Inklusiv gestalten - Das Gästehaus der Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen
08.07.2020 -
Wie entsteht ein Raumkonzept, das gleichermaßen für Menschen mit vielen unterschiedlichen und ohne jegliche Einschränkungen förderlich und attraktiv ist? Im neuen Gästehaus der Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen wurde diese anspruchsvolle Aufgabe mit einem in jeder Hinsicht barrierefreien und atmosphärisch heiteren Entwurf aus dem Brillux Farbstudio Münster gelöst.
Menschen mit Behinderung mitten in die Gesellschaft zu holen, sie nicht auszugrenzen, sondern Grenzen überschreitende Angebote zu schaffen – das heißt Inklusion. Dieses Ziel hat sich die Gold-Kraemer-Stiftung – eine der größten Sozialstiftungen privater Initiative in Deutschland – schon vor fast fünfzig Jahren gesetzt. Das Engagement geht zurück auf das Unternehmerpaar Katharina und Paul R. Kraemer, und es begann in Frechen, vor den Toren Kölns. Hier wurde seit 1972 eine Schule für behinderte Kinder gefördert. Über die Jahrzehnte entstanden Angebote wie ein integratives Begegnungszentrum, ein Reittherapiezentrum, ein Fußball-Leistungszentrum für junge Männer mit geistiger Behinderung, ein Begegnungs-Campus und, mit den Paul-Kraemer-Häusern, Behindertenwohnstätten mit unterschiedlichen Wohnformen. Als im Jahr 2014 das neue Wohn- und Teilhabegesetz in Nordrhein-Westfalen in Kraft trat und bestimmte, dass zukünftig nur noch 24 Menschen mit geistiger Behinderung in einer Einrichtung betreut werden dürfen, gab es Handlungsbedarf im Paul-Kraemer-Haus 1 in Frechen: Das 1982 für 50 Nutzerinnen und Nutzer konzipierte Wohnheim benötigte ein neues Raum- und Nutzungskonzept für rund die Hälfte der Fläche. Die Verantwortlichen entschieden sich für ein Konzept, das das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung noch mehr fördert: Das Gebäude wurde kernsaniert und teilweise in ein Gästehaus umgewandelt, das von allen gebucht werden kann.
Alle sollen sich sicher und wohlfühlen
„Die große gestalterische Herausforderung bestand darin, die vom Gästehaus genutzten drei Etagen in jeder Hinsicht barrierefrei anzulegen“, erläutert Andrea Schäfer, die das ausgesprochen lebensbejahende und atmosphärisch dichte Farbkonzept federführend im Brillux Farbstudio Münster in enger Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Georg Weuffel aus Bergheim entwickelt hat. Im Einzelnen hieß das: Die Räumlichkeiten mussten alle Anforderungen von Rollstuhlnutzern und Gehbehinderten erfüllen. Menschen mit Seheinschränkungen sollten visuelle Barrierefreiheit vorfinden. Für Nutzer mit geistigen und kognitiven Einschränkungen waren Orientierungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Aber auch Menschen ohne jegliche Einschränkungen sollten sich in dem Gästehaus wohlfühlen und es als attraktives Hotelangebot wahrnehmen.
Den Grundstein für das selbstverständliche Miteinander und die alltägliche Begegnung legen die Struktur und Ausstattung des Gebäudes. Eingangsbereich, Aufzug und Treppenhaus erschließen sowohl das Wohnheim als auch das Gästehaus. Hier stehen insgesamt 14 barrierefreie Doppelzimmer und sechs Einzelzimmer zur Verfügung. Sechs Zimmer sind rollstuhlgerecht ausgebaut. Teilweise verfügen die Zimmer über höhenverstellbare Pflegebetten und ein Schrankbett für eine Betreuungsperson. So können Menschen mit und ohne Behinderung zusammen reisen und wohnen. Die Gäste finden im Haus außerdem zwei Seminarräume, einen Freizeitraum und einen mit den ständigen Bewohnern gemeinschaftlich genutzten Speiseraum vor.
Aus den Fluren entwickelt sich die jeweilige Farbatmosphäre
Jedes Farbkonzept braucht einen Ausgangspunkt. Farbgestalterin Andrea Schäfer verortete ihn in den drei Fluren des Gästehauses – genauer: in der jeweiligen Lounge der Flure, in der die Reproduktion eines jeweils anderen mehrfarbigen, großformatigen Kunstwerks den Ton und die Atmosphäre vorgibt. Maritimes Blau, natürliches Grün und ein an reife Früchte erinnerndes Rot wurden so zu den drei Leitfarben der drei Etagen. Die Stuhlfarben der Lounge-Möblierung nehmen diese Farbtöne wieder auf. Diese Leitfarben sind bereits vor Betreten des Etagenflurs durch die Glastür sichtbar und ein wichtiges Orientierungselement mit hoher atmosphärischer Qualität. „Im Zusammenspiel aus Kunstwerk, Sitzmöbeln und Leitfarbe entsteht ein fröhliches, lockeres und modernes Ambiente, in dem man sich sofort willkommen und gut aufgehoben fühlt“, beschreibt Andrea Schäfer den Gesamteindruck.
Der Gang durch den Gang
Die Farbgestaltung in den Fluren nimmt auch ihre funktionellen Aufgaben ernst. So findet sich die jeweilige Flurleitfarbe Blau, Rot oder Grün als schmale senkrechte Farbfläche direkt neben den Türen zu den Zimmern wieder. Dieses farbige Band betont den Eingang und macht ihn für Sehbehinderte besser auffindbar. In den Farbbändern integriert sind die großformatigen Zimmernummern und – für kognitiv eingeschränkte Menschen – demnächst noch zimmerindividuelle plakative Symbole, die jeweils der Stilwelt des Flurs entlehnt sind. Im maritim-blauen Flur wird Zimmer Nr. 15 so zum „Walfisch“-Zimmer, die 21 im roten Flur kennt man auch unter der Bezeichnung „Apfel“.
