Menschenfreundliche Robotik in der Medizin
10.07.2024 - In immer mehr OP-Sälen kommen Roboter zum Einsatz, die Gewebe schneiden, Wunden nähen oder Blutungen stillen. Auch in der Pflege hat er Potenzial.
Um die Entwicklung und Implementierung von Robotik im Gesundheitswesen zu fördern, investiert die Europäische Kommission rund 16 Mio. € in das internationale Projekt „Digital Innovation Hubs in Healthcare Robotics“ (DIH HERO). Es soll eine Plattform entstehen, durch die digitale Innovationszentren in Europa miteinander verbunden sind. So wird ein nachhaltiges Netzwerk für in der Gesundheitsrobotik Tätige geschaffen. Ein wesentlicher Hintergrund: Die demografische Entwicklung, Fachkräftemangel und der steigende ökonomische Druck auf das Gesundheitswesen führen dazu, dass bei der Betreuung und Versorgung von Menschen zunehmend technische Lösungen in Betracht gezogen werden. Es sind Lösungen gefragt, die das Personal sowohl in stationären als auch ambulanten Versorgungsstrukturen entlasten, um so eine weiterhin hohe Qualität in der Gesundheitsversorgung und Pflege zu ermöglichen. Roboter besetzen in der Medizintechnik eine zunehmend wichtige Rolle. Bei der Einführung von Robotik spielen aber nicht nur die technische Machbarkeit und die ökonomische Effizienz eine Rolle. Wichtig ist insbesondere auch die Akzeptanz vonseiten der verschiedenen Akteure, die nicht zuletzt durch deren kulturellen Hintergrund, rechtliche und ethische Aspekte sowie soziale, psychologische und individuelle Faktoren beeinflusst wird. Japan und Korea gelten als Vorreiter im Bereich innovativer Robotik.
Roboter auf dem Vormarsch
Das Gebiet der Robotik zeichnet sich durch die Vielfalt und verschiedene Komplexität der Geräte aus. Robotik hat längst Einzug in den OP-Saal gefunden. Roboter garantieren eine höhere Präzision und die Eingriffsdauer kann verringert werden. Darüber hinaus ermüden Roboter, anders als Menschen, nicht und liefern somit eine höhere Sicherheit. All diese Faktoren führen zu einer Reduktion der Gefahr von Komplikationen. Häufigste Anwendungsgebiete sind derzeit die Fachbereiche der Orthopädie und der (Neuro-)Chirurgie. Das am häufigsten genutzte OP-Robotiksystem ist derzeit DaVinci für minimal-invasive Operationen vom kalifornischen Unternehmen Intuitive Surgical. Der OP-Roboter HUGO kommt erstmals in Deutschland in der Urologie zum Einsatz: Seit dem 17. Oktober ist das High-End-Gerät am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden im Einsatz. Hauptsächlich kommt der Roboter in der Klinik und Poliklinik für Urologie zum Einsatz. Zudem steht er der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Uniklinikums zur Verfügung. In Europa gibt es aktuell 48 dieser Geräte, in Deutschland sind es insgesamt fünf, wobei hier bislang nur viszeralchirurgisch gearbeitet wurde. Das Universitätsklinikum Dresden komplettiert den bestehenden OP-Robotikpark um das neue Gerät. Bislang sind am Klinikum drei Da-Vinci-OP-Roboter im Einsatz – zwei in der klinischen Versorgung und einer für wissenschaftliche Projekte. Der Chirurg kann die vier Arme des Roboters sehr präzise steuern. Unbeabsichtigte Bewegungen wie das Zittern der Hände werden ausgeglichen. Das hochauflösende Kamerasystem kann zudem ein bis zu 10-fach vergrößertes Bild liefern und damit feinste Gewebestrukturen zeigen. Der Arzt führt die Operation an einer Konsole aus, sieht währenddessen über einen Bildschirm die Endoskop-Aufnahmen in 3D und steuert gefühlt die Spitzen seines Werkzeuges - und nicht die umständlichen, aber notwendigen Verlängerungen der Instrumente. Zahlreiche Sensoren im Inneren sorgen dafür, dass alle Kontakte des Roboterarms mit der Umgebung in Echtzeit an das Eingabegerät des Operateurs zurückgemeldet werden. Für den Chirurgen bedeutet dies ein intuitiveres und gefühlt direkteres Operieren. Dadurch kann auch gezielter schädliches Gewebe entfernt werden und gesundes Gewebe unbeschädigt bleiben. Der Chirurg sitzt an der Konsole, und Roboterarme setzen seine Kommandos mit höchster Präzision am Patienten um - führen exakte Schnitte aus, setzen Schrauben oder vernähen auf kleinstem Raum durchtrennte Adern. Dabei spürt der Arzt über seine Steuerung genau, was die Instrumentenspitzen am Roboter ausführen, so als ob er sie selbst in den Händen halten würde. Roboter und Mensch arbeiten gemeinsam Hand in Hand zusammen.
