COVID-19: Dauergefahr als Notstandslage
05.03.2021
- Souverän durch Krisen führen dank Transparenz und Vorbereitung
Die Pandemie dauert an. Sie stellt alle – Reinigungspersonal, Pflege, Ärzte, patientenferne Entscheider aus Verwaltung und Geschäftsführung – vor Herausforderungen. Erleichtern oder erschweren hierbei Compliance und Recht die Arbeit im Ausnahmezustand?
Corona: Vorbereitung war möglich
War COVID-19 wirklich unvorhersehbar? 2012 hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine „Pandemie durch Virus Modi-Sars“ als nationales Risikoszenario angenommen. Acht Jahre später kamen die ersten Wuhan-Rückkehrer infiziert nach Deutschland. Ein weiteres Jahr ist vergangen. Weiterhin berichten Kommunikations- und Krisenverantwortliche deutscher Krankenhäuser von vielen Feldern, auf denen ihre Expertise dringend gefragt ist. Nur ein Beispiel: Alle Beschäftigten müssen stets auf gleichem Wissensstand gehalten werden, obschon der sich mehrmals wöchentlich ändert.
Organisationsverantwortung
Was müssen Krankenhausträger in ihrer Organisationsverantwortung sicherstellen? An welchem juristischen Standard müssen sich Compliance-Management und Verantwortliche messen lassen? Eine generelle Absolution gibt es nicht. Das Management muss Recht umsetzen und sich rechtfertigen, wenn es Regelungen außer acht lässt. Die Pflegepersonalmindestmengenverordnung etwa ruhte zeitweise. Spenden, Geschenke etc. waren bei Pandemiebeginn – unter Nichtbeachtung bzw. Verkürzung der Regeln (Dokumentations- und Genehmigungsgrundsatz etc.) – angesichts der Nothilfe verbreitet. Doch nimmt die Annahme einer Nothilfelage mit der Dauer der Pandemie ab, da bei Nothilfe eine gegenwärtige Gefahrenlage zwingend und eine Dauergefahr nicht ausreichend ist. Anders ist es beim rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB). Dieser setzt Notstandslage, -handlung und -willen voraus, während eine Dauergefahr ausreicht. Bei der aktuellen Dauergefahr geht es v.a. um Infektionsprävention für Mitarbeiter und Patienten, Personalsicherstellung und ggfs. um Triageentscheidungen, welche Patienten intensivmedizinisch und -pflegerisch betreut werden können und welche nicht.
Risikogüterabwägung zwingend
Welche Notstandshandlung ist geeignet, erforderlich und angemessen, um der Dauergefahr in der konkreten Versorgungssituation wirksam, nachhaltig, rechtlich und ethisch zu begegnen? Geboten ist eine kontinuierliche Risiko- und Güterabwägung der Gefährdungssituation von Patienten und Mitarbeitern. Dies unter Berücksichtigung der Versorgungsrelevanz der Einrichtung und der Versorgungssituation. Beispiel: Personalinfektionen sind eine potenzielle Gefährdung für alle Betroffenen, etwa als nosokomiale Übertragungen (vgl. § 2 Nr. 8 IfSG). Die Krankenhausleitung muss aber gem. § 23 IfSG sicherstellen, dass über erforderliche Maßnahmen nosokomiale Infektionen verhütet und Erregerverbreitungen vermieden werden.
Dass der Stand der medizinischen Wissenschaft hierbei eingehalten wird, ist bedeutsam (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 2 IfSG). Dieser ist aber im ständigen Wandel. Das RKI hat deshalb ein „empfohlenes Vorgehen für das Management von Kontaktpersonen der Kategorie III“ veröffentlicht. Es nennt Kernprinzipien und organisatorische Maßnahmen, wie der gesetzlichen Vorgabe aus § 23 IfSG Rechnung zu tragen ist. Dies soll Entscheidungsträgern helfen, die Risikogüterabwägung ordnungsgemäß durchzuführen. Bei der Entscheidung über die richtige Notstandshandlung müssen die Empfehlungen der Fachgesellschaften berücksichtigt werden: z. B. zur Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im COVID-19-Kontext (DIVI, Stand 17.04.2020, S1-Leitlinie) oder zur stationären COVID-19-Therapie (DGIIN, DIVI, DGP, Stand 23.11.2020, AWMF-Register-Nr. 113/001, S2k-Leitlinie). Dieser Risikogüterabwägungsprozess muss mit Hilfe der fachlichen Verlautbarungen und Expertisen transparent geführt und dokumentiert werden. Verantwortliche müssen ihren Blick aber schon jetzt in die Zukunft richten. Was haben wir aus dieser Krise in Sachen Präventionsmanagement gelernt? Kennen wir unsere Risiken?
