Medizin & Technik

Neue Hoffnung für „austherapierte“ Parkinson-Patienten

20.08.2024 - Kombinierte invasive Therapien können helfen, die Beweglichkeit und motorische Komplikationen der Erkrankung erneut zu bessern.

Parkinson ist nach der Alzheimer-Demenz die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, deren Prävalenz durch den demografischen Wandel weiter zunehmen wird. Durch Untergang Dopamin-produzierender Nervenzellen kommt es zu einem komplexen Krankheitsbild aus Bewegungsverlangsamung, Zittern, Steifigkeit der Gliedmaßen und Ganginstabilität; zudem beklagen die Betroffenen häufig nichtmotorische Beschwerden wie Schlafstörungen, Depression, Riechstörungen oder Verstopfung. Bislang ist die Erkrankung weder heilbar noch therapeutisch in ihrem Verlauf beeinflussbar. Stattdessen wird in frühen Stadien versucht, den Mangel an Dopamin durch Tabletten auszugleichen. In späteren Stadien reichen diese jedoch häufig nicht mehr aus, um die Beschwerden ausreichend zu lindern; zudem leiden die Patienten häufig unter Wirkfluktuationen, das heißt Phasen unkontrollierbarer und nicht willkürlicher Überbewegungen des Körpers, die sich mit Phasen übermäßiger Steifigkeit und Bewegungsarmut abwechseln und zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Alltagslebens führen.

Fortgeschrittene Therapien in späten Erkrankungsstadien

Ist dies der Fall, kommen invasive oder fortgeschrittene Therapieformen – ergänzend zur Medikation – zum Einsatz: Am längsten etabliert ist die Tiefe Hirnstimulation, bei der mit einem Herzschrittmacher-ähnlichen Gerät, das unter den Brustmuskel implantiert wird, über Elektroden bestimmte Hirnregionen elektrisch stimuliert werden. Neuer sind Pumpentherapien: eine Medikamentenpumpe befördert kontinuierlich dopaminhaltige Medikamente über einen Schlauch in den Darm bzw. subkutan in die Bauchdecke. All diese fortgeschrittenen Therapien können für eine gewisse Zeit erneut eine relevante Besserung der Beschwerden und Wirkfluktuationen erzielen, können jedoch aufgrund des Krankheitsprogresses im Verlauf ebenfalls an Wirksamkeit verlieren bzw. werden teilweise aufgrund von Nebenwirkungen nicht mehr vom Patienten toleriert. In diesem Falle scheuen viele Behandler und Erkrankte aufgrund der Invasivität bzw. der hohen Kosten davor zurück, eine weitere fortgeschrittene Therapie mit der bestehenden zu kombinieren bzw. die bestehende Therapie durch eine andere fortgeschrittene Therapieform zu ersetzen. Die Betroffenen gelten oft als „austherapiert“, mit schwerwiegenden Folgen für Lebensqualität und Lebenserwartung.

Weltweit umfangreichste neue Studie

Ein Studienteam um Prof. Paul Lingor, Co-Leiter der Parkinson-Ambulanz der Neurologischen Klinik am Klinikum rechts der Isar der TU München, gibt diesen Menschen neue Hoffnung. Die kürzlich im renommierten Fachjournal „Neurology“ veröffentlichte deutschlandweite Studie zu bislang angewandten fortgeschrittenen Therapiekombinationen konnte die erneute Effektivität einer simultan oder sequentiell angewandten weiteren fortgeschrittenen Therapie nachweisen. Unter etwa 11.000 Patienten, die zwischen 2005 und 2021 mit fortgeschrittenen Therapien eingestellt wurden, konnten insgesamt 116 Fälle identifiziert werden, bei denen eine fortgeschrittene Therapie durch eine andere ersetzt bzw. mit einer anderen kombiniert wurde. „Für einzeln angewandte fortgeschrittene Therapien zeigt die Studienlage heutzutage bereits klar, dass diese mit hoher Effektivität und Verträglichkeit die Symptome in fortgeschrittenen Parkinsonstadien erneut lindern und zu einer relevanten Verbesserung der Lebensqualität führen können. Hingegen existierten zu fortgeschrittenen Therapiekombinationen bislang weltweit nur wenige Fallberichte, die aufgrund der kleinen Fallzahlen kaum robuste Aussagen zu deren Effektivität und Nebenwirkungsprofil zulassen“, so Erstautor Dr. Dominik Pürner, Assistenzarzt in der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Effektivität fortgeschrittener Therapiekombinationen

Durch die deutschlandweite retrospektive Datenerhebung an insgesamt 22 spezialisierten Zentren des Kompetenznetzes Parkinson konnte das Studienteam insgesamt 148 fortgeschrittene Therapiewechsel analysieren, da bei manchen der 116 Patienten die fortgeschrittene Therapie auch mehrfach modifiziert wurde. Diese derzeit weltweit größte Fallsammlung zu fortgeschrittenen Therapiekombinationen zeigte eine erneute relevante Verbesserung der Symptome nach einem fortgeschrittenen Therapiewechsel. Die simultane bzw. sequentielle Anwendung einer weiteren fortgeschrittenen Therapie erzielte im Durchschnitt eine vergleichbare Besserung der motorischen Beschwerden, Wirkfluktuationen und Nebenwirkungen wie die zuerst eingesetzte fortgeschrittene Therapie. „Dies ist vor dem Hintergrund, dass in unserem Studienkollektiv mangelnde Symptombesserung bzw. Nebenwirkungen der Vortherapie die Hauptgründe für fortgeschrittene Therapiewechsel waren, besonders bedeutsam“, bewertet Prof. Paul Lingor die Ergebnisse. „Die Menschen werden immer älter und deshalb werden wir uns immer häufiger fragen müssen, was wir für Betroffene tun können, wenn eine fortgeschrittene Therapie versagt. Wir konnten zeigen: Die Erkrankten profitierten vom Therapiewechsel ungefähr so stark wie von der Einstellung auf die ursprüngliche Therapie – das ist ein enormer Nutzen.“  Durch das große Studienkollektiv verbessere die aktuelle Studie die Datenlage deutlich. Auch subjektiv werde der Therapiewechsel von den Betroffenen im Durchschnitt als profitabel bewertet. Gemäß den Auswertungen sollte die ergänzte fortgeschrittene Therapie abhängig von Art und Nebenwirkungen der Vortherapie sowie von den im Vordergrund stehenden Symptomen des Patienten ausgewählt werden.

Deutschlandweites Register geplant

Die retrospektive Studie zeige, dass im Falle eines Versagens der ersten fortgeschrittenen Therapie ein Therapiewechsel zu einer anderen fortgeschrittenen Therapie erwogen werden sollte, fasst Dr. Dominik Pürner zusammen. „Für Behandler und Patienten eröffnet dies neue therapeutische Optionen“. Zukünftig möchten die Forschenden ein prospektives deutschlandweites Register initiieren, in das systematisch alle Parkinson-Patienten mit gerätegestützten Therapien aufgenommen werden sollen, um wissenschaftlich fundierte Leitlinien für die Kombination fortgeschrittener Therapien zu entwickeln.

Text: Claudia Schneebauer, Saarlouis

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