Onkologie: Mit RNA-Wirkstoff Leukämie bekämpfen
28.11.2023 - Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 13.000 Menschen an Leukämien, von denen trotz intensiver Chemotherapien bis zur Hälfte an der Krankheit versterben. Hinzu kommt, dass die Therapien starke Nebenwirkungen haben und insbesondere die Neubildung gesunder Blutzellen hemmen.
Ein Team der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Goethe-Universität Frankfurt hat nun eine neuartige Therapie in einer präklinischen Studie getestet, die auf einer therapeutischen RNA basiert. Durch die Behandlung überlebten die Versuchstiere signifikant länger als unbehandelte Tiere. Die Hoffnung ist nun, dass diese Leukämie-spezifische Therapie zukünftig existierende Chemotherapien unterstützen kann.
In Deutschland erkranken jährlich etwa 13.000 Personen an Leukämien, einem Sammelbegriff, der verschiedene Formen von Blutkrebs zusammenfasst. Unter den Betroffenen ist auch ein hoher Anteil an Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren. Eine häufige Form der Leukämie bei Erwachsenen ist die akute myeloische Leukämie (AML), bei der frühe Vorstufen der Blutzellen entarten – die Stammzellen und die daraus hervorgegangenen Vorläuferzellen. Bei Kindern ist die AML die zweithäufigste Leukämie und macht rund vier Prozent aller bösartigen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter aus. Trotz Behandlung mit intensiver Chemotherapie überleben nur zwischen 20 Prozent und 50 Prozent der Erkrankten die ersten fünf Jahre nach Diagnose und Behandlung; die Hälfte oder mehr erleiden einen Rückfall und versterben. Hinzu kommt, dass die intensiven Therapien sehr starke Nebenwirkungen haben und insbesondere die blutbildenden Stammzellen schädigen. Neue, spezifisch auf die AML zugeschnittene Therapieansätze werden deshalb dringend gesucht.
Eine solche Leukämie-spezifische Therapie haben nun Forschende um Prof. Jan-Henning Klusmann von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin sowie Prof. Dirk Heckl vom Institut für Experimentelle Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Goethe-Universität Frankfurt im Tierversuch erprobt. Sie behandelten an Blutkrebs erkrankte Versuchstiere mit einem therapeutischen RNA-Molekül, das sie in Lipid-Nanopartikel verpackten. „Mit der Verpackung in Lipid-Nanopartikel haben wir im Prinzip die gleiche Technik angewendet, die bei der COVID-19-Vakzinierung zum Einsatz kam“, erklärt Klusmann. „Die Lipid-Nanopartikel ermöglichen es der therapeutischen RNA, in die Blutzellen aufgenommen zu werden.“
Für die therapeutische RNA miR-193b war bereits 2018 eine vor Krebs schützende Wirkung beschrieben worden. In gesunden Zellen bremst miR-193b nämlich Signalwege, die nur zur Vermehrung von Zellen aktiviert werden und ansonsten von der Zelle wenig genutzt werden. Daher wird miR-193b als sogenannter Tumorsuppressor bezeichnet. In AML-Zellen liegt miR-193b jedoch in zu geringer Menge vor und kann deshalb seine Aufgabe als Tumorsuppressor nicht erfüllen. „Seit vielen Jahren werden Wirkstoffe getestet, die hemmend in diese Signalwege eingreifen, die von AML-Zellen genutzt werden“, so Heckl. „Solche Wirkstoffe greifen aber immer nur an einer Komponente an, während miR-193b auf allen Ebenen des Signalweges wirkt. Das stoppt sehr effizient die Teilung der entarteten Zellen und führt dazu, dass die Leukämie-Zellen schnell absterben.“ Ein weiterer Vorteil der therapeutischen RNA ist, dass sie anders als die gängigen Chemotherapien die Stammzellen des blutbildenden Systems nicht schädigt, da diese nicht auf die unterdrückten Signalwege angewiesen sind.
Die Behandlung mit den Wirkstoff-Nanopartikeln wurde von allen Versuchstieren gut toleriert und bekämpfte die Blutkrebszellen erfolgreich, wie Klusmann zusammenfasst: „Bei allen behandelten Tieren konnte die Überlebenszeit deutlich verlängert werden, bei einzelnen Tieren kam es sogar zu einer Heilung.“ Besonders ermutigend ist, dass miR-193b bei allen getesteten AML-Unterformen wirkte: Für die Versuche wurden vier verschiedene Arten von Krebszellen untersucht, darunter eine, die bei Menschen mit Down-Syndrom häufig auftritt. „Nicht-kodierende RNAs und ihre Gene hat man früher für DNA-Schrott gehalten“, erklärt Klusmann. „Nun haben wir eine darauf basierende Therapie entwickelt, die eine neue und sehr spezifische Behandlungsmöglichkeit für myeloische Leukämien verspricht.“ Die Hoffnung ist, dass diese Therapie zukünftig Chemotherapien unterstützen kann, die auf diese Weise weniger intensiv sein müssen.