Lehren aus der Krise! Corona und die Folgen für Pflegeheime
29.06.2020 -
Masken, Abstand, Isolation. Der Coronavirus trifft Senioren- und Pflegeheime besonders hart. medAmbiente befragte Dr. David Kröll von der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) zum Umgang mit der Krise, über Schutzausrüstung und Hygiene, um Pflegende und Angehörige – sowie die Lehren, die daraus auch für die Zukunft zu ziehen sind.
Herr Dr. Kröll, der Corona-Virus ist eine ernste Gefahr für Pflegeheime. Wie kommen nach Ihrem Eindruck die Einrichtungen damit inzwischen zurecht?
David Kröll: Manche Einrichtungen haben sich mittlerweile gut mit der Ausnahmesituation arrangiert, andere tun sich auch nach einigen Wochen schwer. Jetzt zeigt sich, wer frühzeitig Konzepte entwickelt hat und schon einen Schritt weiter ist. Ich habe den Eindruck, dass zu Beginn nicht jeder davon ausging, dass wir es mit einer dauerhaften Situation zu tun haben. Denn, falls nicht bald ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird, wird es noch monatelang Einschränkungen in Einrichtungen geben. In gewisser Weise zeigt die Krise überdeutlich auf, wo Probleme liegen: Gab es vorher schon Schwierigkeiten, großen Personalmangel usw., dann stehen diese Einrichtungen auch jetzt schlechter da. Andere hatten da mehr Ressourcen, auch um kreative Lösungen zu finden.
Was sind die größten Schwierigkeiten?
David Kröll: Die Einrichtungen müssen einen Spagat leisten zwischen dem Schutz der Bewohner und der Mitarbeiter vor dem Virus und den ebenfalls gravierenden Auswirkungen sozialer Isolation. Das geht nur mit einem durchdachten Konzept, das die individuellen Begebenheiten einer Einrichtung berücksichtigt und im Idealfall mit den zuständigen Behörden abgesprochen ist. Neben dem Vorhalten von ausreichend Schutzausrüstung muss momentan alles auf den Prüfstand gestellt werden: Kann man Einzel- oder Kleingruppenangebote anbieten als Ersatz für die normalen Aktivitäten? Gibt es einen größeren Raum, in dem man Treffen des Heimbeirats mit erforderlichem Abstand möglich machen kann? Wie wird die Essenssituation entsprechend der Hygieneregeln gelöst? Wie kann man Besuche, virtuelle und vor Ort, ermöglichen? Wichtig ist auch, dass man die Angehörigen beteiligt und transparent kommuniziert. Sehr viele Ratsuchende haben uns berichtet, dass sie ohne Info oder Begründung von einem Tag auf den anderen nicht mehr in die Einrichtung durften, plötzlich keine persönlichen Gegenstände mehr abgeben konnten und Vieles mehr. In den meisten Fällen waren die Infos zu den Änderungen spärlich. Dabei gibt es grundsätzlich ein großes Verständnis für Einschränkungen – aber man muss wissen, warum eine bestimmte Sache getan wird.
Wie sieht es mit der Hygieneausstattung, der Qualität der Sanitäreinrichtungen, der Verfügbarkeit von Schutzausrüstung etc. in den Einrichtungen aus?
David Kröll: Dass es überhaupt einen Mangel an Schutzausrüstung gibt, ist ein Skandal. Dass es zu Beginn einer neuartigen bedrohlichen Situation zu Engpässen kommt, ist verständlich, aber nach mittlerweile sieben Wochen sollte das behoben sein – Schutzausrüstung muss verfügbar sein. Wir hören von Einrichtungsseite, dass Schutzausrüstung auf dem Markt wieder vorhanden ist, aber die Preise dafür sehr angezogen haben. Diese zusätzlichen Kosten, auch für sonstige Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, sollten für die Einrichtungen aus einem Rettungsschirm gedeckt werden, um zu verhindern, dass die Zusatzkosten zusätzlich den Bewohnern aufgebürdet werden. Es bleiben aber aus derzeitiger Sicht auch viele Fragen offen: Warum gibt es denn Einrichtungen, die genügend Schutzausrichtung vorhalten und andere nicht? Wer schaut darauf und an wen kann man sich wenden als Einrichtung? Das Corona-Virus stellt eine neue Dimension der Bedrohung durch ein Virus dar, aber auch im Hinblick auf andere Infektionskrankheiten wie die Grippe oder MRSA müssen die Konzepte und Zuständigkeiten dringend überprüft werden.
