Innovation und Prävention
Anforderungen an die Gesundheitspolitik aus Sicht der Diagnostica-Industrie
Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt 87 Mitgliedsunternehmen mit 24.000 Mitarbeitern. Diese überwiegend mittelständischen Firmen sind sehr forschungsintensiv, ca. 14% ihrer Belegschaft arbeiten in Forschung und Entwicklung. Als wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung unterliegt die In-vitro-Diagnostica einem scharfen Preiswettbewerb, sind doch ihre Leistungen nur Bestandteil der Abrechnung im Krankenhaus oder des niedergelassenen Arztes. So stiegen die GKV-Ausgaben insgesamt von 1993 bis 2008 um 45%, die Ausgaben für das Labor um 14,5%.
Dr. Jörg Raach sprach mit Dr. Martin Walger, Geschäftsführer des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH) in Berlin, über die beiden zentralen Problembereiche, den langen Zeitraum zum GKV-Einsatz von Diagnostica-Innovationen und die Vernachlässigung sekundär-präventiver Gesundheitsvorsorge.
M & K: Sie sind seit Mitte letzten Jahres Geschäftsführer des VDGH, waren vorher lange für die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft tätig. Sehen Sie übereinstimmende Interessen dieser beiden Verbände?
Dr. Martin Walger: Sicher sehe ich gemeinsame Interessen. Wenn Innovationen in der Labordiagnostik ohne Verzögerungen Teil der GKV-Versorgung werden, können Krankheiten schneller und besser diagnostiziert werden. Dadurch kann die Arzneimitteltherapie wirksamer werden, können Nebenwirkungen vermieden werden. Die Verweildauer wird verkürzt, die Behandlungskosten insgesamt sinken. Innovative Labor-Diagnostik wird künftig im Zuge der vielfältigen Möglichkeiten der Personalisierten Medizin immer wichtiger werden. Nur durch spezifische vorhergehende und therapiebegleitende Diagnostik zur Erkennung bestimmter Genvarianten ist die individualisierte Arzneimitteltherapie möglich.
Können Sie uns dafür Beispiele nennen?
Walger: Herceptin wirkt gegen Brustkrebs nur dann, wenn bei der Patientin bestimmte Genvarianten vorhanden sind. Bei Vectibix, ein Mittel gegen metastasierende kolorektale Karziome, ist dies ähnlich. Abacavir, ein Mittel der antiretroviralen Therapie bei HIV-Infektion, hat bei Patienten mit einem bestimmten Gen schwere Nebenwirkungen. Eine entsprechende Genanalyse im Labor würde Komplikationen und Belastungen der Kranken vermeiden, wird jedoch noch nicht erstattet.
Wie lange dauert es gegenwärtig, bis Innovationen der Labordiagnostik durch die GKV erstattet werden?
Walger: Das ist sehr unterschiedlich. Immer dauert es zu lange, da mehrere Prüfinstanzen bremsen. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2006 gab es beispielsweise keine Neuaufnahmen im EBM. Bei Troponin, ein inzwischen unumstrittener Marker für Herzinfarkt, dauerte es acht Jahre bis eine Erstattung möglich wurde. Bei dem Verfahren zur Viruslastbestimmung waren es „nur" vier Jahre.
Bis 2009 gab es auch kein geregeltes Verfahren zur Beurteilung innovativer Laborleistungen im Hinblick auf Anpassungen des Kapitels 32 EBM. Jetzt gibt es immerhin eine Verfahrensordnung. Es ist zu hoffen, dass dadurch auch eine Verkürzung der Prüfung möglich wird, dass in Zukunft gar mit verbindlichen Zeitfristen gerechnet werden kann. Die entsprechende Formulierung im Koalitionsvertrag gibt zu hoffen: „Kosten-Nutzen-Bewertungen müssen praktikabel nach klaren, eindeutigen Kriterien erfolgen.
Die Arbeit des IQWiG werden wir auch unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patientinnen und Patienten, Leistungserbringer und Hersteller verbessern. Dabei werden wir die Betroffenen frühzeitig beteiligen."
Welche Möglichkeiten hat die Labordiagnostik bei der Prävention?
Walger: Das gesamtwirtschaftliche Effizienzpotential der Labordiagnostik liegt in der Früherkennung von Krankheiten. Früherkennung hilft Krankheiten zu vermeiden, ihren Ausbruch zu verzögern oder ihr Ausmaß zu mindern.
Was bedeutet dies für die Präventionspolitik?
Walger: Die Politik muss den Fokus von der Primärprävention auf die Sekundärprävention verschieben. Bislang waren Verhaltensänderungen Ziel von Präventionsmaßnahmen. Ehrgeizige Ziele, deren Wirksamkeit schwer zu überprüfen sind und die nur im geringen Maße erreicht wurden. Bemühungen um ein umfassendes Präventionsgesetz sind gescheitert. Die Politik muss sich erreichbare Nahziele setzen. Früherkennung muss ein fester und angemessener Bestandteil des GKV-Leistungskataloges werden, Kassen und Versicherten müssen Anreize zur Teilnahme an Früherkennungsprogrammen etablieren, Ärzte und Kassen besser über entsprechende Möglichkeiten informiert werden.
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