NDM-1: Eine exotische Antibiotikaresistenz mit globalem Gefährdungspotenzial?
02.09.2010 -
Die Globalisierung verändert unsere Welt nachhaltig. In der Wirtschaft kommt dieses Phänomen am deutlichsten zum Tragen, doch auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens werden die Einflüsse immer stärker. Wer beispielsweise einen Blick in den Gesundheitssektor wirft wird feststellen, dass die Gefahr von weltweiten Epidemien in den letzten Jahren ständig zugenommen hat. Ihren vorläufigen Höhepunkt hatte die Entwicklung mit der Schweinegrippe (H1N1) im letzten Jahr erreicht, doch das Damoklesschwert der globalen Massenerkrankung scheint auch weiterhin über uns zu schweben.
Herausforderung Antibiotikaresistenz
Als größtes Problem stellt sich dabei die Fähigkeit vieler Bakterien zur Bildung von Antibiotikaresistenzen heraus. Durch den vermehrten und oftmals auch unnötigen Einsatz vorhandener Antibiotika konnten sich nur solche Bakterien durchsetzen, die ein Resistenzgen in sich trugen. Diese Resistenzgene lassen sich auf so genannten Plasmiden finden, die nicht in das Erbgut des Bakteriums eingebaut sind. Mithilfe der auf den Plasmiden eingespeicherten Informationen ist das Bakterium in der Lage, ein Enzym zu produzieren, das die Wirkung des jeweiligen Antibiotikums neutralisiert.
Wenn nur einige wenige Bakterien die Fähigkeit besäßen solche Enzyme zu bilden, bräuchte man sich über den Umstand der Antibiotikaresistenz keine weiteren Gedanken machen. Da die Plasmidringe jedoch nicht in das Erbgut eingebunden sind, können sie in einer großen Geschwindigkeit unter den Bakterien ausgetauscht und verbreitet werden, was dazu führt, dass immer mehr Bakterienstämme eine Resistenz erlangen und die Antibiotikahersteller vor immer größere Aufgaben gestellt werden.
In der Vergangenheit konnten sich Mediziner bei auftretenden Resistenzen durch die große Auswahl an Antibiotika behelfen. Wenn eine gewisse Anzahl verabreichter Antibiotika nicht wirkte, gab es immer noch „Carbapeneme", weithin bekannt als Notfall-Antibiotikum. Eingesetzt wurde es bisher nur in schwerwiegenden Infektionsfällen, um zu verhindern, dass die Bakterien eine Resistenz entwickeln können. Für den Fall, dass Carbapeneme nicht mehr wirkt, gibt es keine ernstzunehmende Alternative. Genau das ist jetzt eingetreten.
Multiresistente Bakterien mit NDM-1 Gen
Der Name des resistenzgebenden Enzyms ist Carbapenemase NDM-1 („Neu-Delhi Metallo-Beta-Laktamase") und hat jetzt auch in Europa das erste Todesopfer gefordert. Ein aus Pakistan stammender Mann hat sich während eines Heimatbesuchs mit dem Erreger infiziert und starb in Brüssel an den Folgen. Erste NDM-1 bildende Bakterien wurden vor geraumer Zeit auch in Deutschland entdeckt, in Indien und dem restlichen Asien ist die Resistenz sogar schon seit längerem bekannt. Die Carpabenemresistenz ist also keine neue Entwicklung und steht nun schon längere Zeit im Blickfeld der Antibiotikaresistenzüberwachung.
Die Besonderheit an den NDM-1 tragenden Bakterien ist die besondere Struktur der Zellwand. Bevorzugt die Gram-negativen Bakterien der Gattung Klebsiella tragen das Gen in sich, was die gezielte Anwendung von funktionierenden Antibiotika schwierig gestaltet. Gram-negative Bakterien galten, im Gegensatz zu Gram-positiven, wie beispielsweise MRSA, bisher als eher harmlos. Um Gram-positive Bakterien erfolgreich bekämpfen zu können, wurden in der Vergangenheit immer wieder neue Antibiotika entwickelt - auch um möglichen Resistenzen vorzubeugen. Da Gram-negative Bakterien als weit weniger gefährlich gelten, gibt es kaum wirksame Mittel zur Bekämpfung.
"Aber das ist dasselbe Muster wie bei MRSA", weiß Wolfgang Witte vom Robert Koch Institut. "Erst gibt es vereinzelte Fälle, dann nimmt die Häufigkeit zu und es kann außer Kontrolle geraten." Es steht somit außer Frage, dass die Entwicklung von Antibiotika gegen Gram-negative Bakterien schleunigst vorangetrieben werden muss, sonst besteht tatsächlich die Möglichkeit einer vermehrten globalen Ausbreitung.
Die Gefährdung des globalen Dorfs
Interkontinentaler Tourismus, globale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie Medizintourismus geben den Erregern ideale Voraussetzungen, sich zu einem globalen Phänomen zu entwickeln. Insbesondere Asienreisende sind gefährdet, sich mit dem resistenten Bakterium zu infizieren, eine Behandlung ist dann nur noch unter erschwerten Umständen möglich.
Eine besondere Rolle bei der Verbreitung der NDM-1 tragenden Bakterien spielt der Medizintourismus. Viele Menschen lassen sich aus Kostengründen lieber in Indien oder Pakistan operieren und nehmen somit leichtsinnig eine Infektion in Kauf. Auch nicht zwingend notwendige Eingriffe, wie beispielsweise Schönheitsoperationen, lassen viele Europäer mittlerweile in den kostengünstigen asiatischen Ländern vornehmen. Bei Operationen in diesen, hygienisch nicht immer einwandfreien, Kliniken ist die Gefahr einer Infektion natürlich am größten, was der Ausbreitung von Bakterien, auch solchen mit NDM-1 Gen, entgegenkommt.
Deutschland ist vorbereitet
Das Robert Koch Institut schaut der Entwicklung des NDM-1 Gens dennoch gelassen entgegen. Aus dem, eigens zur NDM-1 Entwicklung, angelegten FAQ des Robert Koch Instituts lässt sich entnehmen:
„Das Robert Koch-Institut hat in den vergangenen drei Jahren das Antibiotika-Resistenz-Surveillance System ARS aufgebaut, um die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen frühzeitig zu erkennen. Über molekular-epidemiologischen Analysen können neu auftretende Resistenzgene identifiziert werden. Aufgrund der vorhandenen Daten wird geschätzt, dass NDM-1 vermittelte Resistenzen in Deutschland bisher noch sehr selten auftreten"
In Kombination mit verbesserter Krankenhaushygiene lässt sich eine Ausbreitung in Deutschland ohne größeren Aufwand verhindern.
Sollte es dennoch zu einer Ansteckung kommen, gibt es immer noch ein Antibiotikum, das auch gegen NDM-1 wirkt. Colistin ist ein, unter Medizinern nicht unumstrittenes, 50 Jahre altes Antibiotikum, welches neben den Bakterien auch die Nieren und das Nervensystem angreift. Doch besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. „Im Zweifelsfall ist der Patient gerettet, aber die Nieren sind kaputt", lautet die treffende Aussage von Wolfgang Witte.