AWMF: Sektorengrenzen in der Medizin überwinden – für eine bessere Patientenversorgung
06.12.2024 - Die reibungslose Versorgung von Patientinnen und Patienten erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Arztpraxen, Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen. Doch in der Realität stellen die Übergänge zwischen ambulanter und stationärer Behandlung oft Hürden dar – beispielsweise, wenn wichtige Informationen bei Übergaben verloren gehen.
Die AWMF fordert deshalb, die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren im Gesundheitswesen durchlässiger zu gestalten. Ziel müsse es sein, die Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung aufzulösen, um eine ganzheitlichere und effektivere Patientenbetreuung zu ermöglichen.
Bei ihrem Berliner Forum diskutiert die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) mit Expertinnen und Experten über wissenschaftlich basierte Schritte auf dem Weg zu einer sektorenübergreifenden Versorgung.
„Eine umfassende sektorenübergreifende Versorgung im deutschen Gesundheitswesen ist dringend notwendig, um die Betreuung von Patientinnen und Patienten effektiver, sicherer und reibungsloser zu gestalten“, sagt Professor Dr. med. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. Viel zu stark sei die Trennung zwischen ambulanten, stationären und rehabilitativen Versorgungsbereichen im deutschen Gesundheitswesen. „Diese Trennlinien erschweren die Behandlung gerade von Patientinnen und Patienten mit komplexen oder chronischen Erkrankungen erheblich“, erklärt Treede. In der Versorgungsrealität kommt es an den Übergangen oft zu Hürden. Beispielsweise, wenn Informationen verloren gehen und deshalb unnötige Doppeluntersuchungen stattfinden oder falsche Medikationen erfolgen. „Dies führt zu unnötigen Mehraufwänden beim ohnehin schon überlasteten Personal und ließe sich durch regulatorische Maßnahmen vermeiden. Gleichzeitig würde dies die Patientensicherheit und die Effizienz des gesamten Gesundheitssystems steigern“, so der AWMF-Präsident.
Best practice-Beispiele für integrierte Versorgung
Bereits bestehende Modellprojekte – etwa in der Inneren Medizin, Chirurgie oder Psychiatrie – zeigen, wie erfolgreich sektorenverbindende Ansätze sein können. So arbeiten beispielsweise das Medizinisches Versorgungszentrum Chirurgie in Kiel und die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) bei der Organisation der ärztlichen Weiterbildung zusammen. Damit tragen beide Einrichtungen der Tatsache Rechnung, dass immer mehr ärztliche Leistungen, die junge Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung erlernen müssen, ausschließlich im ambulanten Sektor – in der Haus- oder Facharztpraxis also – erbracht werden. In der Psychiatrie bietet die „Stationsäquivalente Behandlung“ (StäB) eine Alternative zur stationären Versorgung. Dabei werden Patientinnen und Patienten für die Behandlung in deren häuslichem Umfeld aufgesucht. Studien belegen eine höhere Patientenzufriedenheit, reduzierte Wiederaufnahmen und eine gleichbleibende Behandlungsqualität. „Diese Ansätze zeigen beispielhaft: Eine patientenzentrierte Versorgung kann gelingen und institutionelle Barrieren überwinden“, so Treede.
Stärkt die Krankenhausreform die ambulant-stationäre Zusammenarbeit?
Dennoch wird ihr Potenzial bislang nicht ausreichend in die Regelversorgung übernommen. Hier setzen die jüngst beschlossenen Reformen, einschließlich der Krankenhausreform, an. „Mit den neuen Hybrid-DRGs, die erstmals eine sektorengleiche Vergütung für ambulante und stationäre Leistungen ermöglichen, sowie der Schaffung tagesstationärer Behandlungsmöglichkeiten, werden wichtige Grundlagen geschaffen. Diese Ansätze sollen die Grenzen zwischen den Versorgungsbereichen weiter abbauen“, erläutert Professor Dr. med. Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung am Bundesministerium für Gesundheit.
Ein zentrales Ziel der Reform sei zudem, kleinere Krankenhäuser zu sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen auszubauen. Diese sollen in Regionen mit Versorgungslücken sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen anbieten. „Langfristig sind jedoch weitere Schritte notwendig. Wir brauchen eine gemeinsame Planung von ambulanten und stationären Leistungen auf regionaler Ebene, um die Bedarfe vor Ort besser abzustimmen“, so Bschor. Ein funktionierendes Primärarztsystem, das den wohnortnahen Zugang zu haus- und fachärztlichen Leistungen sicherstellt, bilde die Basis für eine effektive sektorenübergreifende Versorgung.
Auch die AWMF hat im Reformprozess immer wieder betont, dass eine Krankenhausreform, die eine wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte und ressourcenbewusste Gesundheitsversorgung zum Ziel hat, nur durch eine sektorenübergreifende und regionale Versorgungsplanung gelingen kann. Die AWMF appelliert daher an Politik und alle Akteure im Gesundheitswesen, die sektorenübergreifende Versorgung weiter zu stärken. „Letztlich profitieren die Patientinnen und Patienten von einer engeren Verzahnung der Versorgung. Wichtig ist dabei, die wissenschaftliche Expertise der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften unter dem Dach der AWMF einzubeziehen“, resümiert Professor Treede.