Emanzipierte Krankenhäuser
Kliniken gehen neue Wege im Versorgungsmanagement
Vernetzte Versorgungsstrukturen stehen bei Krankenhäusern und Kostenträgern weit oben auf der Agenda: 73% der Entscheider in Kliniken, bei Krankenkassen und in der privaten Krankenversicherung bewerten ein integriertes Versorgungsmanagement als sehr wichtig für das eigene Unternehmen. Im Wettstreit, wer dabei die federführende Rolle einnehmen wird, haben gesetzliche und private Krankenversicherungen derzeit noch die Nase vorn.
Im Gegensatz zu den Kliniken können die Kostenträger in der integrierten Versorgung auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen. So räumte der Gesetzgeber den Krankenkassen schon 2004 ein, eigene Verträge in diesem Bereich abzuschließen. Seither haben sie der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung bereits rund 6.400 Vertragsabschlüsse gemeldet, überwiegend mit niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten, aber auch mit Krankenhäusern.
Morbiditätszuschlag fördert kostengünstige Behandlungswege
Der neue Risikoausgleich für die Morbiditätsstrukturen der Versicherten (Morbi-RSA) hat das Interesse der Kassen an einer kostensparenden Behandlungskoordination noch verstärkt. Nicht mehr nur junge und gesunde Mitglieder sind für die gesetzlichen Versicherer attraktiv. Auch Patienten der 80 vordefinierten Krankheitsgruppen gehören zu den begehrten Versicherten - wenn ihre Behandlungskosten den Morbiditätszuschlag aus dem Gesundheitsfonds nicht überschreiten. So wollen alle Krankenkassen bis 2012 ihr Versorgungsmanagement intensivieren. Auch bei den privaten Versicherern, die ebenfalls von qualitativ hochwertigen, aber gleichzeitig kostengünstigen Behandlungen profitieren, verfolgen 97% dieses Vorhaben.
Nun wollen die Kliniken in der integrierten Versorgung zu den Krankenversicherungen aufschließen. Den höchsten Stellenwert legen sie dabei auf die Vernetzung mit anderen Leistungserbringern wie niedergelassenen Ärzten, aber auch Reha- und Pflegeeinrichtungen. 96% der Krankenhäuser planen in diesem Bereich Vertragsabschlüsse oder neue Kommunikationsstrukturen. Die Optimierung der transsektoralen Behandlung genießt bei den Kliniken hohe Priorität. Entlassene Patienten sollen ambulant bestmöglich versorgt werden, um so die Notwendigkeit einer Wiedereinweisung zu minimieren. Sog. transsektorale Behandlungspfade spielen für die Krankenhäuser ebenfalls eine wichtige Rolle. Solche an Diagnosegruppen ausgerichteten, standardisierten Behandlungsabläufe planen vier von fünf Kliniken. Sie ermöglichen eine effizientere Therapie und verhelfen zu mehr Transparenz, was zur Zufriedenheit von Patienten und Mitarbeitern beiträgt.
Versorgungsmanagement wird zum neuen Geschäftsfeld
Um die damit verbunden Anforderungen an Logistik und Verwaltung zu meistern, bieten sich den Krankenhäusern verschiedene Optionen. 78% wollen ihr bestehendes Pflegemanagement professionalisieren, etwa jede zweite Klinik plant, ihren Sozial- und Pflegedienst zu erweitern. Etwas mehr als ein Drittel der Krankenhäuser will mit der Ausgründung einer eigenen Servicegesellschaft neue Wege einschlagen. Durch qualifizierte ambulant-ärztliche Versorgungen im Krankenhaus und der vertraglich geregelten Kooperation mit Sanitätshäusern oder HomeCare-Unternehmen lassen sich Behandlungen optimieren. Darüber hinaus ist so ein wirtschaftlicherer Hilfsmitteleinsatz bei der ambulant-ärztlichen Behandlung im Krankenhaus möglich. Koordinierende Krankenhausärzte werden ihre Tätigkeiten in Kooperation mit Sanitätshäusern in einen neuen Zusammenhang stellen. Langfristig verlängern Kliniken auf diese Weise ihre Wertschöpfungskette. Eine absolute Transparenz der Behandlungsabläufe und Versorgungsstrukturen für Patienten und Kostenträger ist dabei unerlässlich.
Haben solche spezialisierten Gesellschaften erst einmal Erfahrungen mit dem Versorgungsmanagement des Mutterhauses gesammelt, könnten sie ihre Dienstleistung auch anderen Leistungserbringern auf dem Markt anbieten.
Künftig werden Krankenhäuser die Strukturen in der integrierten Versorgung aktiv mitgestalten. Etwa zwei Drittel von ihnen planen, vermehrt Selektivverträge mit den Kostenträgern abzuschließen. 44% der Kliniken haben vor, dazu einen eigenen Vertrieb aufzubauen. Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen sind damit insgesamt in der integrierten Versorgung auf dem Weg, sich von den Krankenversicherungen zu emanzipieren. Indem sie eigene Netzwerke schaffen und neue Vertriebs- und Geschäftsmodelle entwickeln, könnten sie den Kassen ihre bisherige Hoheitsrolle streitig machen.