Ebenso dienen die dunkle Sockelleiste, der dunkel gebeizte Handlauf und die dunklen Türblätter der visuellen Barrierefreiheit. „Sie unterstützen die Sicherheit und Eigenständigkeit der seheingeschränkten Nutzer, weil sie sich kontrastreich vom Grundfarbton der Wände – einem anheimelnden hellen Sandton – abheben“, zeigt Andrea Schäfer auf. Der helle, warme Boden mit Holzcharakter ermöglicht es Seheingeschränkten zudem, eventuell vorhandene Hindernisse besser zu erkennen – und gibt dem Flur gleichzeitig Leichtigkeit und Weite. Außerdem wird die Stütze im Lounge-Bereich als Hindernis deutlich sichtbar und mit Eckprofilen gegen Beschädigungen durch einen Rollstuhl wesentlich resistenter gemacht.
Der Aufenthalt im Zimmer – sicher und inspirierend
Individuell und barrierefrei, klar und dabei atmosphärisch stark – diese Eigenschaften trägt das Farbkonzept auch in die Zimmer. Farbdesignerin Andrea Schäfer: „Grau und Dunkelbraun als Farbtöne für Wände und Möbel waren von vorneherein tabu. Vielmehr sollten strahlende und kräftige Farbtöne wie ein selbstbewusstes Pink, ein frühlingshaftes Grün, ein klares Blau und ein nordisches Petrol die Zimmer und ihre Nutzer mit jeweils einzigartigem, optimistischem Flair beleben.“
Die jeweilige Zimmerleitfarbe erstrahlt in der Regel auf der großen Längswand am Kopfende des Bettes und zusätzlich an der Türwand zum Flur hin. Das haucht nicht nur dem Raum mehr Farbe ein, sondern trägt auch deutlich zur Unterscheidbarkeit von Flur- und Badezimmertür bei. Dies wird auch durch die unterschiedlich farbigen Türblätter – Dunkelbraun zum Flur hin, Hellbraun für den Eingang in den Sanitärkubus – unterstrichen. Ästhetische Gestaltung verbindet sich so ganz selbstverständlich mit visuell barrierefreier Gestaltung. Sie zeigt sich an weiteren Details.
So machen die hier ebenfalls dunkelbraun abgesetzten Sockelbereiche den Raumgrundriss für Menschen mit Seheinschränkungen deutlich erfahrbar. Damit für diese Nutzergruppe das Mobiliar nicht zur Stolperfalle wird, wurde auf dunkle und damit gut sichtbare Stuhl- und Tischbeine großen Wert gelegt. Sie heben sich kontrastreich vom Boden ab. Hier wurde derselbe Belag verlegt wie im Flur – auch, um optisch farbliche Schwellen zu vermeiden – und lediglich um 90 Grad gedreht.
Eine ungewöhnliche Lichtlösung bringt das gesamte Raumdesign im wahrsten Sinne zum Leuchten: Die LED-Lichtleiste unterhalb der Decke sorgt für eine schwebende, indirekte Beleuchtung und für noch strahlendere Raumfarben.
Der Speiseraum – Appetit auf Begegnung
Zu den Mahlzeiten treffen sich Wohnheimnutzer, Gästehausbewohner und auch die Mitarbeiter der Einrichtung im Speiseraum. Er ist für 60 Personen ausgelegt und wurde – wie auch die Küche – aufwendig modernisiert.
Im Vorher-Nachher-Vergleich fällt sofort ins Auge, wie sich die farbige Kulisse des Gemeinschaftsraums verändert hat und jetzt die gewünschte anheimelnde Offenheit ausstrahlt. Aus der zuvor schweren Holzdecke ist durch eine weiße Beschichtung, unterstützt von entsprechenden Deckenlampen, ein hoher und luftiger Kopfraum entstanden. Das Weiß der Wände setzt diese Wirkung fort.
Für den Farbklang ist ein freundliches Apfelgrün zuständig. Es hebt den Bereich der Speiseausgabe markant hervor und findet sich auch in der Möblierung wieder. „Diese frische, leichte Umgebung macht Appetit auf Begegnung – und erfüllt mit der kontrastreichen Farbigkeit von Einbauten und Sockelleisten wiederum die Voraussetzungen für visuelle Barrierefreiheit“, fasst Andrea Schäfer zusammen.
Expertise, die sich nutzen lässt
Der Bedarf für Raumkonzepte, die älteren Menschen und Menschen mit Einschränkungen gerecht werden, ist enorm und wird weiter wachsen. Farbgestaltung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Brillux beschäftigt sich schon seit Jahren in Theorie und Praxis mit dieser vielschichtigen Aufgabe. In den acht Brillux-Farbstudios bundesweit wurden die Erkenntnisse, die u. a. aus der Zusammenarbeit mit Hochschulen entstanden sind, bereits auf viele Dutzend Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen angewendet. Viele interessante Detailinformationen zur Farbgestaltung für Menschen mit Einschränkungen gibt es in einem Online-Special unter: www.brillux.de/farbe-im-alter
Die Brillux Farbstudios beraten und erstellen individuelle Detailentwürfe für Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen:
www.brillux.de/farbstudios