Bedeutung und Herausforderungen der frühen Sepsisdiagnose
Früher erkennen, schneller handeln
Weltweit sind jährlich mehr als 50 Millionen Menschen von einer Sepsis betroffen, wobei bis zu 11 Millionen an dieser Erkrankung sterben – mehr Menschen als durch Prostatakrebs, Brustkrebs und HIV/AIDS zusammen. Die frühzeitige Erkennung einer Sepsis ist von entscheidender Bedeutung, denn je früher die Sepsis erkannt wird, desto früher kann mit der Behandlung begonnen werden.
Dr. Elena Sukhacheva, Director of Medical and Scientific Affairs bei Beckman Coulter Diagnostics, sprach mit uns über den Status quo und die Perspektiven der Sepsisdiagnostik und warf dabei einen eingehenden Blick auf die Bedeutung der Diagnosestellung und die damit verbundenen Herausforderungen vieler Ärzte.
Warum ist es so wichtig, die Sepsis im Frühstadium zu diagnostizieren?
Die Sepsis gehört zu den tödlichsten und kostspieligsten Erkrankungen, denen Ärzte und Krankenhäuser heute begegnen. Tatsächlich zeigen die Statistiken, dass die Sepsis die dritthäufigste Todesursache in den USA ist. Die Sterblichkeitsraten der Sepsis sind extrem hoch – etwa 25 bis 30 % – wobei mehr Menschen an einer Sepsis sterben als an Prostatakrebs, Brustkrebs und HIV zusammen.
Laut den Daten des Healthcare Cost and Utilization Project kam es zwischen 2000 und 2009 sowohl zu einem Anstieg der Anzahl der Sepsisfälle als auch der sepsisbedingten Kosten. Im Jahr 2009 lag die durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthalts von Patienten mit einer Sepsis als Primärdiagnose bei fast neun Tagen, mit durchschnittlichen Gesamtkosten pro Aufenthalt von 18 500 US-Dollar.
Die frühe Erkennung der Sepsis ist insofern von entscheidender Bedeutung, da eine Verzögerung der Antibiotikatherapie nachweislich zu einer erhöhten Sterblichkeit führen kann: Die Todesrate von Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock steigt mit jeder Stunde der verzögerten Verabreichung von Antibiotika um 7,6 % an. Je früher eine Sepsis also erkannt und behandelt wird, desto besser ist das Ergebnis für den Patienten, und desto geringer sind die zu erwartenden Kosten für das Gesundheitssystem.
Welche Herausforderungen gibt es hinsichtlich einer schnellen Sepsisdiagnose?
Die größte Herausforderung einer rechtzeitigen Diagnose besteht darin, dass sich die Sepsis auf äußerst unterschiedliche Weise manifestieren kann. Sepsis kann jeden betreffen. Zum Beispiel einen jungen Patienten mit einer infolge einer Appendektomie erworbenen Infektion, bei dem eine gestörte Immunantwort zum Organversagen und Tod führt. Oder einen sich einer aggressiven Krebsbehandlung unterziehenden Patienten, dessen Immunsystem aufgrund einer Immunsuppression eine Infektion nicht bekämpfen kann. In beiden Fällen lautet die Diagnose „Sepsis“, die Symptome bei diesen beiden Patienten können jedoch sehr unterschiedlich aussehen.
Es ist zudem wichtig zu erwähnen, dass zwei Drittel der Sepsispatienten über die Notaufnahme in das Gesundheitssystem gelangen. Daher muss unbedingt sichergestellt werden, dass bei der Aufnahme effiziente Methoden zur Sepsiserkennung angewendet werden. Die Symptome sind nicht immer eindeutig, sodass viele Ärzte in der Praxis nur dann einen Sepsistest anordnen, wenn die Symptome bei den Patienten bereits deutlicher geworden und die Patienten offensichtlich septikämisch sind. Diese verzögerte Diagnose und Behandlung von Patienten mit einer nicht eindeutigen Präsentation führt häufig zu einem schlechteren Ergebnis.
Wie wird die Sepsis derzeit diagnostiziert? Was sind die Grenzen dieser Methoden?
Bevor wir über die Sepsisdiagnostik sprechen, lassen Sie uns definieren, was Sepsis ist. Im Jahr 2016 wurde eine neue Sepsisdefinition eingeführt, und heute wird die Sepsis als eine lebensbedrohliche Organfunktionsstörung definiert, die durch eine gestörte Reaktion des Wirts auf eine Infektion verursacht wird. Die sepsisbedingten Todesfälle sind nicht durch die Infektion selbst bedingt, sondern durch eine dysregulierte Immunantwort und Organfunktionsstörungen, die eine wirksame Bekämpfung der Infektion unmöglich machen.
Praktisch gesehen können Ärzte zur Diagnose einer Sepsis die SIRS-Kriterien oder den SOFA-Score (zur Bewertung des sequenziellen Organversagens) heranziehen. Außerdem werden Labortests zum
Infektionsnachweis und zur Bestätigung des Verdachts auf eine Sepsis angewendet, z. B. eine Leukozytenzählung, Messung der Procalcitonin-, CRP- (C-reaktives Protein), Interleukin-6- oder Presepsin-Spiegel oder eine Kultivierung von Körperflüssigkeiten wie Blut oder Urin zum Nachweis infektiöser Organismen. Obgleich positive Kulturen zur Diagnose einer Infektion geeignet sein können, kann keiner dieser Tests eine Sepsisdiagnose definitiv bestätigen, sodass die Ärzte sich bei der Diagnose einer Sepsis auf das Gesamtbild aller klinischen Informationen und Laborwerte verlassen müssen.