Es gibt auch Besuchsverbote für Angehörige, die teils auch unbegründet zu sein scheinen. Wie sehen Sie das?
David Kröll: Die rechtliche Situation zu den Besuchseinschränkungen ändert sich momentan nahezu täglich und ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Gerade am Anfang waren die Einrichtungen aufgrund teilweise fehlender Allgemeinverfügungen gezwungen, darüber zu entscheiden und hatten teilweise große Spielräume. Viele Einrichtungen haben sich dann verständlicherweise zunächst für das weitreichendste Mittel entschieden und Besuche ganz verboten. Das sind für die Betroffenen nicht nur Einschränkungen, wie wir sie alle zurzeit erfahren, sondern gravierende Defizite mit starken Auswirkungen, wenn etwa die Bezugsperson eines demenziell veränderten Bewohners fehlt oder nach dem Schlaganfall keine Physiotherapie möglich ist. Dies ist mit dem notwendigen Schutz abzuwägen. Daher müssen für alle notwendigen Besuchergruppen, auch die Angehörigen, Schutz- und Hygienekonzepte erstellt und Schutzkleidung bereitgestellt werden. So verständlich die Reaktion der Einrichtungen zu Beginn gewesen ist, Besuche einzuschränken, kann die soziale Isolierung kein Dauerzustand sein.
Wie schaffen es Einrichtungen, die Bewohner vor dem Virus und gleichzeitig vor noch mehr Einsamkeit zu schützen?
David Kröll: Es gibt mittlerweile gut praktikable Konzepte von Besuchscontainern über außerhäusliche, begleitete Begegnungen auf dem Gelände bis hin zu speziell bereiteten Besuchszimmern und ausgebauten digitalen Kontaktmöglichkeiten. Hier bedarf es neuer innovativer Wege und Ideen, ausgerichtet an den Fähigkeiten der jeweiligen Bewohner. In einigen Einrichtungen gibt es schon gute Konzepte, alle anderen sollten schleunigst damit anfangen, da die Länder mittlerweile nach und nach solche Regelungen erlassen. Pauschale Ratschläge sind dabei aber schwierig. Solche Konzepte müssen die individuellen Gegebenheiten berücksichtigen. Es muss quasi eine „neue Normalität“ geschaffen werden, die den veränderten Realitäten angepasst wird. Das ist anstrengend, aber diese Abwägung ist notwendig.
Werden die Erfahrungen mit dieser Pandemie auch die Zeit nach ihrer Überwindung verändern und prägen – und wenn ja, wie?
David Kröll: Die Erfahrungen der Krise offenbaren in gewisser Weise Probleme im Pflegesystem, die bereits vorher bestanden haben. Wir hoffen, dass man die richtigen Schlüsse daraus ziehen wird. Nach der Krise sollte man sich prinzipielle Fragen stellen, etwa: Warum gibt es denn Einrichtungen, die genügend Schutzausrichtung vorhalten und andere nicht? Wer schaut darauf und an wen kann man sich wenden als Einrichtung? Das Corona-Virus stellt eine neue Dimension der Bedrohung durch ein Virus dar, aber auch im Hinblick auf andere Infektionskrankheiten wie die Grippe oder MRSA müssen die Konzepte und Zuständigkeiten dringend überprüft werden. Auch sollte man sich genau anschauen, wo die Krise gut gemeistert wurde und wo es Probleme gab. Wir vermuten, dass dann dieselben Probleme zum Vorschein kommen, wie vorher, dass etwa Einrichtungen mit weniger Personalmangel besser aus der Krise hervorgehen. Wenn man sieht, welche Auswirkungen dies hat, hat man vielleicht neue Argumente, um die Sachlage nachhaltig zu verbessern.
Wie unterstützen Sie als Verband die Einrichtungen, Pflegebedürftigen und Angehörigen?
David Kröll: Wir sind als Interessenvertretung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen natürlich in erster Linie diesen Mitgliedern verpflichtet. Diesen bieten wir Information, Schulungen von Heimbeiräten, Vorträge und rechtliche Beratung. Dazu betreiben wir politische Lobbyarbeit im Sinne unserer Mitglieder. Unsere Beratungen bei Problemen mit einer Einrichtung sind immer auf Konsens ausgerichtet. Das heißt, wir treten mit allen Beteiligten in Kontakt, versuchen zu vermitteln und eine Lösung zu finden.
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