Krisenprävention ist möglich
Krankenhäuser und Unternehmen können sich auf Krisenszenarien vorbereiten (vgl. Dietzel, Krisenmanagement und -kommunikation, in Weimer (Hrsg.) Krankenhauskeime & Hygiene-mängel, S. 255 ff.). Doch viele Unternehmen sind nicht auf den Ernstfall eingestellt. Kennt das Management die Risiken des Betriebs? Gibt es für jedes Risiko ein Krisenszenario? Einen Aktionsplan? Ist die Krisenkommunika-tion vorab konzipiert? Wird in Übungen trainiert? Letztverantwortliche verlangen zurecht einen sinnvollen Umgang mit Risiken, der ihnen eine persönliche Vorbereitung auf den Ausnahmezustand erlaubt.
Krisenprävention ist nötig
Jeder Betrieb birgt Gefahren. Eine SARS-Welle, die winters aus Asien kommt, gehört zu den Risiken im Gesundheitssystem. Unbekannte Risiken müssen festgestellt werden. Das machen meist Mitarbeiter des Risikomanagements oder externe Spezialisten. Dann werden die Risiken systematisch bewertet, behoben oder weitestgehend reduziert. Dies geschieht durch organisatorische, strukturelle und prozessuale Optimierungen im Unternehmen. Anschließend werden die überschaubaren Restrisiken durch Krisenprävention handhabbar gemacht. Wie sieht das Krisenszenario konkret aus? Was droht, wenn sich SARS-CoV-2 auf der Gerontologie ausbreitet? Aus Szenarien werden Krisenmanagement- und Krisenkommunikationspläne. Das eine erfordert Handlungsstrategien, das andere Argumente, Botschaften und Kommunikationsstrategien.
Krisenkommunikativ vorbereitet
Verantwortlich für Krisenmanagement und -kommunikation sind meist Vorstandsvorsitzende, Krisenstäbe und Unternehmenssprecher. Wer mit internen und externen Zielgruppen in Krisen sprechen soll, muss in Trainings erleben, wie Interviews, Kreuzverhöre, emotionalisierte Betroffenengespräche etc. vonstattengehen. Wer den Druck einer Simulation erlebt, sich selbst in Aufnahmen beobachtet, Sprechweisen wiederholt und mit dem Ausbilder weiterentwickelt, fühlt sich dem Ausnahmezustand gewachsen.
Was bringt Krisenprävention?
Nach einem Präventionsprozess wissen Letztverantwortliche, welche Risiken ihre Institution hat. Hierbei helfen spezifische Analysetools wie ein Compliance Excellence Scan (vgl. Weimer (Hrsg.), Krankenhauskeime & Hygienemängel, 2020, S. 253ff.), die effizient Transparenz schaffen. Dann liegt je Risiko ein Krisenmanagementplan in der Schublade, der detailliert zeigt, was zu tun ist. Gleiches gilt für die Krisenkommunikation. Entscheider haben alle Redemanuskripte, Pressemitteilungen und Kommunikationsleitfäden für sich und die Mitarbeiter parat. Sie werden im Ernstfall nur kurz angepasst, aber nicht mehr zeitraubend verfasst und abgestimmt. Kommunikationstechnik wie Darksites, Mitarbeiter-, Presse- und Bürgertelefone sind ebenfalls rechtzeitig etabliert. Dies ist die Basis, um im Ernstfall mit vorbildlicher Geschwindigkeit sicher zu reagieren. Diese Kompetenz wird von Öffentlichkeit, Aufsichtsbehörden, Medien, Patienten und Mitarbeitern überaus respektiert und anerkannt. Sie bringt die nötige Souveränität in den Ausnahmezustand.
Autoren:
Dr. jur. Tobias Weimer, M.A., Fachanwalt für Medizinrecht, Compliance Officer (TÜV), Weimer/Bork – Kanzlei für Medizin-, Arbeits- & Strafrecht, Bochum
Christian Dietzel, M.A., Krisen- und Kommunikationsmanagement, Gloria Mundi GmbH, Frankfurt/M.