IT & Kommunikation

Digitale Defizite in Krankenhaus-Organisationen

27.07.2020 -

Vor ähnlichen Herausforderungen wie Industrieunternehmen stehen auch Krankenhäuser.

Sie müssen gleichzeitig die (medizinische) Versorgung sichern, profitabel wirtschaften und widerstandsfähig gegen verschiedenste Risiken sein. Helfen können den hochkomplexen Organisationen dabei Industrie-4.0-Technologien. Der Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Betriebliche Anwendungssysteme (Prof. Dr. Stefan Smolnik) der FernUniversität in Hagen stellte mit einer Gap-Analyse fest, dass sich die Wertschöpfung in Krankenhäusern durch Digitalisierung verbessern lässt. Insbesondere das Internet of Things, Big-Data- und Mobile-Health-Technologien können dazu beitragen, Effizienz und Flexibilität zu erhöhen.

Prof. Smolnik, Dr. Karolin Kappler und Florian Neft wollten wissen, wo die Fachleute deutscher Krankenhäuser die größten Potenziale sehen, um Mängel im Leistungsspektrum zu beheben. Ihre deutschlandweite Datenerhebung mit einer Online-Umfrage und Interviews im Jahr 2019 zeigte, dass sich die Krankenhäuser erheblich anstrengen müssen, um gleichzeitig Versorgungsqualität, Profitabilität und Risikoresistenz zu garantieren. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.

Mit der breit angelegten Studie wurden vor allem die unterschiedlichen Potenziale unterstützender Technologien überprüft: Internet of Things, Big Data, mobile Endgeräte zur Gesundheitsüberwachung, Robotik, Virtuelle Realität und Analyseverfahren. Ebenso wie bei der Industrie 4.0 ging es um konkrete Technologien wie Wearables, vernetzte Kommunikationsendgeräte und Sensoren, mit denen die Effizienz im Krankenhaus gesteigert werden kann. Und darum, ob der „Dienstleister Krankenhaus“ die Erwartungen der Patienten als seinen Kunden erfüllt.

Die Lösungen

Die Evaluierung ergab, dass Mobile Health, Big Data und Internet of Things langfristig bei der Lösung der Probleme helfen und viele Wertschöpfungsprozesse verbessern können. Das gilt auch für Robotik, Virtual sowie Augmented Reality und Radio-Frequency Identification (RFID, „Identifizierung durch elektromagnetische Wellen“).

Die größten Potenziale maßen die Fachleute vor Ort dem Internet of Things und Big Data zu: „Viele Krankenhäuser sind ja immer noch analog aufgestellt“, so Karolin Kappler. „Dass Ärzte Probleme haben, bei der Visite auf der Station Laborergebnisse einzusehen, weil die hausinternen Labore ihre ausgedruckten Berichte per Hauspost versenden, ist nicht mehr zeitgemäß.“

Große Hoffnungen werden auch auf die Weiterentwicklung zum „Smart-Krankenhaus“ gesetzt. So könnte an Schutz- oder andere Kleidung mit Sensoren gedacht werden, die feststellen, dass ein Kittel bakterien- oder virenbelastet ist.

Flexibilität erhöhen

Mit mehr Digitalisierung hoffen die Befragten einem der größten Probleme der Krankenhäuser abhelfen zu können: unzureichender Flexibilität. In den Interviews kam immer wieder heraus, dass vor allem kleine Krankenhäuser, aber auch die Universitätskliniken schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen können, im Notfallbereich schon bei zwei bis drei Schwerverletzten. Natürlich haben alle Krankenhäuser Pläne für eine größere Zahl von gleichzeitig eintreffenden Schwerverletzten oder gefährlich Infizierten. „Aber diese Flexibilität ist sehr begrenzt“, so Kappler. „Deshalb müssen sie sich mit Nachbar-Kliniken vernetzen.“

Die Interviewten wären froh, wenn ihnen die digitalen Technologien zur Verfügung stünden, welche die Industrie 4.0 für sehr schnelle „Nachfrageanpassungen“ nutzt. Denn auf die vielen vernetzten Dienste und Prozesse der Organisationseinheit Krankenhaus kann auch eine kurzfristige Bettenaufstockung – z.B. auf Intensivstationen – sehr schnell massive Auswirkungen haben: „Wenn man weiß, dass man eine bestimmte Zahl neuer Fälle hat und wenn man die Auswirkungen kennt, ist eine flexible Anpassung möglich. Dafür sind eine Datenvernetzung und eine automatisierte Weitergabe genau dann notwendig, wenn irgendwo im Haus eine relevante Information entsteht.“ Doch gerade bei der Kommunikation, der Reaktionsfähigkeit auf z.B. Patientenzahländerungen, der Verwaltung sowie der IT-Ausstattung gibt es Defizite. Offensichtlich sind die genutzten Technologien oft veraltet und es fehlen Schnittstellen. Dann können weder die Bedürfnisse des Personals noch die der Patientinnen und Patienten erfüllt werden.

Krankenhäuser und Industrie 4.0

Die Arbeit an der Studie begann mit der These „Krankenhäuser müssen immer stärker wie Industrieunternehmen funktionieren.“ Karolin Kappler: „Die Industrie 4.0 ist der ‚digitalisierte globale Prototyp‘. Wir haben untersucht, inwiefern Krankenhäuser diesem Modell entsprechen bzw. wie groß die Lücke, der Gap, ist.“

Krankenhäuser sind komplexe Organisationen, deren medizinischer (Kern-)Betrieb erst durch viele Dienstleistungen und Prozesse ermöglicht wird: Wäschelogistik, Speiseversorgung, Hol- und Bringdienste, Laboruntersuchungen, Arzneimittelversorgung, etc. Beim Einkauf von Gütern und externen Dienstleistungen konkurrieren die Klinken oft mit vielen anderen Nachfragern auf den globalen Märkten, ebenso beim Recruiting von Arbeitskräften.

„Man kann und muss das Krankenhaus also auch als Wirtschaftsbetrieb sehen, in dem es um Wertschöpfung geht, weil viele Prozesse betriebswirtschaftlicher Natur sind“, betont Kappler. „Deshalb wollten wir Technologien und Prozesse, die man von der Industrie 4.0 bereits kennt, mit denen in Kliniken vergleichen und schauen, wo die deutschen Krankenhäuser stehen. Auf jeden Fall haben sie noch sehr viel zu tun.“

Zudem wird dieser Wandel hin zu mehr Digitalisierung nicht günstig. Die Lösungen sind oftmals kurzfristig mit hohen Kosten verbunden. Dennoch führen Zeitersparnisse, vermiedene Doppelarbeiten und die erhöhte Transparenz zu langfristigen sowie nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen.

Ausgangspunkt für die Untersuchung war die Masterarbeit von Florian Neft. Durch den FernUni-Absolventen ergaben sich Kontakte mit Verantwortlichen in Krankenhäusern, von kleinen privaten bis zu großen Universitätskliniken – vor allem Technischen Leitern und Managern.

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