Hygiene

Belüftung von OP-Reinräumen

Anforderungen für Operationsteam und Patient, normkonforme Verfahrenstechniken und aktuelle Entwicklungen.

21.12.2017 -

Die Belüftung von Operationsräumen stellt ingenieurtechnisch eine besondere Herausforderung dar. Für das OP-Team sind die Anforderungen seitens des Arbeitsschutzes sowie der Arbeitssicherheit relevant. Im Einzelnen sind dies sowohl eine ausreichende Frischluft- bzw. Sauerstoffversorgung, die Minimierung von Gefahrstoffen wie z.B. karzinogene chirurgische Rauchpartikel und -gase, als auch Narkosegase sowie reizende Desinfektions-Wirkstoffe. All dies hat unter Einhaltung eines Schallpegels zu erfolgen, der Tätigkeiten mit hoher Konzentration ermöglicht.

Zum Schutz der Patienten soll die OP-Zuluft mikrobielle Operationsfeld-Belastungen ebenso minimieren wie die Sedimentation steriler Partikel. Für sedimentationsfähige Partikel, z.B. aus Abdeckmaterial, Bauchtüchern, Tupfern, Mull, Gaze etc., ist das Risiko der Granulom-Induktion nachgewiesen. Mögliche Folgen sind Verwachsungen (Adhäsionen), die Schmerzsymptome verursachen, mit Folgeoperationen und gesundheitlichen Einschränkungen.

Für das OP-Team und die Patienten ist die klimaphysiologische Behaglichkeit im Raum relevant. Einerseits kann die mentale Leistungsfähigkeit der Operateure (Konzentration, Fokussierung, Aufmerksamkeit) nur unter Einhaltung der international normierten Behaglichkeitskriterien für Raumluft wie z.B. Strömungsgeschwindigkeit, Temperatur, Turbulenzgrad und Feuchte etc. gewährleistet werden. Andererseits stellt Schweiß, der als Tropfen von der Stirn der Operateure oder durch feuchte OP-Kleidung in das Wundfeld gelangt, ein wissenschaftlich belegtes Risiko dar. So wird in Abhängigkeit von der ebenfalls international normierten Bekleidungs-Isolation (clo) und dem Energieumsatz (met) gemäß ISO 9920 für viele Operateure (0,88 clo / 2 met) eine klimaphysiologische Behaglichkeit bzw. einer Zufriedenheit ≥ 90 % bei einer Zulufttemperatur von < 19 °C erreicht.

Diese Beispiele offenbaren die hohe Komplexität der OP-Belüftung und lassen auf die Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Parameter schließen.

OP-Reinraum-Verfahrenstechniken

Die weltweit gültige und beachtete Norm ISO 14644 beschreibt seit über 20 Jahren die Möglichkeiten zur Belüftung von technischen und pharmazeutischen Reinräumen. Sie bietet mit der turbulenzarmen Verdrängungsströmung (TAV) und der turbulenten Verdünnungsströmung (TVS) grundsätzlich nur zwei qualitativ unterschiedliche Verfahren an, die sich auch in der gültigen DIN 1946-4 sowie im aktuellen Normenentwurf widerspiegeln.

TAV-Systeme: Turbulenzarme Verdrängungsströmung gemäß DIN 1946-4 Raumklasse Ia. Gemäß ISO 14644 kann eine geringe Partikel-, Schadstoff- bzw. mikrobielle Belastung für die Reinraumklasse ≤ ISO-5 ausschließlich durch TAV-Systeme erreicht werden. Die parallel gerichtete, unidirektionale Strömungsform stellt sicher, dass Kontaminationen im OP-Raum innerhalb ≤ 2 Min. (Recovery-Zeit) um 99% reduziert werden. Die im Schutzbereich aus dem TAV-Auslass vertikal einströmende sterile Luft durchströmt mit einer Geschwindigkeit von < 30 cm/s einen desinfizierbaren Gewebe-Laminarisator, der bei Zuluftvolumenströmen von > 9.000 m3/h einen Turbulenzgrad von < 5 % erreicht, womit für das OP-Team die klimaphysiologischen Behaglichkeitskriterien gemäß ISO 7730 erfüllt werden.

