Heidelberger Reanimationsregister: Besseres Überleben nach Herz-Kreislauf-Stillstand
29.06.2023 - Klaus Tschira Stiftung fördert den Aufbau des Heidelberger Reanimationsregisters am Universitätsklinikum Heidelberg.
Es passiert in Deutschland Jahr für Jahr mehr als 60.000 Mal: ein Mensch erleidet einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen sterben, obwohl etliche von ihnen wiederbelebt werden können. Was läuft da schief? Und was kann verändert werden, damit die Überlebenschancen steigen? Ein interdisziplinäres und interprofessionelles Team um den Mediziner Michael Preusch ist diesen Fragen am Universitätsklinikum Heidelberg in einem von der Klaus Tschira Stiftung ermöglichten Projekt nachgegangen. Entstanden sind dabei das Heidelberger Reanimationsregister, nationale und internationale Vernetzungen – und ein gerütteltes Maß an Hoffnung auf mehr gerettete Menschenleben.
M&K: Was hat es mit dem Reanimationsregister auf sich?
Michael Preusch: Momentan ist es so, dass von den Menschen, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, nur acht bis zehn Prozent wieder gesund werden. Wir müssen mehr darüber wissen, welche Faktoren die Überlebenschancen verbessern. Dafür braucht es eine Datenbank – und das ist das Heidelberger Reanimationsregister.
Welche Fragen stellen sich?
Preusch: Vor allem zwei Fragen: Was sind die Ursachen dieses Herz-Kreislauf-Stillstands? Und was ist die optimale Behandlung? Die Gruppe der Menschen mit Herz-Kreislauf-Stillstand, die ja sehr unterschiedlich ist, was Alter, Gesundheitszustand und Behandlung angeht, hat eines gemeinsam: Es fehlen auf breiter Basis klinische Daten.
Welche Vorbilder gab es?
Preusch: Hilfreich erschien uns die Idee des Deutschen Reanimationsregisters, das vor mehr als 15 Jahren eingerichtet wurde. Dort wurden Daten gesammelt zum Herzrhythmus, zum Eingriffszeitraum nach dem Herzstillstand, zum Alter und zum Verlauf. Das waren aber zunächst noch eher grobe Daten.
Und was haben Sie aus der Idee gemacht?
Preusch: Wir als Universitätsklinik in der Region Rhein-Neckar haben den Vorteil, dass die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten, die hier einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten haben, bei uns in der Klinik vorgestellt werden. Wir haben also ein sehr großes Kollektiv, um Daten zu erheben und Aussagen treffen zu können. Dazu gehören Vorerkrankungen, die Dauer der Wiederbelebung, aber auch bestimmte Marker im Blut, die schon sehr früh die Ursache des Herzstillstands erkennen lassen und eine bessere Behandlung ermöglichen. Und es gehört dazu, frühzeitig zu wissen, ob eine Lungenentzündung entsteht und wie gefährlich sie werden kann.
Wie kommt es zu den Lungenentzündungen?
Preusch: Im Rahmen des Herzstillstands läuft der Speichel des Patienten und oft auch Magensaft oder Erbrochenes in die Lunge und ruft dort häufig Entzündungen hervor. Aber wir wissen bis heute nicht, welcher Patient von einer frühen Verabreichung von Antibiotika profitiert und welcher nicht. Deshalb untersuchen wir auch das Blut, wobei wir insbesondere die Entzündungswerte und einiges mehr berücksichtigen, um frühzeitig erkennen zu können, wenn sich der Zustand verschlechtert.
Was sammeln Sie im Reanimationsregister?
Preusch: Wir sammeln Blutproben von Patientinnen und Patienten, die nach Herzstillstand bei uns eingeliefert wurden. Die Archivierung ist sehr aufwändig, so müssen die Proben bei minus 80 Grad gelagert werden. Aus den Zellen im Blut gewinnen wir wichtige Informationen, beispielsweise können wir die Erbsubstanz von Abwehrzellen isolieren, die uns schon ganz früh zeigen kann, ob bestimmte Entzündungsreaktionen entstehen.
Wie hat sich konkret die Förderung der Klaus Tschira Stiftung ausgewirkt?
