Labor & Diagnostik

Neoadjuvante Chemo-Immuntherapie bei Lungenkrebs

20.09.2024 - Medienbriefing der Deutschen Gesellschaft für Pathologie anlässlich des Deutschen Lungentags am 28. September 2024.

Am 23. August 2024 erhielt ein 67-jähriger Mann in London eine Impfung gegen Lungenkrebs. Der Impfstoff trägt den Namen "BNT116" und basiert auf der mRNA-Technologie. Der Mann ist die erste Testperson mit Lungenkrebs in einer klinischen Studie von BioNTech, die voraussichtlich bis 2027 in Großbritannien, Deutschland, Ungarn, Polen, Spanien, die Türkei und die USA laufen soll.

Was hier erforscht wird, ist die Zukunft der Krebsbehandlung. Die Gegenwart der Krebsbehandlung ist aber nicht weniger interessant und progressiv – Stichwort: Immuntherapie. Im November 2023 wurde die erste neoadjuvante kombinierte Chemo-Immuntherapie zugelassen, die fortgeschrittene nicht-kleinzellige Lungenkarzinome (NSCLC) so verkleinert, dass sie operabel werden. Manche Tumoren bilden sich damit sogar komplett zurück. Wie diese Therapieform die Pathologie, also die Krebsdiagnostik verändert, erklärt die Spezialistin für Lungenpathologie PD Dr. Christiane Kümpers vom Institut für Pathologie des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck.

Zahlen – Daten – Fakten

- 56.690 Menschen erkrankten 2020 in Deutschland neu an Lungenkrebs. Für die Folgejahre liegen noch keine offiziellen Registerdaten vor. Basierend auf den Trends der Vorjahre ist anzunehmen, dass die Zahl der Lungenkrebs-Neuerkrankungen aktuell in einem ähnlichen Bereich liegen dürfte. [1]

- 44.817 Menschen in Deutschland verstarben 2020 an Lungenkrebs. [1]

- 14 – 17 Prozent aller Fälle macht das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) aus. Aufgrund seiner Neigung zur frühen Metas­tasierung weist es die schlech­teste Prognose auf. [1] Es wird nur in Ausnahmefällen operiert.

- Etwa 80 Prozent aller Fälle macht das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC) aus. [1]

- Rund 55 Prozent der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome sind Adenokarzinome. Sie entwickeln sich aus Zellen der Lungenbläschen. [2]

- Rund 30 Prozent der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome sind Plattenepithelkarzinome. [2] Sie entstehen aus den Plattenepithelzellen, die die Bronchien nicht physiologisch auskleiden, sondern sich bei lang bestehenden Irritationen, wie dem Rauchen, dort entwickeln.

- Rund 75 Prozent aller Lungengewebsproben in der Pathologie des UKSH Campus Lübeck werden im Zusammenhang mit dem Verdacht auf Lungenkrebs untersucht. [3] Ist der Tumor bereits sehr groß oder in anderes Gewebe eingewachsen, kann bei Diagnosestellung nicht direkt operiert werden.

- Rund 5 Prozent der derzeitig operierten Lungenkrebspatienten und -patientinnen am UKSH Campus Lübeck wurden mit kombinierter Chemo-Immuntherapie neoadjuvant vorbehandelt. Dieser Anteil wird sich in den nächsten Jahren drastisch auf schätzungsweise 50 % erhöhen. [3]

- Im November 2023 wurde die erste kombinierte Chemo-Immuntherapie mit dem Immuntherapiewirkstoffs Nivolumab für den neoadjuvanten Bereich zugelassen. [4]

- Von 20,8 auf 31,6 Monate steigt das ereignisfreie Überleben, wenn statt einer alleinigen Chemotherapie eine Chemo-Immuntherapie mit Nivolumab neoadjuvant durchgeführt wird. [5]

[1] Robert Koch-Institut
[2] Onkopedia: Lungenkarzinom, nicht-kleinzellig (NSCLC) Zugriff: 05.09.2024
[3] Institut für Pathologie, UKSH, Campus Lübeck (Schätzungswerte)
[4] Onkopedia: Stellungnahme Nutzenbewertung Nivolumab Zugriff: 05.09.2024
[5] CheckMate-816-Studie (doi:10.1056/NEJMoa2202170)

Nachgefragt bei …

… PD Dr. Christiane Kümpers, Oberärztin am Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, mit Schwerpunkt Lungenpathologie.

Noch immer weist Lungenkrebs eine schlechte Prognose auf, intensiv wird deshalb an Therapien geforscht. Für den neoadjuvanten Bereich, also vor einer OP, ist die Chemo-Immuntherapie aktuell die neueste Entwicklung. Was passiert hier?

