Entwicklung aktueller Wohnformen für ältere Menschen
17.09.2019 -
Vor wenigen Wochen fand ein Workshop der Open Mainded Projektentwicklung (Frankfurt am Main/ Dreieich) und Sotheby‘s International Realty (Berlin) zum Thema der Entwicklung aktueller Wohnformen für ältere Menschen in Berlin statt. Vorliegender Beitrag wurde als Eröffnungsvortrag präsentiert. Er basiert auf dem Stand neuerer Forschung des Neurourbanisms und daraus resultierender Forderungen an kleinteilige Quartiere. Derzeit werden diese stark nachgefragt.
Nachweislich ist der Zusammenhang des mentalen Status mit Beginn frühkindlicher Entwicklung der an die städtische bzw. ländliche Umgebung gebunden ist und seine Spuren bis ins hohe Alter zeigt. (Leila Haddad, et. al. Brain Structure Correlates of Urban Upbringing, an Environmental Risk Factor for Schizophrenia, Schizophrenia Bulletin, June, Oxford, 2014). Kleinteilige Wohnformen, sensorisch reiche Umgebungen und soziale Kontakte fördern nicht nur kognitive Kompetenzen, sie schützen nicht nur vor Krankheiten und erhalten geistige Kompetenzen in sämtlichen Lebensphasen, sondern sie lassen sich offensichtlich sogar in Arealen des Gehirns und in Aktivitäten der Synapsen nachweisen.
Unter diesen Voraussetzungen erfolgt die Beschreibung eines stark wachsenden Marktsegments, das sich als Trend des Altenwohnens in den letzten Jahren abzeichnet. Es kann insgesamt beobachtet werden, dass das Leben an den Rändern der Stadt und auf dem Land an Attraktivität verliert und Menschen im Alter verstärkt in historische Zentren und attraktive Quartiere der Städte streben. Dabei werden Grundwerte des Landlebens beerbt und in der Stadt gesucht.
Zurück ins Zentrum
In Berlin erleben wir es seit Jahren, dass Freunde und Bekannte, die zuvor in ihren Häusern mit Gärten in Lichterfelde, am Wannsee und im Grunewald gewohnt haben, nach Auszug ihrer Kinder ins Zentrum ziehen. Innerstädtische Lagen rund um den Kurfürstendamm sind besonders beliebt. Neben dem geänderten Raumbedarf wird nun ein Wohnumfeld bevorzugt, das zahlreiche Aktivitäten in der Gruppe ermöglicht. Neben guter medizinischer Versorgung und Fitness-Räumen werden kulturelle und gastronomische Angebote nachgefragt. Dienstleistungen wie diese sonst im Hotel angeboten werden gewünscht, die persönliche Ansprache wird besonders geschätzt.
Wahrscheinlich werden damit familiäre Strukturen assoziiert, die im Urbanen wie im Ländlichen mit Geborgenheit verbunden sind. Wie schon Kinder kleine Zimmer bevorzugen, so geht es auch älteren Menschen, sie suchen den Schutz in der Gruppe unter einem Dach und sie brauchen Möglichkeitsräume zum Spielen. (Mazda Adli, Stress and the City, München 2017). Der Trend innerhalb der Wohnformen: Es werden kleine Appartements mit guter Raumaufteilung, attraktive Gemeinschaftsräume (Kaminzimmer, Bibliothek, Sporträume) bei hoher Ausstattungsqualität mit Material (Baustoffen) aus der Region bevorzugt.
Vertraute Gemeinschaft
Was in Berlin, München und Hamburg zu beobachten ist, deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie der interdisziplinären Altersforschung, wie diese jüngst (2014) von einem Team der Frankfurter Gerontologen um Frank Oswald, Kerstin Glaßen u. a. mit der Publikation Umwelten des Alterns, vorgelegt wurde. Hier konnte der Nachweis erbracht werden, dass ältere Menschen in Bezug auf Orte des Wohnens und der Bedeutung ihrer Lieblingsplätze besonders im Alter in vertrauter Gemeinschaft leben wollen – ein bekanntes Phänomen, das aber weiter spezifiziert worden ist. So müssen Gemeinschaften über Jahre gewachsen sein und sie lassen sich nicht in kurzer Zeit ohne entsprechende Maßnahmen entwickeln. Hilfestellungen sind notwendig. Dabei gilt, je früher der Wechsel des Wohnsitzes erfolgt, desto besser kann die Eingliederung in neue Umgebungen gelingen.
