstigeren Hausarztversorgung zu bringen.

Deutschland zeigt im internationalen Vergleich eine relative hohe Aufnahmerate in der Notfallabteilung (50 - 60 %). Dies hat natürlich mehrere Ursachen. Eine Ursache liegt sicherlich im derzeitigen Abrechnungssystem mit der nicht kostendeckenden Vergütung ambulanter Patienten, was einen natürlichen Anreiz zur großzügigen Aufnahmen von Patienten darstellt. Ein weiterer Grund könnte das Fehlen eines Facharztes für Notfallmedizin und der in Deutschland und Österreich noch immer geringe Stellenwert der Notfallabteilungen per se sein. Noch immer versehen meist die jüngsten Kollegen aus verschiedenen Fachrichtungen für kurze Zeitperioden Dienst in der Notfallabteilung, die aufgrund fehlender klinischer Erfahrung eher zu Aufnahmen tendieren, speziell in der Nacht, wann es Fachärzte der einzelnen Fachrichtungen nur im Hintergrunddienst gibt. Idealerweise sollten die besten und erfahrensten Ärzte in der Notfallabteilung arbeiten, mit einer breiten Ausbildung auf Facharztniveau (= Facharzt für Notfallmedizin), die auch nur in der Notfallabteilung arbeiten und so durch den täglichen Umgang mit Notfallpatienten die nötige Erfahrung und Expertise im Umgang mit Notfallpatienten aller Art erhalten.

Was versprechen Sie sich von der Professur für die Notfallmedizin?

Prof. Dr. Wilhelm Behringer: Die Akademisierung der Notfallmedizin ist ein wichtiger Schritt zur Etablierung der Notfallmedizin als Sonderfach mit eigener Identität und mit strukturierten Inhalten der Aus- und Weiterbildung in der Gesamtheit der Notfallmedizin.

An welcher Stelle kann die Universitätsklinik von Ihren Erfahrungen besonders profitieren?

Prof. Dr. Wilhelm Behringer: Bedingt durch den baldigen Umzug der restlichen Innenstadtkliniken in das neue Klinikum am Stadtrand kommt es zu einer deutlichen Vermehrung der Notfallpatienten und des Aufgabenspektrums im neuen Klinikum. Dies erfordert eine umfassende Neustrukturierung der Notfallabteilung. In den letzten Jahren konnte ich einige Notfallabteilungen bei der Umstrukturierung als Berater begleiten, u.a. habe ich an der Planung der Master-Betriebsorganisation für alle Notfallabteilungen des Wiener Krankenanstaltenverbundes mitgewirkt.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Notfallmedizin in den nächsten Jahren und wie kann man sich vorbereiten?

Prof. Dr. Wilhelm Behringer: Die größten Herausforderungen sind sicherlich die jährlich steigende Zahl der Notfallpatienten und die in Deutschland noch immer fehlende strukturierte Facharztausbildung in der Gesamtheit der Notfallmedizin. Es werden nicht nur immer mehr Patienten, die Patienten werden immer älter und damit auch kränker und komplexer in der Gesamtheit. Somit bedarf es einerseits gesundheitspolitischer Entscheidungen und Bahnungen, welche die Patienten weg vom Krankenhaus hin zur ambulanten Versorgung im niedergelassenen Bereich bringen, und andererseits einer Facharztausbildung für Notfallmedizin im Sinne des Curriculum der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin, um den wahren Notfallpatienten rund um die Uhr kompetent notfallmedizinische Hilfe gewähren zu können.

Zur Person

Sein medizinisches Studium absolvierte Prof. Dr. Wilhelm Behringer an der medizinischen Fakultät der Universität Wien. Seit 2002 ist er außerordentlicher Universitätsprofessor für Notfallmedizin. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter war er bei Prof. Peter Safar, Safar Center for Resuscitation Research, University of Pittsburgh, USA, tätig. Mehrere Jahre war er Leiter des Emergency Departments. Al Ain Hospital, Abu Dhabi, in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Anschließend war Behringer an der Universitätsklinik für Notfallmedizin, Allgemeines Krankenhaus Wien, Medizinische Universität Wien, in Österreich, beschäftigt. Seit April d.J. ist er Direktor des Zentrums für Notfallmedizin am Universitätsklinikum Jena.

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