Außerdem ist zu beachten, dass nicht alle Tests routinemäßig bei allen Patienten durchgeführt, sondern oft nur dann angeordnet werden, wenn ein Arzt eine Infektion oder Sepsis vermutet. Die frühzeitige Diagnose einer Sepsis ist insofern sehr schwierig, als dass die Symptome zum Zeitpunkt der Patientenvorstellung im Krankenhaus mitunter nicht offensichtlich und eindeutig sind.
Welche neuen diagnostischen Möglichkeiten gibt es?
Beckman Coulter hat einen neuen Sepsisbiomarker, den Early Sepsis Indicator, auf den Markt gebracht. Er ist der einzige durch die FDA zugelassene hämatologische Sepsisbiomarker, der automatisch als Teil eines großen Blutbildes mit Differentialblutbild für erwachsene Notaufnahmepatienten durchgeführt werden kann. Dieser neue Sepsisbiomarker ist exklusiv für Beckman Coulters hämatologisches Analysesystem DxH 900 erhältlich. Der Parameter, die Monozyten-Verteilungsbreite (MDW), basiert auf morphologischen Veränderungen der Monozyten infolge einer Infektion. Da der Early Sepsis Indicator in die Blutbildbestimmung integriert ist, ist keine zusätzliche Blutentnahme oder eine spezielle Reihenfolge erforderlich und wird der Biomarker automatisch für alle erwachsenen Patienten analysiert.
Drei wissenschaftliche Arbeiten haben bereits die analytische Leistungsfähigkeit des Early Sepsis Indicator nachgewiesen. Die ersten Ergebnisse zur frühen Sepsisdiagnose in der Notaufnahme mithilfe der Monozyten-Verteilungsbreite wurden 2017 im Journal Chest veröffentlicht. Diese Studie zeigte, dass ein erhöhter MDW-Wert in der Lage war, eine Sepsis von anderen Erkrankungen zu unterscheiden, mit einer Fläche unter der ROC-Kurve (AUC-Wert), Sensitivität und Spezifität von 0,79, 77 % bzw. 73 %. Die Studie analysierte zudem die Leistung der Leukozytenzählung und der Kombination aus Leukozytenzählung und MDW-Analyse. Bei der Kombination aus MDW-Analyse und Leukozytenzählung lag der AUC-Wert bei 0,89 und war somit signifikant höher als der AUC-Wert für jeden einzelnen Parameter [der AUC-Wert der Leukozytenzählung betrug 0,74].
Eine weitere in Critical Care Medicine veröffentlichte Studie bestätigte die differentialdiagnostische Leistung der MDW-Analyse allein und in Kombination mit der Leukozytenzählung. Ein weiterer im Journal of Intensive Care veröffentlichter Artikel hat zudem gezeigt, dass die MDW die SIRS- und qSOFA-Parameter ergänzt und im Wesentlichen als ein fünftes SIRS-Kriterium oder viertes qSOFA-Kriterium zur besseren frühzeitigen Sepsisdiagnose in der Notaufnahme dient. Eine jüngste Veröffentlichung europäischer klinischer Studien hat gezeigt, dass die diagnostische Leistung der MDW mit anderen Sepsisbiomarkern wie dem Procalcitonin (PCT) und C-reaktiven Protein (CRP) vergleichbar ist. Die AUC-Werte [95%-Konfidenzintervall] für die Sepsis-2-Diagnose betrugen für die MDW und die MDW in Kombination mit der Leukozytenzählung 0,81 [0,78–0,84] bzw. 0,86 [0,84–0,88]. Für die Sepsis-3-Diagnose lag die Leistung der MDW bei 0,82 [0,79–0,85]. Der AUC-Wert für die Sepsis-2-Diagnose mithilfe der MDW in Kombination mit der Leukozytenzählung war ähnlich wie bei alleiniger Anwendung des CRP (0,85 [0,83–0,87]) und übertraf den AUC-Wert des PCT (0,78 [0,75–0,81]). Es ist wichtig festzuhalten, dass abnorme MDW-Werte und Leukozytenzahlen zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Notaufnahme auch in Situationen mit geringem klinischem Verdacht auf eine potenziell schwere Infektion/Sepsis hinweisen können, da der AUC-Wert in einer Untergruppe von Patienten mit niedriger Sepsis-Vortestwahrscheinlichkeit 0,90 betrug [0,84–0,95]. Die Autoren schlugen die Anwendung der MDW als einen systematischen Screening-Test in Kombination mit dem qSOFA-Score zur Verbesserung der Genauigkeit der Sepsisdiagnose in der Notaufnahme vor.
Was werden die nächsten Schritte hinsichtlich der Sepsisfrüherkennung sein?
Die Sepsis ist so komplex, dass es den idealen Sepsisbiomarker höchstwahrscheinlich nicht gibt. Der effizienteste Weg zur Früherkennung der Sepsis liegt in der Kombination mehrerer Sepsisbiomarker, dies würde jedoch eine Zusammenarbeit von Forschern und Klinikern erfordern.
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