CK: Wenn ein Lungentumor zu groß ist, um operiert zu werden, wird er zunächst verkleinert. Das passierte bislang standardmäßig mittels Chemotherapie. Seit wenigen Jahren gibt es aber auch die Immuntherapie, und man hat herausgefunden, dass Patientinnen und Patienten sehr profitieren, wenn in der neoadjuvanten Behandlung – also vor der OP – die Immuntherapie mit der Chemotherapie kombiniert wird: Die Tumoren sprechen auf eine Chemo-Immuntherapie deutlich besser an, lassen sich so besser operieren, und bei vielen Patientinnen und Patienten bilden sie sich sogar vollständig zurück. Das ereignisfreie Überleben verbessert sich zudem signifikant mit der Chemo-Immuntherapie als bei der Chemotherapie allein, wie es in aktuellen Studien beobachtet werden konnte.

Das ist beachtlich. Was bedeutet das für die Pathologie?

CK: Wir stellen bei neuen Therapien unsere Verfahren und Prozesse immer auf den Prüfstand. Aktuell ist das Procedere so: Wenn nach der neoadjuvanten Therapie operiert wird, bekommen wir das OP-Präparat, in dem sich das Tumorbett, also der ursprüngliche Sitz des Tumors, befindet. Wir können am Gewebe sehen: Dort war mal der Tumor. Unsere Aufgabe ist es festzustellen, ob noch Tumorzellen vorhanden sind und wenn ja, zu wie viel Prozent. Dazu wird zunächst eine repräsentative Scheibe aus dem Tumorbett entnommen und unter dem Mikroskop angesehen. Wenn hier keine Tumorzellen mehr zu sehen sind, sondern nur Entzündungszellen und vernarbtes Gewebe, muss ich, um sicher zu sein, dass wirklich alle Tumorzellen durch die Therapie vernichtet wurden, das komplette Gewebe aus diesem Bereich aufbereiten und untersuchen – das ist sehr aufwändig. Zudem gibt es Herausforderungen bei der Dokumentation, da international zwei Graduierungsstufen definiert sind, die sich nicht komplett mit den vier im deutschsprachigen Raum verwendeten Stufen decken. Mit Graduierungsstufen oder besser: Regressionsgraden benennen wir, wie viel Prozent der Tumorzellen noch vorhanden sind. Solange zwei Systeme existieren, besteht also die Gefahr, dass Pathologien in Deutschland unterschiedlich dokumentieren und wir die Daten künftig nicht sinnvoll auswerten können.

Wie gehen Sie damit um?

CK: Wir haben in der Arbeitsgemeinschaft Thoraxpathologie der DGP im April 2024 Empfehlungen erarbeitet, wie die Kolleginnen und Kollegen am besten verfahren sollten: beim Aufbereiten des Gewebes nach neoadjuvanter Therapie, beim Untersuchen und beim Dokumentieren. Diese „Stellungnahme zur Regressionsgraduierung nach Chemo-Immuntherapie beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom“ ist auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Pathologie veröffentlicht und von allen nutzbar, damit wir einheitlich und standardmäßig vorgehen.

Warum ist das wichtig?

CK: Die pathologischen Daten können wir später mit Überlebensdaten verknüpfen und werden unter anderem ableiten können, in wie weit die Prognose vom Regressionsgrad abhängt und ggf. auch, welche Patienten und Patientinnen auf die Therapie gut ansprechen und welche nicht. Oder ob die Schwellenwerte für die Vergabe der Regressionsgrade so noch passen oder adaptiert werden müssen. Diese wurden nämlich seinerzeit für die Neoadjuvanz mit alleiniger Chemotherapie entwickelt. Oder ob es unterschiedliche Ansprechraten und Überlebensdaten zwischen dem Adenokarzinom bzw. Plattenepithelkarzinom gibt. Oder ob bei diesen beiden Karzinomtypen jeweils unterschiedliche Schwellenwerte für die Regressionsgradbestimmung anzuwenden sind. Das können wir in etwa 5 Jahren sehen – aber nur dann, wenn die Pathologien in Deutschland einheitlich untersuchen und dokumentieren bzw. berichten.

Zitat von PD Dr. Christiane Kümpers, Oberärztin am Institut für Pathologie des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, mit Schwerpunkt Lungenpathologie:

„Es gibt für alle Thoraxpathologinnen und -pathologen die ‚Stellungnahme zur Regressionsgraduierung nach Chemoimmuntherapie beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom‘ der AG Thoraxpathologie der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Die Empfehlungen bieten einen standardisierten Ansatz für die Aufbereitung, Untersuchung und Dokumentation des genannten Gewebes. Durch die konsequente Anwendung dieser Handreichung können wir eine einheitliche und qualitativ hochwertige pathologische Beurteilung sicherstellen. Das ist besonders wichtig, bis die aktualisierte Lungenkrebsleitlinie diese neuen Entwicklungen vollständig integriert. Nutzen wir diese Ressource, um unsere Arbeit zu optimieren und die bestmögliche Versorgung für Menschen mit Lungenkrebs zu gewährleisten.“

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