Aus den Kliniken

Kooperation zwischen Rettungsdiensten und Altenhilfe

31.03.2023 - Bei einem Pilotprojekt in Wiesbaden konnten Krankenhauseinweisungen vermieden und Betreuung konnte zeitnah organisiert werden.

Weil immer mehr Menschen mit Unterstützungsbedarf allein leben, nehmen Fälle von häuslicher Unterversorgung, Isolation und auch Verwahrlosung zu. Auffällig wird das oft nur, weil ein Rettungsdienst gerufen oder ein Krankenhausaufenthalt notwendig wird. Der SWR hat die bedrückende Situation gerade in einem Bericht anhand von Beispielen aus Mainz beschrieben. Darin wird u. a. die Leiterin des Sozialdienstes des Marienhaus Klinikums Mainz zitiert: „Sie leben sozial isoliert, sind vereinsamt und verwahrlost, haben keine Unterstützung durch Angehörige, selbst Alltagstätigkeiten wie Einkaufen und Körperpflege schaffen sie nicht mehr allein.“ Folgen seien u. a. Mangelernährung und auch psychische Auffälligkeiten.
Gegenüber, im hessischen Wiesbaden, wurde vor diesem Hintergrund ein Pilotprojekt gestartet, das Johannes Weber, Kurator und Aufsichtsratsmitglied des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), leitete.

Bei dem Projekt „Schnittstellenmanagement bei Krankenhausaufnahme und -Entlassung“ handelt es sich um eine Kooperation zwischen Rettungsdiensten und den Beratungsstellen für selbständiges Leben im Alter des Sozialdezernats der Stadt Wiesbaden. Johannes Weber übernahm 2018 als Abteilungsleiter der Altenarbeit im Sozialdezernat die Leitung des Projektes, das vom hessischen Ministerium für Soziales und Integration gefördert wurde. Die Kooperation war im Rahmen des Gesundheitspaktes 2.0 der Hessischen Landesregierung entstanden. „Nach unserer Kenntnis gibt es diese Kooperation nur in Wiesbaden“, erklärt Johannes Weber. „Es geht in Wiesbaden deshalb, weil die Beratungsstellen für selbständiges Leben im Alter im Sozialdezernat die Meldungen der Rettungsdienste annehmen und weiterbearbeiten können. Ein solcher Dienst ist Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Kooperation.“

Denn die Rettungskräfte überprüften nicht nur den gesundheitlichen Status des Notrufenden, sondern anhand eines Meldebogens mit vorgegebenen Kategorien auch das Vorliegen möglicher sozialer Bedarfe. Je nach medizinischen Erfordernissen erfolgt die Versorgung vor Ort bzw. ein Transport in ein Krankenhaus. Die Entscheidung der zusätzlichen Einbindung des Amts für soziale Arbeit trifft das Rettungsteam vor Ort. Die Schulung der Rettungskräfte ist Inhalt der Einweisungskonzepte aller Leistungserbringer und zudem Bestandteil der Jahrespflichtfortbildung. Die Mitarbeitenden der Beratungsstellen geben dann innerhalb von fünf Werktagen nach Meldung eine Rückmeldung über die Versorgung der Person an den Rettungsdienst.

Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von Dr. Petra Schönemann-Gieck, Institut für Gerontologie Universität Heidelberg, die 2020 mit dem Theo-und-Friedl-Schoeller-Preis ausgezeichnet wurde. Für ihre Studie „Kooperation zwischen Rettungsdienst und kommunaler Altenhilfe: ein Weg zur Entlastung der Notfallversorgung?“, die sie im Februar 2023 vorlegte, wertete sie in den vier Jahren der Projektlaufzeit rund 650 Notfall-Situationen aus. In etwa der Hälfte der Fälle war eine Krankenhauseinweisung nicht notwendig. Es zeigte sich, dass die Fälle mit sozialen Hilfebedarfen kontinuierlich anstiegen. Während im ersten Jahr nach Einführung des Verfahrens monatlich etwa sechs Notfälle mit sozialen Bedarfen gemeldet wurden, waren es Mitte 2022 9,5 Fälle pro Monat. Die von den Rettungskräften mit 58,3 % aller Fälle am häufigsten gemeldeten Bedarfe bezogen sich auf eine häusliche Unterversorgung. In 56,5 % der gemeldeten Fälle mit sozialem Hilfebedarf ging es um Verwahrlosung, und in 41,4 % der Fälle sahen die Rettungskräfte Hinweise auf überforderte Angehörige bzw. eine Unterversorgung einer pflegebedürftigen Person. In knapp einem Drittel der Fälle bestand eine Unterversorgung aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung (31,6 %). In 98 % der gemeldeten Fälle wurde die Einschätzung der Rettungskräfte bestätigt und die Beratungsstellen wurden aktiv. Betroffen waren vorwiegend ältere Menschen, überwiegend Frauen. Aber auch z. B. bei einer 14-jährigen Notrufenden bestand sozialer Handlungsbedarf. Die älteste Patientin mit Hilfebedarf war 98 Jahre alt.

Dr. Schönemann-Gieck kommt zu dem Schluss: „Das Kooperationsverfahren ist ein vielversprechender Ansatz zur Entlastung des Rettungsdiensts und der Krankenhäuser.“ Die zumeist älteren Notruf-Patienten mit sozialem Betreuungsbedarf seien über die Beratungsstellen gut versorgt worden. Das Projekt habe „einen Beitrag zur Reduzierung von Krankenhauseinweisungen ohne klinisch-medizinische Indikation“ geleistet. Eine Weiterentwicklung der Notfallversorgung vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen erfordere in zukünftigen Diskussionen um vermeidbare Klinikaufenthalte eine Betrachtung über die Grenzen von Altenhilfe und Gesundheitswesen hinweg.
„Das Interesse am Verfahren ist groß und erstreckt sich auf Anfragen aus anderen Gebietskörperschaften“, so Schönemann-Gieck. Ein Transfer des Verfahrens könne jedoch nur gelingen, wenn Übernahmestrukturen im ambulanten Bereich – wie die Wiesbadener Beratungsstellen für selbständiges Leben im Alter – vor Ort verfügbar seien.

Kontakt

Kuratorium Deutsche Altershilfe

Michaelkirchstr. 17-18
10179 Berlin

+49 30 22182980
+49 30/ 2218298-66

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