Antibiotikaeinsatz in deutschen Kliniken: Es gibt Verbesserungsbedarf
18.11.2024 - Beim Einsatz von Antibiotika gibt es in deutschen Kliniken Verbesserungsbedarf.
Wie eine kürzlich im Fachmagazin „Eurosurveillance“ publizierte Studie zeigt, werden Antiinfektiva oft nicht optimal eingesetzt – was die Entstehung resistenter Erreger begünstigt. Die Bestandsaufnahme an zehn nicht-universitären Krankenhäusern in Süddeutschland zeigt sowohl bei der Wahl der Mittel, als auch bei der Therapieplanung und der Dokumentation teils deutlichen Verbesserungsbedarf. Untersuchungen wie diese seien essenziell, um Stellschrauben für einen verantwortungsvolleren Antibiotikaeinsatz und eine verbesserte infektiologische Behandlung zu identifizieren, so die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Die Publikation der Studie fällt mit der World AMR Awareness Week der WHO zusammen, die vom 18. bis 24. November auf das Problem von Antibiotikaresistenzen weltweit aufmerksam macht.
AMR steht im internationalen Medizinjargon für „Antimicrobial Resistance“ – also für die Tatsache, dass sich in der Welt der Mikroben zunehmend Resistenzen ausbreiten, die in unterschiedlichem Ausmaß nahezu jedes antimikrobiell wirksame Medikament betreffen. In der Folge sind Infektionskrankheiten zunehmend schwerer behandelbar, das Risiko für schwere Erkrankungen und Todesfälle steigt. „Laut Schätzungen der WHO sind resistente Erreger jedes Jahr an fast 5 Millionen Todesfällen weltweit beteiligt, als direkte Todesursache gelten sie in 1,27 Millionen Fällen“, sagt Siegbert Rieg, Professor für Klinische Infektiologie am Universitätsklinikum Freiburg und Mitglied des DGI-Vorstands.
Antibiotika-Verordnung anhand von 14 Qualitätskriterien überprüft
Bereits vor Jahren wurde daher das Konzept des Antimicrobial Stewardship (AMS) entwickelt, das Standards für einen nachhaltigen und verantwortungsvollen Umgang mit antimikrobiell wirksamen Substanzen formuliert. In welchem Maße diese Standards in deutschen außeruniversitären Kliniken erfüllt werden, haben die Autoren der jetzt in „Eurosurveillance“ publizierten Studie ausgewertet: Insgesamt wurden die Fälle von 8560 Klinikpatienten aus zehn nicht-universitären Krankenhäusern eingeschlossen. 2861 dieser Patienten, also 33 %, erhielten mindestens ein Antibiotikum. Anhand von 14 Qualitätskriterien wurde die Qualität des Antibiotikaverordnung bewertet. „Dabei ging es nicht nur darum, ob der Einsatz von Antibiotika im Einzelfall überhaupt berechtigt war oder nicht“, erläutert Rieg, der federführend an der Studie beteiligt war und Letztautor der Veröffentlichung ist. „Auch die Art des Antibiotikums, die Darreichungsform, die Dauer der Medikation sowie die Frage, ob der Verabreichung eine Testung vorausging, wurden herangezogen.“ Des Weiteren gingen Aspekte wie die Therapieplanung und die Dokumentation in die Bewertung ein.
Zu wenig Diagnostik, zu viele Breitspektrumantibiotika
Das Ergebnis der Bestandsaufnahme: In der Gesamtschau aller teilnehmenden Kliniken lag der Erfüllungsgrad in nur 4 der 14 Kategorien über den angestrebten 85 Prozent. „Positiv hervorzuheben ist, dass in relevanten Kategorien wie Indikation, Bestätigung der Infektion und Wahl der Dosierung der Erfüllungsgrad erreicht wurde. Auch die Dauer der antibiotischen Prophylaxe bei Operationen wurde eingehalten“, so Rieg.
Verbesserungsbedarf hingegen besteht durchgängig bei der Diagnostik, bei der zu oft auf die Anlage einer Blutkultur vor Beginn der Therapie verzichtet, und keine adäquate Erregerbestimmung vorgenommen wurde. Dieses Defizit ist eng verbunden mit einem weiteren – nämlich der zu häufigen Verwendung von breit wirksamen Antibiotika. „Von besonderer Bedeutung ist deshalb auch der Befund, dass Standardantibiotika aus der WHO-Kategorie „Access“ zu selten eingesetzt wurden, dafür sogenannte „Watch“-Antibiotika, die eigentlich speziellen Anwendungen vorbehalten bleiben sollten, zu oft“, kritisiert Rieg. Auch im europäischen Vergleich bestehe somit deutlicher Verbesserungsbedarf, so der Infektiologe.
Auf die Auswertung des Ist-Zustands folgt eine Interventionsphase
Die aktuelle Publikation umfasst den ersten Teil der so genannten ID ROLL OUT Studie, bei der der Ist-Zustand unter Normalbedingungen in 10 außeruniversitären Kliniken erhoben wurde. In der sich anschließenden Interventionsphase, die derzeit noch ausgewertet wird, wurden dann gezielte AMS-Maßnahmen ergriffen, und in der Hälfte der Kliniken zusätzlich Fachärzte oder Fachärztinnen für Infektiologie involviert. Innerhalb dieser zweiten Phase soll untersucht werden, wie die Einführung von AMS-Programmen genau strukturiert sein muss, und wieviel spezialisiertes Personal erforderlich ist, um die infektiologische Versorgung und den Einsatz von Antibiotika zu optimieren.
Gerade das außeruniversitäre Setting macht die Daten besonders wertvoll. „Die große Mehrzahl der stationären Behandlungen findet nicht in Unikliniken statt“, sagt Professor Dr. med. Maria Vehreschild, Präsidentin der DGI. Die Daten aus ID ROLL OUT seien daher von großer Relevanz und lieferten Hinweise für konkrete Verbesserungsmöglichkeiten – bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Klinik. „Die Untersuchung zeigt, wie wichtig es ist, dass wir infektiologische Expertise und Antibiotic Stewardship-Initiativen weiter in die Breite tragen – gleichzeitig wirft sie aber auch ein Schlaglicht auf den Umstand, dass mit der Einführung des Facharztes für Innere Medizin und Infektiologie vor zwei Jahren zwar die Ausbildung in der Infektionsmedizin deutlich professionalisiert wurde – jedoch an kleineren Häusern entsprechend ausgebildete Ärztinnen und Ärzte weiterhin fehlen“, so Vehreschild.
World AMR Awareness Week der WHO vom 18. bis 24. November
Die Publikation der Studie fällt mit der World AMR Awareness Week der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammen, die vom 18. bis 24. November auf die Problematik von Antibiotikaresistenzen aufmerksam macht.
Um die Wirksamkeit antimikrobiell wirksamer Substanzen zu erhalten, ist sowohl die ver-stärkte Erforschung und Entwicklung neuartiger Wirkstoffe nötig, aber auch der rationale Einsatz verfügbarer Antibiotika. Jeder einzelne kann dazu beitragen.