Unterhalb des TAV-Auslasses bildet sich ein Schutzbereich, der die darin freigesetzten Kontaminanten, wie z.B. chirurgischen Rauch, sowie mikrobielle Belastungen innerhalb von ≤ 0,5 Min. aus dem Inhalationsbereich der Operateure und des Patienten entfernt. Selbst unter horizontal angeordneten Operationsleuchten werden Recovery-Zeiten von < 1,5 Min. und selbst außerhalb des Schutzbereiches Recovery-Zeiten von < 2,2 Min. gemessen. Zudem wird das Eindringen von Kontaminationen aus dem Außenbereich, z.B. durch geöffnete OP-Türen, in den Schutzbereich aufgrund der großflächigen unidirektionalen Strömung verhindert.

Die Größe des Schutzbereiches unter dem TAV-Zuluftauslass sollte mindestens 3 x 3 m betragen, damit außer dem Operationsfeld auch die Operateure und die Instrumententische geschützt sind. Insbesondere ist bei letzteren ist das Sedimentations-Risiko partikulärer und mikrobieller Kontaminationen über einen oder mehrere Tische aufgrund der signifikant größeren Fläche um ein Vielfaches höher als im Vergleich zur Fläche des OP-Wundfeldes.

Zur Reduktion der Energiekosten, die sich primär aus dem Produkt von Luftvolumenstrom und Druckverlust ergeben, werden in TAV-Zuluftauslässen großflächig Schwebstofffilter nebeneinander eingebaut, so dass der Gesamtdruckverlust dieser endständig angeordneten Filter lediglich 50–60 Pa beträgt. Dabei kann die Filterstandzeit bei normkonformer Vorfilterung bis zu zehn Jahre betragen.

TVS-Systeme: Turbulente Verdünnungsströmung gemäß DIN 1946-4 Raumklasse Ib. Turbulent und ungerichtet in Operationsräume eingebrachte Zuluftvolumenströme von > 60 m3/h x m2 (2.400–3.600 m3/h, je nach OP-Raumgröße) benötigen Recovery-Zeiten von ≤ 20 Min. Damit verbleiben bei der turbulenten Belüftung partikuläre bzw. mikrobielle Schadstoffe im Vergleich zu TAV-Systemen mehr als 40 mal länger im Inhalationsbereich der Operateure und des Patienten, so dass sich auch die Eintragswahrscheinlichkeit direkt und indirekt über das Instrumentarium in den Wundsitus erhöht.

Eine turbulente Verdünnungsströmung (TVS) erlaubt keinen höheren Zuluftvolumenstrom als ca. 3.500 m3/h, da die entstehenden Turbulenzen vom OP-Team als körperlich belastende, inakzeptable Zugluft wahrgenommen würden („Unzufriedene“ gemäß ISO 7730).

Weiterhin wird die Zuluft bei der TVS meist über kleinere Filterflächen eingebracht, so dass im Vergleich zur TAV die Druckverluste mit 250–400 Pa das 5- bis 8-fache an Energiekosten verursacht und damit auch häufigere Filterwechsel. Schwebstofffilter für TVS-OPs sind gemäß Norm ebenfalls endständig zu installieren, um Staubbelastungen im Kanalsystem auszuschließen.

Hohe lüftungstechnische Schutzwirkungen bei ausreichender Behaglichkeit können in technischen und pharmazeutischen Reinräumen nur mit TAV-Systemen erreicht werden. Daraus leitete sich seit ca. 1990 weltweit die Einführung von TAV-Systemen auch in Operationsräumen ab. Heute sind diese Systeme technisch ausgereift und werden mit Mehrkosten von durchschnittlich 20 T€ (ohne/mit Umluftmodulen: 15/25 T€) gegenüber TVS-Systemen angeboten.

Durch unterschiedliche Methoden für mikrobielle, partikuläre und gasförmige Belastungen ist seit 1982 bis dato wissenschaftlich belegt, dass durch TAV-Systeme im Vergleich zu TVS-Systemen eine 20-fach (95 %) geringere Belastung im Schutzbereich (Operationsfeld, Instrumententische) entsteht. Dies ist auch für intraoperativ sedimentierte Bakterien belegt und unstrittig. Höchst umstritten dagegen bleibt der aktuelle Versuch, die Gesamtbewertung von TAV-Systemen ausschließlich auf die „Rate postoperativer Wundinfektionen (SSI)“ zu reduzieren. Dies erscheint insbesondere deshalb fragwürdig, da die zugrunde gelegten (Register-) Daten auf Basis freiwilliger, unkontrollierter Infektionsmeldungen eine geringe Validität haben und die zuvor beschriebenen gleichwertigen Aufgabenstellungen unberücksichtigt bleiben.

