IT & Kommunikation

Vor der TI-Einführung – Klinik-IT im Umbruch

14.05.2020 -

Die Krankenhaus-IT-Infrastruktur in Deutschland steht vor dem Umbruch.

Wichtige Detailfragen für die Einführung der Rechenzentrums-Konnektoren sind noch offen, dennoch besteht die Frist bis zum 31.12.2020. Gleichzeitig müssen die KIS-Systeme, das Rückgrat dieser Infrastruktur, die mit der Digitalisierung einhergehenden Herausforderungen bewältigen. Jan Neuhaus, Geschäftsführer „IT, Datenaustausch und eHealth“ der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft, Berlin beantwortet wesentliche Fragen.

M&K: Krankenhäuser stehen angesichts der Digitalisierung vor gewaltigen Herausforderungen. Ganz konkret steht die Anbindung der Krankenhäuser an die Telematikinfrastruktur (TI) bis zum 31.12. 2020 an. Einige Fragen sind hier noch nicht abschließend geklärt. Offen ist u.a. wie und mit welchen Standards die über die TI erfassten Daten in die Krankenhausinformationssysteme (KIS) integriert werden sollen. Was ist Ihre Position dazu? Mit welchen Standards kann die Interoperabilität gewährleistet werden?

Jan Neuhaus: Der Termin 31.12.2020 steht im aktuellen Gesetz und wird im Referentenentwurf des Patientendatenschutzgesetz so beibehalten und um weitere Fristen zu diesem Tag ergänzt. Wenn man bedenkt, dass für die Ausstattung der Krankenhäuser Konnektoren benötigt werden, die Notfalldaten und das eRezept beherrschen (PTV3-Konnekten) und davon erst einer einen Feldtest angekündigt hat, für die elektronische Patientenakte (EPA) gar ein PTV4-Konnektor benötigt wird, kann man heute schon feststellen, dass dies nicht funktionieren wird.

Interoperabilität ist heute weniger eine Frage der Schnittstellen, sondern der Inhalte. Hier spricht man auch von semantischer Interoperabilität. Eine Datei von A nach B zu übertragen ist heute einfach. Dies auch noch so zu bewerkstelligen, dass die Daten weder verloren gehen, noch verändert werden können noch dritten bekannt werden ist schwieriger. Aber diese Sicherheitsfunktionen werden direkt von der TI bereitgestellt – niemand wird dies mehr neu erfinden müssen. Nutzbar sind diese Daten aber erst, wenn Sender und Empfänger unter den Daten das Gleiche „verstehen“ – dies fängt bei den verwendeten Katalogen an und geht bis zur detaillierten Festlegung, welche Verfahren zur Ermittlung bestimmter Daten verwendet werden. Zum Beispiel müssen sich beide Seiten darüber einig sein, dass ein Entlassbrief im Attribut „Dokumententyp“ immer eine bestimmte Zahl enthält und man muss bei einem Feld „Alter“ auf beiden Seiten davon ausgehen, dass dies immer das Alter am Tag des Beginns eines stationären Aufenthaltes ist. Hier werden die medizinischen Informationsobjekte (MIOs) eine wichtige Rolle spielen. Hierbei geht es zwangsweise nicht nur um die EPA, sondern um den Kernbereich der Interoperabilitätsfrage. Deshalb wäre es auch so wichtig gewesen, hier ein mehr konsensorientiertes Verfahren aufzustellen. Es ist überhaupt nicht hilfreich, wenn auch verständlich, dass hier versucht wird zuerst schnelle Ergebnisse zu liefern, bevor ein Rahmengerüst erstellt wurde, das sicherstellt, dass das ganze Spektrum der zu bearbeitenden Dokumente praktikabel umgesetzt werden kann.

Verbände wie die Freie Ärzteschaft äußern immer wieder Bedenken hinsichtlich der Vertraulichkeit und Schutz der in der elektronischen Patientenakte und über die TI geteilten Daten. Wie kann diese nötige Sicherheit gewährleistet werden? Welche Zugriffsrechte sind sinnvoll, welche nicht und welche Daten sollen also ausgetauscht werden?

Neuhaus: Die größte Gefahr für die Sicherheit entsteht, wenn jeder das Thema neu erfindet – hier ist die TI ein riesiger Fortschritt. Die Sicherheitstechnik wird spezifiziert, vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der Öffentlichkeit geprüft und jeder kann sich darauf verlassen, dass ihm niemand vorwirft, einen unsicheren Weg verwendet zu haben, wenn Daten über die TI ausgetauscht werden. Auch die Zugriffsrechte brauchen für die TI eigentlich nicht neu geregelt zu werden. Auch ohne TI ist klar geregelt, wer worauf Zugriff haben darf. In den meisten Fällen entscheidet der Patient wer die Daten sehen darf und das ist gut so. Viel wichtiger ist die Frage, wer den Patienten hilft, zu entscheiden, welche Daten wann z.B. in die EPA sollten – dies ist nicht generell zu beantworten und je nach medizinischer Situation sehr differenziert zu betrachten. Hier wird sehr wahrscheinlich viel „sprechende Medizin“ notwendig werden, die aber dann auch vergütet werden muss. Ob man es persönlich für kritisch hält, dass bei der EPA nun zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Versicherten ihrer Krankenkasse den Zugang zu den Daten gewähren dürfen, muss jeder für sich persönlich entscheiden.

