Dr. Oliver Mann - Interview über Adipositas
25.03.2011 -
Dr. Oliver Mann im Interview über Adipositas. Das Thema Adipositas nimmt in den letzten Jahren einen immer größeren Stellenwert in der deutschen Gesellschaft ein. Was man bislang nur als „Schauergeschichten“ aus den Vereinigten Staaten kannte ist heute auch in Europa Realität. Um mit vielen Unklarheiten aufzuräumen sprach Anika Schröter mit Dr. Oliver Mann, Oberarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, über den Behandlungsfall Adipositas in deutschen Krankenhäusern. Dr. Manns Schwerpunkt ist die Minimal-Invasive Chirurgie in der interdisziplinären Adipositas.
Management & Krankenhaus: Herr Dr. Mann, die „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KIGGS) herausgegeben vom Robert-Koch Institut hat ergeben, dass etwa 15 % der genannten Kinder und Jugendlichen zwischen 3–17 Jahren stark übergewichtig sind. Welche Erfahrungen haben Sie in der Behandlung von jüngeren und älteren Patienten gemacht?
Dr. Oliver Mann: Prinzipiell stehen bei der Behandlung dieser Patientengruppe nicht-chirurgische Therapieoptionen im Vordergrund. In diesem Zusammenhang spielt die Prävention eine sehr große Rolle. Allerdings gibt es eine stetig wachsende Anzahl von Patienten, bei welchen die Krankheit Adipositas so weit fortgeschritten ist, dass ohne operative Verfahren keine Heilung mehr möglich ist. Dies gilt insbesondere für Patienten, die trotz ihres jungen Alters schon unter schweren gewichtsbedingten Nebenerkrankungen leiden. So können wir beispielsweise bei dem überwiegenden Teil der Patienten mit adipositas-assoziierter Blutzuckerkrankheit eine Heilung erzielen. Dies gilt in gleicher Weise für die anderen o. g. Begleiterkrankung. Und nicht zuletzt führt dies zu einer deutlichen Steigerung der Lebensqualität und Lebenserwartung.
Welche Altersgruppe ist Ihrer Erfahrung nach eher von Übergewichtigkeit betroffen?
Dr. Oliver Mann: Mittlerweile sind in Deutschland ca. 60 % der Männer und ca. 50 % der Frauen übergewichtig. Auch jedes 4.–5. Kind ist übergewichtig, davon 15 % sogar extrem. Dies betrifft nahezu jede Altersgruppe und auch jede soziale Schicht. Das heißt man kann von einem lawinenartigen Prozess ausgehen, der wenn er nicht gestoppt und umgekehrt wird uns künftig vor gewaltige – nicht nur ökonomische – Probleme stellen wird.
In den USA gibt es bereits einige Studien zum Thema übergewichtige Patienten. Dennoch bleiben viele Fragen offen, wie zum Beispiel nach der richtigen Dosierung der Medikamente. Auch eine psychologische Schulung des Pflegepersonals zum korrekten Umgang mit den Betroffenen ist angeregt worden. Wie hat sich Ihr Krankenhaus auf diese Thematiken eingestellt?
Dr. Oliver Mann: Der Schlüssel für den Erfolg liegt in der Etablierung eines interdisziplinären Adipositaszentrums. In diesem bündelt sich die gesamte Kompetenz des Universitäts-Klinikums rund um alle Aspekte die direkt und indirekt mit der chronischen Erkrankung Übergewicht zu tun haben. Dieses Team arbeitet fach- und berufsgruppenübergreifend und steht mit sämtlichen beteiligten Disziplinen das ganze Jahr rund um die Uhr zur Verfügung. Auch eine regelmäßige Schulung des gesamten Teams ist ein integraler Bestandteil der Philosophie. Ziel unseres Zentrums ist es jedem Patienten die für ihn individuell beste Therapie zukommen zu lassen.
Welche praktischen Maßnahmen haben Sie bereits umgesetzt, um übergewichtige Patienten ähnlich zeitnah wie durchschnittlich wiegende Patienten zu behandeln? Müssen Sie für einen XXL-Patienten z. B. mehr Personal einplanen als für andere Patienten?
Dr. Oliver Mann: Durch die sehr große Anzahl der Patienten die wir behandeln haben wir Behandlungspfade entwickelt, die eine optimale Versorgung ermöglichen. Dadurch unterscheiden sich durch die Erfahrung des gesamten Teams die Abläufe nicht mehr von Patienten mit anderen Erkrankungen. Bei den chirurgisch behandelten Patienten haben wir inzwischen eine mittlere postoperative Verweildauer über alle Operationsverfahren von 4–5 Tagen. Durch die minimal-invasiven Operationstechniken sind die Patienten in der Regel schon nach 1–2 Tagen wieder in der Lage sich nahezu komplett selber zu versorgen, so dass ein nur unwesentlich höherer Personalaufwand nötig wird.
Glauben Sie man muss umdenken? (Stichpunkt: was ist heute noch normal?)
Dr. Oliver Mann: Man muss sicherlich umdenken. Das heißt aber vor allem, dass wir uns der Erkrankung Übergewicht mit all ihren Folgen erheblich mehr annehmen müssen. Das „Problem“ Übergewicht bedroht unsere Gesellschaft. Es müssen also dringend Strukturen geschaffen und Konzepte entwickelt werden, die sich insbesondere damit beschäftigen, dass wir diese katastrophale Entwicklung umkehren.
Die Ursachen für Adipositas sind vielfältig und hängen auch mit dem persönlichen Verhalten zusammen. Welche Therapiemöglichkeiten sehen Sie vor diesem Hintergrund und mit den medizintechnischen Möglichkeiten für Patienten?
Dr. Oliver Mann: Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Therapie auf den einzelnen Patienten individuell maßgeschneidert ist. So wie es für einen extrem übergewichtigen Patienten unsinnig ist ihn alleine durch verhaltenstherapeutische Ansätze behandeln zu wollen, ist es für einen Patienten mit nur geringem Übergewicht falsch ihn primär chirurgisch zu behandeln. Daher ist es wichtig, dass diese Patienten von einem spezialisierten, interdisziplinären Team von Fachleuten beurteilt werden und dann einer optimalen – meist multimodalen – Therapie zugeführt werden. Diese Konzepte haben dann eine sehr hohe Erfolgsquote – von extrem seltenen Ausnahmen abgesehen kann man so für jeden Patienten eine erfolgreiche Behandlungsstrategie entwickeln.
Welche Maßnahmen, im medizintechnologischen und psychologischen Bereich, sollten Ihrer Meinung nach dringend umgesetzt werden?
Dr. Oliver Mann: Und auch hier ist es wichtig, dass die Zahl der Spezialisten, die sich mit dem Thema Adipositas beschäftigen wächst. Diese Kompetenz muss dann fester Bestandteil eines interdisziplinären Adipositasteams werden, um so eine umfassende und nachhaltige Behandlung der chronischen Erkrankung Fettleibigkeit zu ermöglichen.
Vielen Dank für das informative Gespräch Herr Dr. Mann.