Robotergestützte Blutentnahme
Noch übernehmen viele Test-Geräte nur die Bildgebung. Der Nadelstich, bei dem die höhere Fehleranfälligkeit liegt, bleibt anwenderabhängig. Doch wie kann die Anwendung in der Praxis aussehen? Nach Desinfektion legt der Patient den Arm zum Scannen in das Gerät. Es segmentiert auf Basis von Künstlicher Intelligenz die Venen und wählt anhand von Kontinuität, Länge und Gefäßdurchmesser geeignete Venen aus. Diese werden dem Benutzer angezeigt, welcher daraufhin die endgültige Einstichstelle bestimmt. Ein wesentlicher Teil der Verantwortung bleibt demnach beim Menschen, besonders durch die Möglichkeit der Überwachung und des Eingreifens – eine potenzielle Belastung für die Medizinische Fachangestellte (MFA), da die neue Arbeit mit dem Roboter zunächst ein zusätzlicher Zeitaufwand sein kann. Eine Sonde senkt sich auf den Arm, bestätigt den venösen Blutfluss und führt eine Kanüle in die Vene des Patienten. Für den anschließenden Teil ist wieder die MFA zuständig: Austausch der Blutröhrchen, Entfernung und Entsorgung der Kanüle sowie Anlegen eines Pflasters. Der gesamte robotergestützte Eingriff dauert nicht länger als fünf Minuten, eine Zeitersparnis im Gegensatz zum manuellen Vorgehen, das meist mindestens sieben Minuten dauert.
Pflege und andere Einsatzgebiete
Die meisten identifizierten Gerätetypen lassen sich nach ihrer Funktion in drei Gruppen einteilen: 1. Trainingsgeräte und Hilfsmittel zur Bewegungsausführung, Mobilität und Selbstständigkeit, 2. Geräte, die den Menschen ergänzen, entlasten oder seine physische Anwesenheit ersetzen können sowie 3. Geräte, die den Menschen begleiten und mit ihm interagieren. Im deutschen Gesundheitswesen werden drei Robotertypen unterschieden: Operations-, Therapie- und Pflegeroboter. Alle Roboter haben ihre individuelle Gestaltung und Aufgabe, was wiederum einen Einfluss auf die Akzeptanz bei den Nutzern hat. Auch wenn Roboter auf der einen Seite zunächst häufig den Gedanken auslösen, dass sie Menschen übertreffen und ersetzen könnten, besteht auf der anderen Seite die Chance, dass sie stattdessen „intelligentere Arbeitsplätze“ schaffen. Außerdem ist die Realität noch weit davon entfernt, dass Roboter denken oder spontan sein können. Robotik kann zur Entlastung der stationären Pflege eingesetzt werden. Roboter verrichten Arbeiten, die bei Menschen zu körperlicher Ermüdung oder Schäden führen (wie beim Tragen von schweren Lasten, Wenden oder Umlagern von Patienten) oder einfache Dispositionsaufgaben (wie die Ausgabe von Essen) übernehmen. Somit verbleibt mehr Zeit für den persönlichen Patientenkontakt und die Pflegequalität kann insgesamt gesteigert werden. Darüber hinaus eignen sich Roboter zur Unterstützung bei der Rehabilitation sowie als Ersatz verloren gegangener Körperfunktionen. Einige robotische Assistenzsysteme, wie am Rollstuhl angebrachte Roboterarme (Greifhilfen), wurden inzwischen in das Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen. Ein weiteres Einsatzfeld mit vielen neuen Produkten ist die roboterbasierte Reinigung und Desinfektion. Auch in der eigenen Häuslichkeit können Assistenzroboter Menschen mit Pflegebedarf unterstützen. Auf institutioneller Ebene bietet Robotik ein Rationalisierungspotenzial im Bereich organisatorischer und logistischer Prozesse. In der Gesamtbetrachtung dürfte sich, bei einer gleichzeitigen Entlastung der Pflegefachkräfte und Linderung des Fachkräftemangels, die Qualität der Versorgung von Patienten und pflegebedürftigen Personen verbessern lassen. Zu den Risiken zählt, dass durch den Einsatz von Robotern die direkten Kontakte zwischen den Patienten und dem Gesundheitspersonal abnehmen. Die Herausforderungen und ethischen Fragen sollten sorgfältig adressiert werden, um sicherzustellen, dass der Einsatz von Robotern die Gesundheitsversorgung effektiver und menschenorientierter gestaltet.
Autor: Hans-Otto von Wietersheim, Bretten