Rationaler Einsatz von Antibiotika: „Erstes Etappenziel erreicht“
19.11.2024 - In vier Jahren feiert Penicillin seinen 100. Geburtstag – ein echter Meilenstein in der medizinischen Versorgung.
Doch damit die Wirkungskraft gegen bakterielle Infektionen nicht weiter abnimmt, bedarf es einer rationalen Antibiotikaverordnung. Wie kann das noch besser gelingen? Welche Herausforderungen gilt es dabei zu meistern? Über diese und weitere Fragen haben Expert*innen aus verschiedenen medizinischen Versorgungsbereichen diskutiert.
Im Rahmen der „World AMR Awareness Week“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) Anfang der Woche zu einem Runden Tisch eingeladen. Im Fokus: Der rationale und verantwortungsvolle Einsatz von Antibiotika („Antibiotic Stewardship“, kurz „ABS“).
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) hat sich dabei schon früh auf verschiedenen Ebenen für eine rationale Antibiotikatherapie eingesetzt. Dazu gehört unter anderem ein seit 2018 jährlich zur Verfügung gestelltes Reporting für Allgemeinmediziner, Kinder- und Jugendärzte, Gynäkologen, HNO-Fachärzte und Urologen. Die Auswertung geht an fast 4.000 Praxen in Westfalen-Lippe und beleuchtet das individuelle Verordnungsverhalten der Praxis im Vergleich zur Fachgruppe. Auch die Teilnahme und Unterstützung einzelner Initiativen sind hier zu nennen, beispielsweise das lokale Projekt „Antibiotische Therapie in Bielefeld“ (AnTiB), das Innovationsfondsprojekt RESIST (Resistenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegsinfektionen) und das ABS-Netzwerk Westfalen-Lippe.
Dabei sind erste Erfolge zu verzeichnen: So bleibt der Trend bei den Reserveantibiotika weiter rückläufig. In Westfalen-Lippe entfielen im Jahr 2022 insgesamt 42 Prozent der Antibiotikaverordnungen auf Reserveantibiotika. Im Vorjahr lag der Anteil bei 45 Prozent. Das zeigte Anfang 2024 eine Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Als Reserveantibiotika werden Antibiotika bezeichnet, die für einen Einsatz mit strenger Indikation vorgesehen sind. Sie sollen verwendet werden, wenn Standardantibiotika nicht mehr helfen, beispielsweise bei Infektionen mit Bakterien, die gegen die gängigen Antibiotika resistent sind.
Erstes Etappenziel erreicht
Dr. Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzender der KVWL: „Antibiotika wirken gut und zuverlässig. Das begründet ihren Erfolg. Doch der flächendeckende, vorschnelle und manchmal unspezifische Einsatz von Präparaten mit breitem Wirkungsspektrum führt zunehmend zu Resistenzen. Daher ist ein verantwortungsbewusster Umgang weiter unabdingbar. Die Zahlen belegen, dass unsere gemeinsamen Initiativen in Westfalen-Lippe Wirkung erzielen. Ein erstes Etappenziel ist damit erreicht, aber wir dürfen in unseren gemeinsamen Bemühungen nicht nachlassen. Gleichzeitig zeigt dieses Projekt, welche Kraft die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten auf der einen und Körperschaften auf der anderen Seite entwickeln kann. Durch den engen Austausch mit lokalen Ansprechpartnern wie in Bielefeld oder auch mit sektorenübergreifend arbeitenden Netzwerken sind wir an dieser Stelle schon einige entscheidende Schritte weitergekommen.“
Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe: „Wir beobachten seit langem, dass bakterielle Resistenzen die Wirksamkeit von Antibiotika immer mehr einschränken und zu einer Zunahme von Krankheitslast führen. In absehbarer Zeit stehen neue Antibiotika nicht in relevantem Ausmaß zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist ein zielgerichteter Einsatz vorhandener Antibiotika dringend geboten. Der Begriff „Antibiotic Stewardship“, kurz ABS, fasst die Maßnahmen zum rationalen und verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika mit Blick auf Resistenzentwicklungen zusammen. Ein verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika im Sinne des Antibiotic Stewardships ist eine Herausforderung, die man nicht allein angehen kann. Um systematisch und nachhaltig zu wirken, braucht es ein vernetztes Vorgehen aller, die an der Patientenversorgung beteiligt sind. Durch den interprofessionellen und regionalen Austausch können Kooperationen und Vernetzungen gestärkt werden.“