Gastliche Häuser mit integrierenden Angeboten sind gefragt. Lesekreise, Singgruppen, Altensport und Gedächtnistraining haben Konjunktur. Wird der Tag gestaltet und dabei auch die Räume gewechselt und Strecken zurückgelegt, so können Kontakte leicht gepflegt werden. Angebote und das Umfeld des Wohnens werden in Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen, wenn die Integration älterer Menschen gelingen soll. Grundsätzlich muss der Wechsel des Wohnumfelds und die Veränderung der Umgebung bewältigt werden. Hilfestellungen aus der Familie und dem Freundeskreis erleichtern vieles, wenn mit dem Umzug nicht sämtliche Kontakte abreißen und gleichzeitig neue gute Bilder vor Ort entstehen können. Notwendig ist dies, da mit zunehmendem Alter auch die Aktionsradien kleiner werden und sich in den Änderungen der Mobilitätsprofile spiegeln. Bewegung wird zum kostbaren Wert.
Deutlich wurde in der Studie (Oswald et. Al.) auch, dass es Korrelationen zwischen dem Wechsel der Wohnorte und dem Zeitpunkt des Umzugs gibt. So wurde festgestellt, dass je früher ein Umzug in eine neue Region erfolgt, desto entfernter kann dieser Ort dann liegen kann.
Mobilitätsprofile
Sogar das Profil der Mobilität kann als Hinweis auf das körperliche und mentale Wohlergehen gelesen werden. So konnte die Studie von Clasen, Oswald u. a. belegen, dass von den 595 befragten Personen zwischen 70- bis 89-Jährigen die alleine oder in Paarhaushalten leben, mit zunehmenden Jahren die Bewegung zu Fuß an Bedeutung gewinnt. So legen die 70- bis 80-Jährigen aus Frankfurt am Main schon 54 % aller Wege zu Fuß zurück, bei den 80- bis 89-Jährigen sind es sogar 58 % (S. 48).
Auf dem Land und sogar in den Bergen werden nahezu sämtliche Strecken zu Fuß genommen. Je attraktiver daher urbane Strecken gestaltet sind, desto längere Strecken werden täglich bewältigt. Stadtteilverbundenheit ist nach Oswald et. al. signifikant entscheidend für das Wohlbefinden im Alter.
Gewohnte Räume bieten Sicherheit und sind die Voraussetzung für Mobilität. Sie bedingen die Teilhabe am öffentlichen Leben und mindern das Einsamkeitsrisiko. Altersgerechte Gestaltung ist gefragt. Damit verbunden sind Anforderungen an Wege und deren verkehrsrelevante Sicherungen, wie klare Verkehrszeichen, einfach zu identifizierende optische und akustische Signale sowie übersichtliche Kreuzungen und verkehrsberuhigte Zonen. Idealerweise in den Anwohnerbereichen, die den Bewohnern durch gemeinsame Spaziergänge vertraut sind.
Teilhabe am urbanen Leben
Kommunale Entwicklungen und privatwirtschaftliche Initiativen sind gefordert, Formen der Teilhabe am Leben im urbanen Quartier durch kosten- und barrierefreie Angebote zu fördern. In allen Preissegmenten sollte eine ausgewogene Mischung an Wohnraum und öffentlichen Plätzen vorgehalten werden, um Möglichkeiten des Verweilens und der Begegnung zu bieten. Doch auch jedes privatwirtschaftliche Engagement kann hier nur ein Baustein eines großen Bildes liefern. Immer ist es die öffentliche Hand, die an erster Stelle gefordert ist, das Wohlergehen ihrer Bürger im Blick zu haben. Claßen, Oswald et Al: „Was bringt die Forschung für die Praxis? Will man gutes und gemeinsames Altern in der Stadt erreichen und verbessern, muss das Quartier geschützt und lebendig gehalten, bzw. gestaltet werden. Dazu gehört die Erhaltung günstigen Wohnraums, verbesserte Mobilität und Zugänglichkeit (Barrieren beseitigen, Verkehr entschleunigen), kleinräumige Angebote der Versorgung und Anregung bzw. Erholung an zentralen Plätzen im Quartier (z. B. Dorfbrunnen) und eine Verbesserung des sozialen Austauschs in der Nachbarschaft.“
Was von Claßen, Oswald et Al. gefordert wird, läuft im Kern auf die Etablierung einer aus dem ländlichen Raum bekannten Gemeinschaft hinaus, die in kleinen Zonen in der Stadt entwickelt wird. Das Bild der Familie wird hiermit zitiert, das als bedeutender Mittelpunkt des Menschen in Gestalt des Wohnens, den Ort des Gebäudes sowie den Anteil der Gemeinschaft benennt. Städte mittlerer Größe können dies naheliegenderweise besser leisten als hochverdichtete Metropolen. Überschaubare Quartiere mit Grünflächen und Angeboten zum Verweilen sind seit Beginn der Industrialisierung und den sich damit verändernden Städte die zentrale anthropologische Forderung der Stadtplaner, die Menschen aller Altersgruppen berücksichtigt.
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