Gesundheitsökonomie

Unter einer Haube: Beruf und Familie

09.08.2010 -

„Ich muss mal kurz weg." - „Ich komme morgen später." - Neben den beruflichen Verpflichtungen wird der alltägliche Rhythmus von Mitarbeitern gleichermaßen durch Öffnungszeiten von Kindergärten, Schulstundenplänen, Behördenterminen oder plötzlichen Krankheitsfällen in der eigenen Familie bestimmt. Familiäre Angelegenheiten der Arbeitnehmer mit den Betriebsabläufen im Krankenhaus unter eine Haube zu bringen, erscheint häufig als nicht realisierbar. Es gibt eine Vielzahl von Konzepten, die auch dem Arbeitgeber von Nutzen sind. Dem sollte indes eine Überprüfung betrieblicher Qualitätsmerkmale vorausgehen.

Bei den St. Augustinus-Kliniken in Neuss nimmt eine familienbewusste Personalpolitik für die mehr als 4.000 Mitarbeiter einen hohen Stellenwert ein. Ein Jahr lang unterzog sich das Unternehmen den strengen Regeln des „audit berufundfamilie". Jetzt händigte Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Vorsitzender der Geschäftsführung der St. Augustinus-Kliniken, Paul Neuhäuser, das Zertifikat zum Audit aus. Die Deckung des Finanzmittelbedarfs für technische und medizinische Geräte und für Ausstattungen sowie für die Verbesserung der Gebäudestruktur bereitet den Verantwortlichen in Krankenhäusern und Kliniken arges Kopfweh. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Berlin, haben die Krankenhäuser und Kliniken im Jahr einen Investitionsbedarf von insgesamt rund 5,5 Mrd. €. Derzeit erhalten diese lediglich 2,8 Mrd. € jährlich. Nach DKG-Schätzungen haben sich so über viele Jahre bundesweit bereits rund 50 Mrd. € Investitionsbedarf aufsummiert.

„Wir sehen uns als christliches Unternehmen - vor allem in der besonderen Verpflichtung, die Familie zu schützen und zu fördern", erklärt Neuhäuser. „Im Mittelpunkt steht dabei die Möglichkeit, die Sorge um die eigene Familie mit dem Dienst an den Menschen, die sich unseren Einrichtungen anvertrauen, zu vereinbaren. Darüber hinaus ist das Audit angesichts der demografischen Entwicklung und des bevorstehenden Fach- und Führungskräftemangels vor allem auch eine Investition in die betriebliche Zukunft."

Für Bundesministerin Schröder zahlt sich Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz auch für den Betrieb aus: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von ihrem Betrieb unterstützt werden, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen, kehren früher aus der Elternzeit zurück, fallen seltener aus und arbeiten produktiver. Außerdem sind familienfreundliche Betriebe als Arbeitgeber attraktiver. Eine zukunftsfähige, innovative Wirtschaft ist ohne familienfreundliche Arbeitsbedingungen auf Dauer nicht möglich."

„Wir haben in den vergangenen 12 Monaten jede Menge Zeit und Geld in diverse Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit investiert. Davon werden nun unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Bereichen profitieren", erläutert der Personalleiter der St. Augustinus-Kliniken, Bernward Gellenbeck. „Ein Meilenstein wird die Eröffnung unserer Kindertagesstätte am Standort des Johanna-Etienne-Krankenhauses im August diesen Jahres sein", fügt er hinzu.

„Die Auditierung der Neusser Kliniken ist ein Beispiel von vielen", weiß Stefan Becker, Geschäftsführer berufundfamilie Service, zu berichten: „Insgesamt rund 80 Arbeitgeber im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens haben sich mit Erfolg diesem Verfahren unterzogen."

Neuste Untersuchungen zeigen, dass eine familienbewusste Personalpolitik ein wichtiger betriebswirtschaftlicher Entscheidungsparameter ist, der den Unternehmenserfolg nachhaltig beeinflusst. Becker verweist darauf, dass das „audit beruf-undfamilie" ein Managementinstrument zur Förderung familienbewusster Personalpolitik in kleinen Betrieben ebenso wie auch Großunternehmen und öffentlichen Verwaltungen sei.

Dabei werden nicht nur bereits umgesetzte Maßnahmen begutachtet, sondern auch betriebsindividuelle Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt und realisierbare Ziele vereinbart.

„Bei vielen Arbeitgebern fehlt schlichtweg das Wissen, wie der Weg zur einen familienbewussten Politik beschritten werden kann", beschreibt Becker die Ausgangssituation. „Eine Reihe aufeinander abgestimmte Maßnahmen zeigen auf, wie sogar kleine und überschaubare Angebote enorm entlasten können. Dabei geht es nicht darum, möglichst viele, sondern möglichst passgenaue Lösungen zu finden und umzusetzen. Diese berücksichtigen sowohl die Bedürfnisse der Beschäftigten als auch die Möglichkeiten des jeweiligen Unternehmens. Denn sind Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen ausgewogen, profitieren beide Seiten."

Um die Umsetzung einer familienbewussten Personalpolitik in den Unternehmen voranzutreiben, hat das Bundesfamilienministerium das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie" ins Leben gerufen. Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kommen dabei in den Genuss einer finanziellen Förderung für ihr Engagement in der betrieblichen Kinderbetreuung.

Außerdem setzt das Bundesfamilienministerium mit dem Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung" aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds bundesweit konkrete Anreize für Unternehmen, sich für die Betreuung der Kinder ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu engagieren. Es können auch mehrere Unternehmen gemeinsam am Programm teilnehmen. Insbesondere für KMU eröffnet das Programm so die Möglichkeit, mit anderen Unternehmen zu kooperieren, um neue Betreuungsplätze zu schaffen.
Überdies fördert das Bundesfamilienministerium die Aktivitäten der Initiative berufundfamilie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Inzwischen bezuschussen auch zahlreiche Bundesländerregierungen die Auditierung von kleinen und mittleren Betrieben.

Ausgewählte Maßnahmen für eine familienorientierte Personalpolitik

Bereich Mitarbeiter Zeitmanagement:

  • Gleitzeit
  • Jahresarbeitszeit
  • Abgestufte Teilzeit
  • Teilzeit während der Elternzeit
  • Urlaubsregelung
  • Sonderurlaub

Bereich Arbeitsablaufmanagement:

  • Arbeit mit nach Hause nehmen
  • Alternierende Telearbeit
  • Teamarbeit
  • Früher beruflicher Wiedereinstieg
  • Eltern-Kind-Arbeitszimmer

Bereich Kommunikation nach innen und außen:

  • Akzeptanz von -„Familienkarrieren"
  • Mitarbeitergespräch
  • Rückkehrgespräch
  • Ansprechpartner „Balance von Familie und Arbeitswelt"
  • Kontakthaltemöglichkeit
  • Intranet
  • Betriebsfest für Betriebsangehörige mit Familie
  • Veranstaltungen für Pensionäre

Bereich Familienservice

  • für Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter:
  • Essen aus der Betriebskantine
  • Haushaltsnahe Dienste
  • Geburtsbeihilfe
  • Kooperation in der Kinderbetreuung
  • Belegplätze in Kindergärten
  • Unterstützung bei Kinderbetreuung in Notsituationen
  • Zuschuss zur Kinderbetreuung
  • Unterstützung bei der Pflege
  • Aushilfstätigkeit für Angehörige


Quelle: „Familienorientierte Personalpolitik", Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK); berufundfamilie

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