Helmholtzpreise an Forschungsgruppen aus Konstanz, Hannover und Rostock
04.06.2024 - Welche bahnbrechenden Erfolge sich mit Licht erzielen lassen, belegen die beiden diesjährigen Helmholtzpreise.
Ausgezeichnet wurden eine neu entwickelte Mikroskopietechnik, die extrem schnelle Bewegungen von Atomen und Elektronen wie in einem Film ablichten kann, sowie ein Verfahren zur optischen Biopsie in der Hautkrebsdiagnostik. Verliehen werden die Preise im Rahmen eines Weltkongresses der Metrologie am 28. August in Hamburg.
Mit einer neu entwickelten Mikroskopietechnik ist es der Physikgruppe um Prof. Dr. Peter Baum von der Universität Konstanz gelungen, die extrem schnellen Bewegungen von Atomen und Elektronen wie in einem Film abzulichten. Für diese Entwicklung erhalten die beteiligten Forscher den Helmholtzpreis im Bereich Grundlagenforschung. Für die angewandte Messtechnik geht der Preis an ein interdisziplinäres Physik/Medizin-Team der Leibniz Universität Hannover (um Prof. Dr. Bernhard Roth) und der Universitätsmedizin Rostock (um Prof. Dr. Steffen Emmert) für ihre Innovationen bei der optischen Biopsie in der Hautkrebsdiagnostik. Vergeben werden die beiden Preise, die mit jeweils 20.000 Euro dotiert sind, am 28. August 2024 in Hamburg im Rahmen des XXIV. IMEKO-Weltkongresses, auf dem die aktuellen Entwicklungen „in der Welt des Messens“ vorgestellt und diskutiert werden.
Film läuft: Attosekunden-Elektronenmikroskopie
Unsere heutigen technologischen Ambitionen reichen tief in die Mikrowelt hinab – so bei der Entwicklung neuartiger Materialien, die spezielle optische Eigenschaften aufweisen sollen, bei der Konstruktion neuartiger Schaltmethoden für eine ultraschnelle Elektronik in der Informationsverarbeitung oder bei der Manipulation von Elektronen in der Quantenkryptografie und bei Quantencomputern. All diesen Anwendungsfeldern ist gemeinsam, dass sie sich in einer Mikrowelt bewegen, in denen die Prozesse in unvorstellbar kleinen Zeiträumen ablaufen. Typische Zeitskalen liegen hier in der Größenordnung von Attosekunden (10-18 s).
Der Physikgruppe um Peter Baum ist jetzt ein neuartiger Zugang in diese „Mikrowelt der schnellen Prozesse“ gelungen, indem sie in einem Elektronenmikroskop zugleich Laserlicht einkoppeln, wodurch eine Sequenz von ultrakurzen Elektronenpulsen entsteht. Auf diese Weise gelingt es ihnen, die atomare Raumauflösung eines Elektronenstrahls mit dem Attosekunden-Timing einer Laserwelle zu kombinieren. Im Endeffekt ist es damit möglich, die fundamentale Dynamik in komplexen Strukturen der Mikrowelt direkt als „Film in Raum und Zeit“ zu beobachten.
Diese Attosekunden-Elektronenmikroskopie dringt in ganz neue Messbereiche vor und ist dabei zugleich so flexibel, dass mit ihr die verschiedenartigsten Proben untersucht werden können. Messungen sind daher nicht auf akademische Materialien beschränkt, sondern nahezu alle interessanten natürlichen oder technischen Materialien können damit untersucht werden. Firmen aus Japan und den USA haben bereits ihr Interesse an einer kommerziellen Nutzung angemeldet. Zwei erste Patente sind erteilt.
Ohne Schnitt: Optische Biopsie in der Hautkrebsdiagnostik
Jedes Jahr wird laut Statistischem Bundesamt über 100.000 Patienten allein in Deutschland die Diagnose Hautkrebs gestellt. Um insbesondere den schwarzen Hautkrebs (Melanom) zu diagnostizieren, ist es notwendig, eine Gewebeprobe chirurgisch zu entnehmen und sie histologisch zu untersuchen. Hierbei dauert es typisch einige Tage, bis ein Ergebnis vorliegt – mit beträchtlich psychischen Belastungen für die Patientin bzw. den Patienten. Es besteht daher ein dringender Bedarf für eine nicht-invasive Melanom-Diagnostik.
Dem interdisziplinären Team um die Professoren Roth (Leibniz Universität Hannover) und Emmert (Universitätsmedizin Rostock) ist es in einer mehrjährigen gemeinsamen Arbeit gelungen, eine dreidimensionale Bildgebung für die Abbildung der Hautstruktur mitsamt der Bestimmung der sogenannten Invasionstiefe von Hautläsionen zu entwickeln. Vier verschiedene Messverfahren wurden dazu in einem Messgerät miteinander kombiniert: die optische Kohärenztomographie (OCT), die Raman-Spektroskopie (RS), die photoakustische Tomographie (PAT) sowie die Hochfrequenz-Ultraschall-Bildgebung (US).
Das im Wesentlichen laserbasierte System ermöglicht in-vivo-Messungen in klinischer Umgebung unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Expositionsgrenzwerte für die humane Haut, erhöht die Auflösung im Vergleich zu früheren Ansätzen um einen Faktor 3 bis 5 und wurde bereits in prä-klinischen Studien an mehreren Dutzend Läsionen und Patienten demonstriert. Sobald diese erste Datenbasis groß genug ist, soll eine KI-Software trainiert werden, um die Läsionen im klinischen Umfeld diagnostizieren zu können. Als Nächstes stehen nun die notwendigen mehrjährigen klinischen Studien an, mit dem Ziel, das System zu etablieren und es als Medizinprodukt zu zertifizieren.
Der Preis
Der Helmholtz-Preis ist ein ganz besonderer Maßstab in der Welt der Metrologie. Er gilt als der „Metrologie-Nobelpreis“ und ist damit das Aushängeschild des Helmholtz-Fonds, der den Preis alle zwei Jahre für hervorragende wissenschaftliche und technologische Forschung auf dem Gebiet der Präzisionsmessungen in Physik, Chemie und Medizin verleiht. In jeder der beiden Kategorien „Grundlagen“ und „Anwendungen“ ist er mit 20.000 Euro dotiert. Der Helmholtz-Fonds e. V. ist ein einzigartiger gemeinnütziger Verein, der sich seit jeher der Förderung des wissenschaftlichen Fortschritts der Messtechnik verschrieben hat. Zu Ehren des Mitbegründers und ersten Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR), dem Ausnahmeforscher Hermann von Helmholtz, trägt der Verein seinen Namen.
Die Preisträger
Helmholtz-Preis 2024: Präzisionsmessungen in der Grundlagenforschung: David Nabben, Joel Kuttruff, Levin Stolz, Andrey Ryabov, Prof. Dr. Peter Baum (Fachbereich Physik, Universität Konstanz)
Helmholtz-Preis 2024: Präzisionsmessungen in der angewandten Messtechnik: Prof. Dr. Bernhard Roth, Anatoly Fedorov Kukk, Felix Scheling, Di Wu (Leibniz Universität Hannover, Hannoversches Zentrum für Optische Technologien und Exzellenzcluster PhoenixD)
Prof. Dr. med. Steffen Emmert, Dr. med. Rüdiger Panzer (Universitätsmedizin Rostock, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie)
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