Für wie komplex halten Sie generell die Einführung der TI-Infrastruktur in Kliniken, auch vor dem Hintergrund, dass der Rechenzentrums-Konnektor immer noch nicht verfügbar ist. Welches Vorgehen empfehlen Sie? Was ist kostenseitig zu beachten?

Neuhaus: Von der Erstattungsseite können die Krankenhäuser schon heute genau kalkulieren, wie hoch die Pauschale für den Telematikzuschlag ausfallen wird – diese hängt nur an exakt messbaren Kriterien, was ein großes Plus der getroffenen Vereinbarung ist. Wie hoch die Ausstattungskosten werden und wie sich die Betriebskosten entwickeln, hängt aber stark vom Einführungsprozess ab. Wer über hundert Kartenterminals mit Arbeitsplätzen und Konnektoren verbinden muss, sollte genau schauen, wie sich die Wartungskosten entwickeln. Eine für den Rechenzentrumskonnektor zusätzlich geforderte Eigenschaft ist, dass er 50 Kartenterminals innerhalb von zwölf Minuten neu verbinden können muss. Dies ist existentiell, wenn z.B. nach einem Hardwarefehler ein Konnektor ersetzt werden muss. Falls ein normaler Konnektor, für den diese Vorgabe nicht gilt, dies nicht schafft, kann dies zu deutlich längeren Ausfällen der Anmeldungen führen.

Der Einführungsprozess selber ist sehr komplex und wird häufig unterschätzt – es braucht einen guten Projektmanager der die Koordination übernimmt. Insbesondere für die Einführung der elektronischen Patientenakte müssen sowohl technisch komplexe Anpassungen vorgenommen werden, als auch die klinischen Prozesse verändert werden – die Aufnahme mit einer flächendeckenden TI und medizinischen Anwendungen wird anders ablaufen, als dies heute der Fall ist. Zu diesem Thema bereitet die DKG in Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedern aktuell Handlungsempfehlungen vor.

Die Digitalisierung der Krankenhäuser als überwölbendes Thema hängt ja auch ganz eng mit den KIS-Systemen zusammen. Hier findet aktuell eine Marktkonsolidierung statt, die Chancen bieten kann. Sie wird aber das Management der Krankenhäuser noch mehr dazu zwingen, sich über die Modernisierung ihrer KIS-Infrastruktur Gedanken zu machen. Denn als zentrales Element der KH-Infrastruktur müssen sie zukunftsfest sein. Was sollte ein KIS der Zukunft leisten können? Sind bestehende Systeme erneuerungsfähig oder ergibt eine Ablösung mit modularen Systemen im Zuge der TI-Einführung Sinn?

Neuhaus: Der KIS-Markt in Deutschland ist ein besonderer – nirgendwo sind so komplexe Bestimmungen mit so drastischen Änderungen zu berücksichtigen. Hinzu kommt die Kleinteiligkeit der Regulierung, die zum Teil extrem unterschiedliche Datenschutzbestimmungen in den Bundesländern hat – gerade die Auftragsverarbeitung, also das Auslagern von IT-Systemen, ist davon betroffen. Die Architekturen der meisten Krankenhaus-Informationssysteme sind in einem zweistelligen Alter, aber eine komplette Umstellung ist schon aufgrund der vielen individuellen Anpassungen und des unterbrechungsfreien Betriebs der Krankenhäuser kaum möglich. Auch müssen die Datensicherungen immer noch eingelesen werden können – also ist ein längerer Parallelbetrieb notwendig. Hier wird es wahrscheinlich eher dazu kommen, dass die Datenhaltung langsam als eigene Komponente aufgebaut wird und sich dann modulare Komponenten auf einer konsolidierten Datenschicht etablieren. Hier ist man dann ganz nah am Thema Digitalisierung – als erstes müssen die Daten erschlossen werden und dann kann daran gedacht werden, darauf auch neue Prozesse zu gestalten.

www.dkgev.de

Zur Person

Jan Neuhaus ist Diplom-Informatiker und Geschäftsführer des Dezernates III (IT, Datenaustausch und eHealth) der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. in Berlin. Das Dezernat übernimmt in vielen Gremien die Vertretung der DKG als Gesellschafter der gematik. Die Arbeitsgruppe „Krankenhaus-Informationstechnik“, beschäftigt sich unter Federführung des Dezernates auch intensiv mit Fragen des Datenschutzes. In seiner vorherigen Position bei der Tieto Deutschland GmbH war Jan Neuhaus als Director Software Development für die Entwicklung des Krankenhausinformationssystems iMedOne verantwortlich.


 

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