Aktuelle Entwicklungen

Derzeit werden alternative Systeme zur OP-Belüftung vorgestellt, deren „Wirkungen und Nebenwirkungen“ auf das komplexe Gesamtsystem im Hinblick auf die „Allgemein anerkannten (ISO-, EN-, DIN-) Regeln der Technik“ wie folgt bewertet werden.

Mobile HEPA-Filtergeräte

Als „mobile Laminar Air Flow Geräte“ werden Medizinprodukte angeboten, die OP-Raumluft ansaugen und diese Luft – durch die eingebauten Lüfter etwas erwärmt – über HEPA-Filter (ca. 60 x 40 cm) in Richtung des OP-Feldes (Typ-I) oder auf einen Instrumententisch (Typ-II) blasen. Beworben wird ein „steril-filtrierter Luftstrom“, der auf das gewünschte OP-Feld oder auf die Instrumente gerichtet ist und der eine „höhere Sicherheit“ bieten soll als die Raumklasse Ib.

Durch die Bewegungen der Operateure wird die aus dem mobilen Gerät ausströmende Luft häufig unterbrochen. Auch wird die sterile Schutzkleidung nicht derart umströmt, dass sich ein zusammenhängender Schutzbereich ergibt. Durch die horizontale Strömung können chirurgische Rauchgase in den Inhalationsbereich des OP-Teams geblasen werden, was mit einer abwärts gerichteten Vertikalströmung wie bei TAV-Systemen vermieden wird. Mobile Geräte erzielen zudem keine vergleichbare Schutzwirkung während der Instrumentenvorbereitung, da größere Sterilgut-Container (1 bzw. ½ STE) eine Strömungsbarriere bilden und damit starke Turbulenzen erzeugen können.

Aufgrund der individuellen Positionierung dieser Geräte sowie durch die Bewegung der Operateure ist die Richtung der horizontalen Strömung mit ≥ 400 m³/h und 0,5 m/s nicht vorhersehbar. Dadurch können vor allem im Parallelbetrieb mit 2 bis 3 Geräten zugluftbedingte Einschränkungen in der klimaphysiologischen Behaglichkeit auftreten. Zu berücksichtigen ist auch der Schalldruckpegel von ca. 54 dB(A), der die Anforderungen für OP-Arbeitsbedingungen gemäß ISO 11690-1 und DIN 1946-4 bereits im Betrieb nur eines Gerätes gravierend überschreitet. So sieht die ISO 9612 für Schallquellen von 51 bzw. 54 dB(A) erhebliche Beschränkungen der Betriebszeit vor.

Als ein Argument für den Kauf dieser Geräte werden „Einsparungen bei Umbauten und Umrüstungen im OP“ genannt (Anmerkung: Listenpreis eines Gerätes ca. 20 T€). Weiterhin muss zur Überwachung vor jeder OP ein Gewebenetz mit Barcode-Scanner vor den HEPA-Filter gesetzt werden, wofür zusätzliche Kosten von ca. 40 € entstehen.

Abschließend bewertet, beinhaltet der aktuelle Stand der Technik dieser mobilen HEPA-Filtergeräte noch viele Einschränkungen bezüglich der reklamierten Wirksamkeit, insbesondere auch im Hinblick auf die relevanten Kosten!

„Temperature Controlled Airflow“

Schaumstoff-Halbkugel-Luftauslässe (SHK), die im Raum in der abgehängten Decke installiert sind, blasen Luft in alle Strömungsrichtungen (Winkel: -90 bis +90 Grad) in den Operationsraum. Dabei gelangt der primär vertikal nach unten gerichtete SHK-Teilluftstrom mit geringer Turbulenz in den OP-Raum. Die zwischen zwei angrenzenden Schaumstoff-Halbkugeln seitlich ausströmende Luft kollidiert jedoch frontal und erzeugt starke Turbulenzen. Damit handelt es sich grundsätzlich um ein TVS-System (Raumklasse Ib), das die klimaphysiologische Behaglichkeit des OP-Teams solange nicht beeinträchtigt, solange geringe Strömungsgeschwindigkeiten bzw. geringe Volumenströme auftreten.

Bei dem SHK-System für „normale“ OP-Räume der Raumklasse Ib werden oberhalb des Wundfeldes 8 Schaumstoff-Halbkugeln installiert und weitere 8–12 SHK in der Restdecke. Da über eine Schaumstoff-Halbkugel ca. 350 m³/h an Zuluftvolumenstrom eingebracht werden soll, errechnet sich ein Gesamt-Zuluftvolumenstrom von 5.600–7.000 m³/h. Dadurch entstehen im Aufenthaltsbereich der Operateure besonders hohe Turbulenzen.

