Läuten Kardiologen das Ende der Radiologen ein?
23.05.2014 -
Läuten Kardiologen das Ende der Radiologen ein?. Gleich zwei der Festvorträge auf dem Europäischen Radiologenkongress in Wien im März diesen Jahres beschäftigten sich mit demselben wichtigen Thema: Laufen die Radiologen Gefahr, von Fachärzten mit größerer Kontrolle über ihre Patienten an den Rand gedrängt zu werden?
Prof. Fred Keller, Ordinarius des Dotter Interventional Institute in Oregon, USA, verwies auf das schleichende Eindringen der Gastroenterologie, Urologie, Nephrologie und Pneumologie.
Der Peter Mansfield-Festvortrag wurde von Prof. Gabriel Krestin, Ordinarius für Radiologie am Universitätsklinikum der Erasmus Universität in Rotterdam, Niederlande, gehalten und konzentrierte sich auf nur eine Bedrohung: Kardiologie.
Das Bild des schlagenden Herzens gilt als der „Heilige Gral“ der nichtinvasiven Bildgebung, sagte Prof. Krestin.
Im Mittelpunkt des Interesses sowohl der Kardiologen als auch der Radiologen steht das vierdimensionale Bild – d.h. die drei Dimensionen des Raumes plus die Dimension der Zeit.
Wie auch der Heilige Gral symbolisiert dieses Bild etwas Seltenes, Wertvolles und fast Unerreichbares.
Doch entgegen der Suche nach dem Heiligen Gral ist dieses Bild, dank bisher beispielloser technischer Neuerungen, nun fast greifbar geworden.
Insbesondere die Fortschritte auf dem Gebiet der Kernspintomographie (MR) haben die Möglichkeiten in der Darstellung des Herzens erweitert.
Mit der MR lassen sich nun Morphologie des Myokards und der juxtakardialen großen Gefäße, Herzfunktion und Myokardkontraktilität, quantitative Flowbestimmung, Myokardperfusion und -vitalität insbesondere der infarzierten Areale abklären.
Allerdings ist für die Koronarangiographie die Mehrzeilen-Computertomographie (MDCT) die Technologie der Wahl, da das MR doch gewisse Einschränkungen aufweist – beispielsweise lassen sich 16 % der Koronarien nicht kernspintomographisch untersuchen.
Weitere neuartige Anwendungen stehen kurz vor dem Durchbruch: Pulse Sequencing und Rekonstruktion; Weiterentwicklungen bei der Hardware, beispielsweise Hochfeld-MR des Herzens mit deutlich besserem Signal/Rausch-Verhältnis; Zellmarkierung, so dass bei der Stammzelltherapie einzelne Zellen abgebildet werden können; Abklärung der koronaren Plaquebelastung insgesamt, Aufschlüsselung der Zusammensetzung koronarer Plaques, Erfassung vulnerabler Plaques, und nicht zu vergessen funktionell-metabolische Kombinationsuntersuchungen.
All diese Fortschritte haben das so schwer fassbare Ziel – die nichtinvasive kardiologische Bildgebung – in Reichweite der Radiologen gebracht und damit auch für mögliche Konflikte mit ihren Kollegen, den Kardiologen, gesorgt.
Sofern sie dieser Entwicklung nicht positiv gegenüber eingestellt sind, werden sie leer ausgehen.
Prof. Krestin stellte die Frage, ob die beiden Fachdisziplinen kooperationsfähig seien oder ob in Zukunft schwere Gebietskämpfe toben würden. Er beleuchtete die ökonomische Dimension, indem er die mittlere Häufigkeit der Koronarangiographie in Europa mit den mittleren Kosten dieser Prozedur multiplizierte: Alleine dieses Untersuchungsverfahren stellt für die europäischen Kardiologen ein Jahresvolumen von 3,5 Mrd. € dar.
Die Schlachtlinien sind bereits festgelegt, sagte er, und zitierte den früheren Präsidenten des American College of Cardiology, Michael J. Wolk, der sich im American Journal of Cardiology äußerte:
„Der Kampf um die Bildgebung wirkt sich auf jeden Einzelnen von uns aus, und zum Sieg wird dieser Kampf beträchtliche Ressourcen und erhebliches Engagement verlangen. Und wir werden siegen.“
Eine Literatursuche in Medline unterstützt diese Sichtweise. Zwischen 1995 und 2005 verdoppelte sich die Anzahl der Veröffentlichungen zur kardialen Bildgebung, doch hierbei fanden sich doppelt so viele Arbeiten von Nicht- Radiologen wie von Radiologen.
Die radiologische Selbstüberweisung – d.h. ein Kardiologe oder Kliniker aus anderen Schwerpunkten überweist den Patienten für einen diagnostischen Eingriff, den er/sie dann selbst vornimmt – nimmt in den USA zu, teilweise bedingt durch die Notwendigkeit einer Defensivmedizin zur Vermeidung von Behandlungsfehlervorwürfen, und dieser Trend ließ sich auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern beobachten.
Er stellte die Frage, warum die Radiologen den Kampf um die kardiale Bildgebung verlieren.
Weil sie keine Kontrolle über den Patienten haben, passiv agieren, keine Forschung betreiben, und die Kardiologen ein besseres Verständnis der Physiologie des Herzens besitzen.
Dennoch, und da zitierte er Prof. Jörg Debatin, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg, „Teamwork ist von zentraler Bedeutung, will man das Potential eines wachsenden Marktes auch wirklich abschöpfen.“
Zur Sicherung einer solchen Zusammenarbeit bedarf es eines formalen Rahmens. Das am Universitätsklinikum der Erasmus Universität umgesetzte Modell verankerte die Sektion Kardiale Bildgebung sowohl in der Radiologie- als auch Kardiologieabteilung; alle Kliniker und Forschungsmitarbeiter werden gemeinsam berufen und unterstehen einem gemeinsam berufenen Professor der Kardioradiologie, bei dem es sich um einen in der kardialen Bildgebung ausgewiesenen Kardiologen handelt.
Die Radiologieabteilung stellt nur das technische Personal und ist alleiniger Eigentümer der Geräte.
Obwohl das Universitätsklinikum Erasmus ein gemeinnütziges Unternehmen ist, werden der Radiologieabteilung sämtliche Untersuchungen zum Selbstkostenpreis erstattet. Und auch das ist von Bedeutung – sämtliche wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Habilitationen und Dissertationen erscheinen im Namen beider Fachbereiche.
Seit ihrer Inbetriebnahme im Universitätsklinikum Erasmus in 2001 sind aus dieser Sektion 67 peer-reviewed Veröffentlichungen und fünf Habilitationen hervorgegangen, und es wurden die allerneuesten MR- und CT-Technologien implementiert – 4, 16 und 64-Zeilen-CT sowie verschiedene 1,5 und 3 Tesla MR-Tomographen; des Weiteren wurden 1.200 CT-gestützte Koronarangiographien, 800 kardiale MR-Untersuchungen mit Fragestellung zu Funktion bzw. Vitalität sowie 400 MR-Scans wegen angeborener Herzfehler durchgeführt.
Philippa Pigache, Fairfield, Grßbritannien