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Medizinische Hochschule Hannover: Neue Schulungskonzepte in Klinik und Praxis

01.10.2012 -

Medizinische Hochschule Hannover: Neue Schulungskonzepte in Klinik und Praxis. Die strukturierte Schulung zählt heute unwidersprochen zu den integralen Bestandteilen jeder Diabetestherapie. Internationale wie auch nationale evidenzbasierte Leitlinien zur Behandlung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes setzen auf eine fundierte initiale Schulung bei Diagnosestellung und auf kontinuierliche, dem Verlauf der Krankheit und der Lebenssituation der Patienten angepasste Folgeschulungen. Entsprechend werden strukturierte Diabetesschulungen sowohl im Disease- Management-Programm (DMP) Typ-1- und wie auch im DMP Typ- 2-Diabetes eingefordert.

Selbstmanagement ist unverzichtbar

Das ambitionierte Therapieziel bei allen Diabetesformen – eine normnahe Stoffwechseleinstellung – ist dauerhaft nur zu erreichen, wenn die Betroffenen ihre medikamentöse Therapie im Alltag eigenverantwortlich steuern. Gleiches gilt für Veränderungen des Lebensstils zur Prävention und Behandlung der Krankheit und ihrer mikro- und makrovaskulären Folgen. Die Verordnung einer gesünderen Lebensweise und die sachliche Information über die Krankheit allein, ohne die aktive Einbeziehung der Patienten, führen dabei zu unbefriedigenden Ergebnissen. Gegenüber der bei akuten Krankheitsbildern primär hierarchisch geprägten Arzt-Patient- Beziehung setzt die eigenverantwortliche Diabetestherapie eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen medizinischen Experten und Betroffenen, den Experten für das eigene Leben, voraus. Die Bedeutung der eigenverantwortlichen Behandlung – des Selbstmanagements – wird evident, wenn man sich die Stunden eines Jahres vor Augen führt, in denen ein Patient seine Therapie selbstständig umsetzen und in seinen Alltag integrieren muss (Abb.). In diesen Stunden muss er mehrfach täglich über seine Ernährung entscheiden, seine Stoffwechselwerte kontrollieren und bewerten, dabei oft auch mit Misserfolgen kämpfen, die Medikation anpassen und nahezu alle anderen Alltagsaktivitäten mit den Anforderungen seines Diabetes abstimmen. Hinzu kommen Wünsche und Ratschläge von Seiten Angehöriger und anderer Sozialpartner, die nicht immer mit den Therapiezielen vereinbar sind. Im Vergleich dazu treten die wenigen Stunden kaum in Erscheinung, die ein Patient jährlich im Gespräch mit seinem Arzt verbringt. Erst die zusätzlichen Stunden der Diabetesschulung lassen das Diabetesteam überhaupt sichtbar werden.

Selbstmanagement- Fertigkeiten entwickeln

Wissensorientierte Schulungsprogramme – wie sie leider immer noch im Rahmen des DMP Typ 2 akzeptiert werden – können kaum substantielle Verhaltensänderungen hervorrufen. Demgegenüber setzen moderne patientenzentrierte Schulungskonzepte sowohl in der Pädiatrie als auch zur intensivierten Insulintherapie bei Typ-1-Diabetes oder zum Typ-2-Diabetes darauf, Betroffene in die Lage zu versetzen, die eigene Situation realistisch einzuschätzen und allgemeine Fertigkeiten des Selbstmanagements (Zielsetzung, Handlungsplanung, Problemlösung, Ergebnisbewertung) zu entwickeln. Allen Konzepten gemeinsam ist dabei zunächst eine Klärung der individuellen gesundheitlichen Situation. Es folgen klare patientenzentrierte Absprachen über konkrete Handlungs- und Therapieziele. Daran schließen sich sachliche überschaubare Informationen über therapeutische Möglichkeiten und Grenzen an. Im Folgenden erhalten Patienten die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu sammeln und sich vom Erfolg der Bemühungen zu überzeugen. Systematischen Blutglukoseselbstkontrollen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, wenn sie im Sinne „Ereignisgesteuerter Messungen“ schnelle und direkte Rückmeldungen liefern. Dabei ist entscheidend, Patienten darin zu unterstützen, z.B. die Insulinwirkung so gut zu verstehen, dass sie daraus persönlich gültige Dosierungsregeln entwickeln, überprüfen und auf verschiedene Lebenssituationen übertragen können. Beispielsweise erlernen Eltern von jungen Kindern mit Typ-1-Diabetes in solchen Schulungen, wie sie die Insulintherapie maßgeschneidert an den wechselnden Bewegungsdrang, den schwer berechenbaren Appetit ihres Kindes oder an typische Infektionskrankheiten anpassen können.