Preusch: Zunächst konnten wir gleich zwei dieser ganz besonderen Gefrierschränke anschaffen, eine Personalstelle einrichten und eine Datenbank aufbauen, in der sämtliche Proben nach einem bestimmten Schlüssel archiviert werden.
Wie groß ist denn die Datenbank inzwischen?
Preusch: Wir haben jetzt Daten von circa 600 Menschen erhoben. Das ist sicherlich eine der größten Sammlungen, die es in Deutschland gibt. Natürlich unterstützen wir mit unseren Daten auch das Deutsche Reanimationsregister, machen aber auch eigene Auswertungen. Wir sind inzwischen hervorragend vernetzt, tauschen uns mit anderen aus, gehen auf Kongresse und haben die Proben auf der Suche nach bestimmten Proteinen oder Entzündungswerten analysiert. So sind bereits fünf Veröffentlichungen von internationalem Rang entstanden. Und wir hoffen, noch einiges an Forschungserkenntnissen zu Tage fördern zu können.
Was haben die Kranken davon?
Preusch: Wir machen zwar Wissenschaft, insbesondere mit den Mitteln, die uns die Stiftung zur Verfügung gestellt hat. Aber gleichzeitig kommen Erkenntnisse, die in großen Studien veröffentlicht werden, natürlich auch immer bei der Versorgung und Behandlung von kranken Menschen zum Einsatz. In diesem Zusammenhang machen sich viele beteiligte Ärztinnen und Ärzte auch in der Wissenschaftskommunikation und in der Öffentlichkeitsarbeit stark, wenn es beispielsweise um eine bessere Reanimation durch Laien geht. Es geht um Themen wie „Erste Hilfe in der Schule“, weil uns zum Beispiel Norwegen zeigt, dass durch gute und regelmäßige Ausbildung einer breiten Bevölkerung von Kindheit an die Überlebensrate nach Herz-Kreislauf-Stillstand deutlich besser sein kann als derzeit in Deutschland.
Wer kommt in Ihr Register?
Preusch: In erster Linie, wer außerhalb des Krankenhauses einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hat und, nach der ersten Stabilisierung, bei uns in der Klinik aufgenommen wird. Bei uns in der Region ist es so, dass 50 Prozent der Menschen, die einen solchen Stillstand erlitten haben, auch tatsächlich mit einem Spontankreislauf in eine Klinik kommen. Diese guten Startbedingungen wollen wir nutzen um noch besser zu werden.
Wie holen Sie das Einverständnis ein, ins Register aufgenommen zu werden?
Preusch: Wenn die Patientinnen und Patienten das Bewusstsein wiedererlangen, dann holen wir das Einverständnis ein, und, wenn das nicht geht, das Einverständnis der rechtlichen Vertretung. Trotz der schwierigen Situation haben wir bislang nicht einmal eine Handvoll Absagen bekommen. Überzeugend ist für die Meisten, dass die Daten der Studie vielleicht nicht mehr unmittelbar den Betroffenen helfen, aber dafür Anderen unter Umständen das Leben retten können.
Wie anonymisieren Sie das Ganze?
Preusch: Es gibt eine Pseudonymisierung in Form eines Nummernsystems, so dass die Daten bei der Auswertung keiner speziellen Person mehr zugeordnet werden können.
Was wäre Ihr größter Wunsch?
Preusch: Schon jetzt können unsere Daten in verschiedenen Kontexten und Fragestellungen fruchtbar werden. Es wäre ein riesiger Fortschritt in der Versorgung, wenn solche Daten beispielsweise mit den Auswertungen der Qualitätssicherung bei Notarzt- und Rettungseinsätzen sowie mit anonymisierten Krankenkassendaten verknüpft werden könnten. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Projekt auf lange Sicht weiterläuft.
Was sind die drei wichtigsten Erkenntnisse?
Preusch: Zum einen, dass klinische Daten zu erheben unheimlich wichtig ist, weil sich daraus ganz verschiedene Fragestellungen und Antworten entwickeln lassen. Das Zweite ist, sich immer bewusst zu sein, dass wir noch nicht genug wissen. Zum Beispiel, warum sehr oft nach der Wiederbelebung ein massiver Entzündungsreiz auftritt, der den ganzen Organismus beeinträchtigt. Das Dritte, was das Register gezeigt hat, ist, dass klinische Wissenschaft grundsätzlich einen interdisziplinären und interprofessionellen Ansatz haben muss.