Mit Verweis auf die Raumklasse Ia wird des Weiteren eine Lösung mit 22 Schaumstoff-Halbkugeln oberhalb des Wundfeldes angeboten. Zusätzlich werden 8–12 SHK im Raumumfeld eingebaut, woraus ein Gesamt-Zuluftvolumenstrom von 11.200 m³/h resultiert. Die Zuluft oberhalb des Wundfeldes wird, im Vergleich zum Raumumfeld, um 1,5–2 °C kälter eingeblasen. Dadurch entsteht ein Übergangsbereich zwischen zwei Temperaturzonen, der in besonderem Maße Turbulenzen fördert, und deshalb die Einhaltung der klimaphysiologischen Anforderungen infrage stellt.

Auch ist zu erwarten, dass die in das Raumumfeld eingebrachte wärmere Zuluft zu einer Temperaturschichtung führt, wodurch sich die Verweilzeit von z.B. chirurgischem Rauch im OP-Raum entsprechend verlängert.

Während bisher alle TVS- und TAV-Systeme mit einer Zulufttemperaturregelung ausgeführt werden, erfordert der Betrieb von SHK-Systemen zusätzliche Kühler bzw. Erhitzer. Da diese separat für jeden OP-Raum eingesetzt werden, wird eine komplexe Regelungstechnik erforderlich, die zusätzliche Investitions- und Betriebskosten nach sich ziehen.

Entsprechend der Norm für Reinräume werden Schwebstofffilter der Filterklasse H14 endständig am Luftauslass installiert, um Ablagerungen durch das Eindringen von Kontaminationen in die Zuluftleitungen auszuschließen. Um Normkonformität zu erreichen, besteht für das SHK-System noch ein erheblicher Entwicklungsbedarf, da Kanal-Schwebstofffilter in der Klimazentrale angeordnet sind, wodurch noch zu desinfizierende Flexrohre bis zu den SHK-Auslässen verbaut werden müssen.

Die Verwendung glatter, leicht zu reinigender und zu desinfizierender Oberflächen gehört zu den heutigen grundlegenden Hygieneanforderungen. Die SHK-Auslässe weisen eine offenporige und poröse Oberfläche auf, die in Bezug auf Abriebfestigkeit sowie Brandverhalten einige Fragen offen lässt.

Unklar bleibt auch die Möglichkeit zur Realisierung einer homogenen Hintergrundbeleuchtung bei 22 Schaumstoff-Halbkugeln sowie die deren Brandklassen-Einordnung. Des Weiteren ist keine Leckageprüfung der Schwebstofffilter nach ISO 14644-3 möglich, die international in allen Normen der deutschsprachigen Länder (ÖNORM H 6020, SWKI 99-3, DIN 1946-4) für die Raumklasse Ia implementiert wurde. Der Grund dafür ist, dass dies generell bei allen turbulenten Lüftungssystemen nicht durchführbar ist, so auch bei dem SHK-System. Ein System mit 8+10 SHK wird für die Raumklasse Ib mit 39 T€ angeboten und damit zu einem wesentlich höheren Preis gegenüber herkömmlichen TVS-OPs. Dazu kommen weitere Investitions- und Betriebskosten durch die Luftkühlung des Zentralbereiches. Das System mit 22+10 SHK, welches der Raumklasse Ia entsprechen soll, weist mit 49.000 € einen Angebotspreis auf, der die Investitionskosten für ein TAV-System um das Doppelte übersteigt. Auf Grund des höheren Druckverlustes von > 200 Pa werden zudem gegenüber TAV mit ≤ 60 Pa mehr als das 3-fache an Betriebskosten verursacht. Darüber hinaus ergibt sich aufgrund des Zuluftvolumenstroms von 11.200 m³/h eine zusätzliche Betriebskostensteigerung von > 20 % (Vergleich TAV-System mit ca. 9.000 m³/h).

Abschließend bewertet, ist festzustellen, dass ein 8+10 SHK für die Raumklasse Ib wesentlich höhere Anschaffungskosten verursacht, die sogar die Investitionskosten eines herkömmlichen TAV-Systems (3,2 m x 3,2 m) für die Raumklasse Ia um mehr als das Doppelte übersteigen. Aufgrund der mindestens 3-fach höheren Druckverluste der Kanalfilter und die zusätzlich erforderliche Kühlung der Zuluft bietet dieses SHK-System auch hinsichtlich der Betriebskosten keinerlei Vorteile.

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