Medizin & Technik

Strahlenschutz in der Radiologie und Nuklearmedizin

24.05.2012 -

Nach einer Bevölkerungsumfrage der Deutschen Röntgengesellschaft vom Oktober 2010 wird die Anwendung ionisierender Strahlung in der Medizin und der Einsatz von medizinischen Großgeräten in Diagnose und Therapie für wichtig erachtet und geschätzt. Der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Würzburg Prof. Dr. Christoph Reiners erläutert die Risiken.

M&K: Ist Strahlenschutz für Mitarbeiter und Patienten in der Radiologie und Nuklearmedizin angesichts einer optimierten Medizintechnik überhaupt noch relevant? Welche Gefahren gilt es abzuwenden?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Der Strahlenschutz in der Medizin ist durchaus relevant; die Exposition pro Kopf der Bevölkerung durch die Medizin liegt heute mit rund 2,5 Millisievert (mSv) pro Jahr in der gleichen Höhe wie die Exposition aus natürlichen Quellen. Dabei ist über die Jahre eine Zunahme der medizinischen Exposition u.a. durch neuere Verfahren erkennbar.

Beim Strahlenschutz in der Medizin geht es darum, strahlenbedingte Risiken für Patienten, Mitarbeiter und die Umwelt nach dem ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) so gering wie vernünftiger Weise möglich zu halten. Bei diagnostischen Expositionen in der Röntgendiagnostik und Nuklearmedizin sind akute Strahlenschäden bei Dosen, die sich maximal im Bereich des 5 - 10fachen der natürlichen jährlichen Exposition bewegen, mit Sicherheit auszuschließen. Bei diesen Expositionen geht es in erster Linie um die Minimierung eines eigentlich nur hypothetischen Krebsrisikos, das bei den genannten Expositionswerten in der Größenordnung des Bruchteils von 1% liegt.

Auf welchen Regelungen basiert der medizinische Strahlenschutz in Deutschland?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Der medizinische Strahlenschutz basiert auf den Vorgaben der EURATOM-Grundnorm von 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlung.

Die Bundesregierung hat dazu zuletzt im Jahre 2001 die Strahlenschutzverordnung für den Bereich der Nuklearmedizin und Strahlentherapie sowie im Jahre 2003 die Röntgenverordnung erlassen. Hierin ist zum Beispiel niedergelegt, dass jede Anwendung ionisierender Strahlung in der Medizin der „rechtfertigenden Indikation" durch den Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz bedarf. Die rechtfertigende Indikation erfordert die Feststellung, dass der gesundheitliche Nutzen einer Anwendung am Menschen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt. Andere Verfahren mit vergleichbarem gesundheitlichem Nutzen, die mit keiner oder mit einer geringeren Strahlenexposition verbunden sind, sind bei der Abwägung zu berücksichtigen.

Weiterhin sind in den genannten Verordnungen Grenzwerte für die Exposition der Mitarbeiter und der Bevölkerung niedergelegt. In zu diesen Verordnungen gehörenden Richtlinien finden sich detaillierte Vorgaben für die vom anwendenden Arzt und den Mitarbeitern der verschiedenen medizinischen Assistenzberufe nachzuweisenden Fachkunde-Qualifikationen.

Außerdem werden in diesen Richtlinien Vorgaben für die technische Abnahme und Qualitätskontrolle der Geräte sowie allgemeine Qualitätssicherungsmaßnahmen gemacht. Der Arzt hat nachzuweisen, dass er vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlichte diagnostische Referenzwerte der Strahlenexposition für Patienten einhält. Zur Überwachung dieser Vorgaben wurden „Ärztliche Stellen" eingerichtet, die bei den Landesärztekammern beziehungsweise den Kassenärztlichen Vereinigungen angesiedelt sind.

Halten Sie die bestehenden Grenzwerte für ausreichend?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Grenzwerte gibt es nach den einschlägigen Verordnungen nur für das beruflich exponierte Personal (max. 20 mSv/a) und die Bevölkerung (max. 1 mSv/a). Diese Grenzwerte sind ausreichend und werden bei der medizinischen Anwendung ionisierender Strahlung immer eingehalten. Für Patienten gibt es sinnvollerweise keine Grenzwerte, da zum Beispiel in der Strahlentherapie relativ hohe Dosen benötigt werden, um Tumorgewebe erfolgreich abzutöten. Es gilt aber immer das eingangs erwähnte „ALARA-Prinzip".

