Deutlich weniger Antibiotika-Verordnungen in Deutschland
01.06.2023 - Während COVID-19 haben Ärzte deutlich weniger Antibiotika verordnet, verglichen mit den Vorjahren.
Das berichten Prof. Dr. Karel Kostev, wissenschaftlicher Leiter der epidemiologischen Forschung bei IQVIA Deutschland, und Kollegen in der international renommierten Fachzeitschrift Antibiotics. Der Effekt ist stärker als zu erwarten gewesen wäre, resümiert das Wissenschaftler-Team.
Antibiotika-Resistenzen entwickeln sich seit Jahren zu einem immer größeren Problem, vor allem auf Intensivstationen, in denen viele multimorbide und auch ältere Patienten behandelt werden. Nicht nur für sie stellen multiresistente Keime eine zusätzliche, schwierige Gesundheitsproblematik dar. Behandlungen auf Station werden aufgrund von Antibiotika-Resistenzen immer schwieriger und langwieriger.
Die Risikofaktoren für Resistenzentwicklung von Krankenhauskeimen sind zahlreich. Noch am besten lässt sich durch das ärztliche Verordnungsverhalten direkt auf diese Entwicklung Einfluss nehmen. Genau dieses Konzept verfolgen verschiedene Leitlinien der Facharztgesellschaften und so sind seit einigen Jahren die rezeptierten Mengen an Antibiotikadosen in Deutschland tatsächlich gesunken. Doch dann kam die Pandemie und durchschüttelte in großem Maße das Gesundheitssystem auf allen Ebenen. Es stellt sich also auch die Frage, ob – und, falls ja, zu welchem Maße – sich der Rückwärtstrend während der Pandemie fortgesetzt hat. Akute und hospitalisierte SARS-Cov2-Patienten wurden einer im Jahr 2021 veröffentlichten Studie zufolge, auch viel mit Antibiotika behandelt, um Suprainfektionen bei den Patienten zu vermeiden, wenngleich bakterielle Co-Infektionen relativ selten auftraten. Der bereitwillige Griff zu antibakteriellen, antiviralen und/oder entzündungshemmenden Medikamenten bei akuten und auch entlassenen Patienten gab Anlass zur Sorge, dass die Resistenzentwicklung an Fahrt gewinnen könnte. Um nun herauszufinden, ob dies tatsächlich der Fall war, setzten die Wissenschaftler eine retrospektive Querschnittsstudie auf, die auf der Disease-Analyzer-Datenbank von IQVIA basiert. Die Datenbank enthält soziodemografische Daten, Diagnose- und Verordnungsdaten aus Allgemein- und Facharztpraxen in Deutschland.
Prof. Kostev und Kollegen schlossen alle Personen (n=4.175.400), die zwischen Januar 2011 und Dezember 2021 mindestens einmal eine der 477 in der Datenbank vertretenen Hausarztpraxen in Deutschland aufgesucht hatten, ein. Insgesamt erhielten 1.165.642 Patienten während des Studienzeitraums Antibiotika-Verordnungen. Ihr Durchschnittsalter lag bei 51,8 Jahren; 55,3 % waren Frauen. Antibiotika-Verordnungen begannen ab dem Jahr 2015 zu sinken (505 Patienten pro Praxis). Diese Entwicklung hielt bis 2021 an (2020: 300 Patienten pro Praxis, 2021: 266 Patienten pro Praxis). Der stärkste Rückgang wurde noch kurz zuvor, im Jahr 2020 beobachtet und betraf sowohl Frauen als auch Männer (-27,4 % bzw. -30,1 %). In der jüngsten Altersgruppe bis 30 Jahren waren es -56 %, in der Altersgruppe über 70 ergaben sich -38 %. Die Zahl der Patienten pro Praxis mit Verschreibungen für Fluorchinolone verringerte sich zwischen 2015 und 2021 am stärksten (-70 %), gefolgt von Makroliden (-56 %) und Tetracyclinen (-56 %). Speziell Fluorchinolone werden mit zahlreichen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht.
Allein durch Nebeneffekte der Pandemie, sprich durch die strengen Hygieneregeln, lässt sich der Trend nicht erklären. Im Jahr 2021 wurden 46 % weniger akute Infektionen der unteren Atemwege, 19 % weniger chronische Erkrankungen der unteren Atemwege und 10 % weniger Erkrankungen der Harnwege diagnostiziert. „Damit gingen Verschreibungszahlen von Antibiotika im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie stärker zurück als die Rate an Infektionskrankheiten“, fasst Karel Kostev zusammen.
Insgesamt ist es positiv, dass Antibiotika seit Jahren seltener verordnet werden. Jedoch ist die Anzahl der Patienten, die trotz fehlendem Beweis der bakteriellen Infektion Antibiotika -Verordnungen erhalten, immer noch sehr hoch. Wie sich dieser Trend in nächsten Jahren entwickelt, wollen die Wissenschaftler jetzt weiter beforschen anhand aktueller Datenlagen.