Patientenzentrierte Typ-2-Schulung

Aktuelle Schulungsprogramme für Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne Insulinbehandlung (Medias 2) und mit Insulintherapie (Diabetes & Verhalten) orientieren sich ebenfalls an diesem verhaltensmedizinischen Konzept. Das Programm Medias 2 nutzt z.B. zu Beginn des Kurses ein einfaches, gut nachvollziehbares Ampelsystem zur Bewertung des persönlichen Gesundheitsrisikos (Blutglukose, Blutdruck, Gewicht, Blutfette, Rauchen). Damit werden die oft abstrakten Laborwerte in eine individuell bedeutsame Risikoeinschätzung der Patienten überführt. Ebenso werden persönliche Lebensziele, Lebensqualität und die Veränderungsbereitschaft in der Schulungsgruppe reflektiert, bevor grundlegende Kenntnisse zur Therapie erarbeitet werden. Das Programm Diabetes & Verhalten geht in seinem Stufenkonzept noch einen Schritt weiter und setzt zu Schulungsbeginn auf ein persönliches Gespräch zwischen Arzt und Patient, in dem individuelle Gesundheitsrisiken diskutiert und persönliche Handlungsmöglichkeiten erörtert werden. In der anschließenden Gruppenphase des Kurses steht die systematische Sammlung eigener Erfahrungen und Erfolgserlebnisse durch so genannte „Ereignisgesteuerte Blutglukosemessungen“. Hier beobachten Patienten in ihrem Alltag, wie sich ihre Aktivitäten und Therapieschritte auf den Blutglukosespiegel auswirken. Insulin wird so von Beginn an zu einem aktiven Steuerungsinstrument und nicht zu einem unausweichlichen Schicksalsschlag. Die Ergebnisse gehen in eine „patientenzentrierte Stufentherapie“ ein, in der Selbstverantwortung und Selbstwirksamkeit sukzessiv gestärkt werden. Letztlich wird auf diesem Weg eine individuell maßgeschneiderte Insulintherapie entwickelt, die der Patient in seinem Alltag bestmöglich umsetzen und mit seinen Lebenszielen verbinden kann.

Stationäre Diabetesschulungen

Bis weit in die 90er Jahre wurden qualifizierte stationäre Diabetesschulungen im Rahmen einer Therapieoptimierung von Kostenträgern unterstützt. Derzeit wird die Schulung als Indikation für eine stationäre Aufnahme nur in seltenen Fällen, z.B. in der Pädiatrie, akzeptiert. Die Mehrheit der Schulungen wird heute ambulant durch Diabetes-Schwerpunktpraxen oder diabetologisch qualifizierte Hausärzte angeboten. Trotzdem hat die qualifizierte individuelle Schulung der wegen schwerwiegender Folgeoder Zweiterkrankungen stationär behandelten Patienten mit Diabetes weiterhin eine große Bedeutung. Um beispielsweise Rezidive bei einem Diabetischen Fußsyndrom zu vermeiden, ist eine individuelle Beratung und Motivation zur konsequenten Wundversorgung, zur Druckentlastung und zur Fußpflege unverzichtbar. Wenn wegen einer Zweiterkrankung, eine längerfristige Therapie mit Kortikoiden indiziert ist, muss der Patient in die Lage versetzt werden, seine Insulintherapie so daran anzupassen, dass eine Ketoazidose vermieden wird. Angesichts der vielfältigen somatischen und auch psychosozialen Probleme stationär behandelter Patienten mit Diabetes ist eine besonders qualifizierte individuelle Schulung weiterhin unverzichtbar, um den therapeutischen Erfolg nach der Entlassung aufrechtzuerhalten und wiederholte stationäre Aufnahmen zu vermeiden.

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