Halten Sie die beruflich strahlenexponierten Mitarbeitenden für ausreichend geschult und sensibilisiert angesichts der Problematik?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Die Ausbildung der Mitarbeiter in Radiologie und Nuklearmedizin erfolgt in Deutschland auf einem hohen Level. Ein Arzt darf in der Röntgendiagnostik oder Nuklearmedizin nur tätig werden, wenn er über die nötige Sach- und Fachkunde verfügt, die im Rahmen der Weiterbildung und in Form von speziellen Kursen (mit Prüfungen) erworben wird. Diese Fachkunde muss alle fünf Jahre durch einen Aktualisierungskurs erneut nachgewiesen werden. Dies gilt im Übrigen auch für die Mitarbeitenden der Assistenzberufe.

An welchen wissenschaftlichen Standards und Kriterien orientiert sich die radiologische ­Ausbildung der Mediziner?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Grundlage der Ausbildung ist das eingangs erwähnte „Rechtfertigungsgebot". Die Strahlenschutzkommission beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat hierzu eine „Orientierungshilfe für radiologische und nuklearmedizinische Untersuchungen" herausgegeben, die während der Ausbildung - aber auch danach - wichtige Hinweise zur Wahl des geeigneten Untersuchungsverfahrens geben kann.

Welche Strahlenschutzmaßnahmen und Vorrichtungen halten Sie für am wirkungsvollsten?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Es gilt die alte Grundregel im Strahlenschutz: „1 Gramm Hirn ist besser als 1 Tonne Blei". Entscheidend für den Strahlenschutz am Arbeitsplatz ist einerseits die vernünftige Planung der Arbeitsbereiche unter den durch Verordnungen und Richtlinien gegebenen Vorgaben für beispielsweise Zulassungsbeschränkungen. Anderseits führt die konsequente Umsetzung dieser Regeln für die unter Umständen täglichen Qualitätssicherungsmaßnahmen zu einem optimalen Strahlenschutz für den Patienten.

Könnten Kliniken wirkungsvollere (vielleicht jedoch auch teurere) Maßnahmen ergreifen, um Mitarbeitende und Patienten vor Strahlen im medizinischen Bereich besser zu schützen?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Die von den Behörden und den ärztlichen Stellen in Deutschland strikt überprüften Strahlenschutzmaßnahmen führen in der Regel zu einem ausreichend sicheren Strahlenschutz. Allerdings sollten Maßnahmen zur Optimierung - sofern in vertretbarem Rahmen durchführbar - nicht außer Acht gelassen werden.

Wie beurteilen Sie die Rückkoppelung Medizin und Medizintechnik - entwickelt die Industrie Geräte, die Sie in der Medizin benötigen?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Diese Frage kann grundsätzlich mit Ja bezeichnet werden. Gerade die jüngsten Entwicklungen in der Computertomographie zeigen, wie bei diesem ansonsten relativ dosisintensiven Verfahren durch methodische Weiterentwicklungen beträchtlich an Dosis und damit an Strahlenexposition für den Patienten eingespart werden kann. Des Weiteren haben sich in den letzten Jahren sowohl die Magnetresonanztomographie als auch die Sonographie rasant weiterentwickelt; beides Verfahren ohne Strahlenexposition.

Gibt es in naher Zukunft Veränderungen im Strahlenschutz, die Kliniken zu medizintechnischen Umstellungen verpflichten werden?

Prof. Dr. Christoph Reiners: Es stehen Novellen der Strahlenschutzverordnung und der Röntgenverordnung an. Referentenentwürfe liegen bereits vor. Die danach anstehenden Änderungen betreffen in erster Linie die Vorgaben für die Durchführung von röntgen- oder nuklearmedizinischen Untersuchungen im Rahmen von Forschungsvorhaben oder in der Veterinärmedizin. Mit grundsätzlichen Änderungen für die Anwendungen im Rahmen der Krankenversorgung und evtl. dadurch bedingten medizintechnischen Änderungen ist nicht zu rechnen.

Zur Person

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Reiners, ist Nuklearmediziner und hauptamtlicher Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Würzburg. Als Mitglied des Medizinausschusses und Vorsitzender der Strahlenschutzkommission hat er die Bundesregierung in allen Angelegenheiten des Schutzes vor ionisierenden und nicht-ionisierenden Strahlen beraten.

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