Neue Belege für Multiple Sklerose durch Epstein-Barr-Viren
21.09.2022 - Der Zusammenhang zwischen einer Infektion mit Epstein-Barr-Viren (EBV) und der Entstehung der Multiplen Sklerose (MS) wird zunehmend sicherer.
Eine aktuelle Studie aus Münster liefert neue Erkenntnisse, wie sich das Immunsystem bei MS-Kranken hinsichtlich EBV unterscheidet. So kommt es zu einer ungewöhnlich breitgefächerten T-Zell-Reaktion bei MS-Kranken sowie einer anhaltenden Auswanderung EBV-spezifischer T-Zellen aus dem Blut - ein Hinweis darauf, dass EBV auch zum Fortbestehen der MS beitragen könnte.
Seit Jahren geht die Forschung der Hypothese nach, dass das Epstein-Barr-Virus (EBV) aus der Familie der Herpesviren kausal an der Pathogenese der Multiplen Sklerose (MS) beteiligt sein könnte. Hinweise gibt es viele, erst im Januar erschien eine vielbeachtete Studie, die Daten von 10 Mio. Angehörigen des US-Militärs retrospektiv auswertete [2]. Es zeigte sich damals, dass eine EBV-Infektion das MS-Risiko um das 32-Fache erhöhte und dass EBV nicht nur ein Risikofaktor, sondern ein Auslöser zu sein scheint (wir berichteten [3]). Wie genau das Virus die immunologischen Prozesse bei MS auslösen kann, ist noch nicht geklärt, diskutiert werden beispielsweise kreuzreaktive Antikörper als humorale Faktoren.
Eine aktuelle Studie der Universität Münster suchte nun nach Veränderungen in der EBV-spezifischen T-Zell-Immunität bei MS-Kranken im Vergleich zur zellulären EBV-Immunantwort Gesunder. Analysiert wurden 1.395 MS-Patientinnen und -Patienten, 887 Kontrollpersonen und 35 monozygote Zwillingspaare, von denen jeweils ein Zwilling an MS erkrankt war. Diskordant erkrankte, eineiige Zwillinge eignen sich sehr gut für Untersuchungen äußerer Krankheitsauslöser, da sowohl ihre Genetik als auch frühkindliche Umgebungsfaktoren praktisch identisch sind. Im Blut der Teilnehmenden wurden die auf der Oberfläche von T-Zellen befindlichen T-Zell-Rezeptoren sequenziert, genauer gesagt die Antigen-bindende Region ihrer beta-Ketten. Es zeigte sich, dass bei MS-Erkrankten mehr einzigartige EBV-spezifische TCR beta-Sequenzen, und damit T-Zellen, nachweisbar waren als bei Gesunden. Auch die erkrankten Zwillinge wiesen einen breiteren EBV-spezifischen TCR-Bestand auf als ihre ebenfalls EBV-seropositiven, jedoch gesunden Zwillingsgeschwister. „Während bei Gesunden in Blut und Liquor EBV-spezifische CD8-positive Gedächtnis-T-Zellen vom Effektor-Typ nachweisbar waren, fanden wir bei MS-Kranken außerdem im Liquor EBV-spezifische „zentrale“ Gedächtnis-T-Zellen als Hinweis auf ein anhaltendes immunologisches Priming bzw. fortbestehende aktive Immunreaktion“, erklärt der Leiter der Studie, Prof. Dr. Nicholas Schwab. Dafür sprach auch das Überwiegen von EBV Sequenzen gegen sogenannte lytische Virus-Epitope im Liquor (replizierende Viren, keine Latenzphase). Diese Liquorbefunde sprechen dafür, dass bei MS-Kranken permanent neue EBV-spezifische T-Zellen entstehen, die vom Blut ins ZNS auswandern. Eine medikamentöse Hemmung der Zellmigration führte entsprechend zum Anstieg EBV-spezifischer T-Zellen im Blut.
„MS ist also nicht nur mit einer höheren EBV-Antikörper-Seroprävalenz assoziiert, sondern auch mit einer breiteren und offensichtlich persistierenden EBV-spezifischen Immunantwort“, fasst Prof. Dr. Heinz Wiendl, Münster, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, zusammen. „Anscheinend haben wir es bei MS-Betroffenen mit einer anhaltenden oder überschießenden EBV-Infektion bzw. deren fehlerhaften immunologischen Kontrolle zu tun. In weiteren Untersuchungen wollen wir herausfinden, ob dieser auffällig breite EBV-spezifische TCR-Bestand bei MS-Erkrankten nur ein Merkmal ihrer veränderten zellulären Immunantwort darstellt oder per se die MS-Pathologie vorantreibt.“