Berliner Forscherin kämpft gegen Begleiterkrankung bei Ein-Kammer-Herz
23.03.2024 - Krankhafte Gefäßneubildungen in den Lungengefäßen (pAVM) gefährden ohnehin stark geschwächte Kinder mit Ein-Kammer-Herz: Forscherin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) und Team arbeiten mit Gerd Killian-Projektförderung der Deutschen Herzstiftung an medikamentöser Therapie.
Jedes 100. Kind kommt mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Etwa ein Prozent dieser Kinder werden mit nur einer funktionsfähigen Herzkammer (univentrikuläres Herz) geboren, einem der schwerwiegendsten Herzfehler. Für Kinder mit einem Ein-Kammer-Herz ist eine vollständige Heilung nicht möglich. Doch dank einer speziellen mehrstufigen Operationstechnik in den ersten Lebensjahren, der Fontan-Operation, wird das Überleben und Wachstum des Kindes mit nur einer Herzkammer ermöglicht. Bei der Fontan-Zirkulation pumpt die vorhandene Herzkammer das sauerstoffreiche arterielle Blut aktiv durch den Körperkreislauf (Infos: https://herzstiftung.de/leben-mit-angeborenem-herzfehler).
Krankhafte Gefäßneubildungen in den Lungengefäßen, sogenannte pulmonale arteriovenöse Malformationen (pAVM), sind schwerwiegende Begleiterkrankungen von Patient:innen mit einem Ein-Kammer-Herz. Sie sind mit einer verringerten Lebensqualität sowie einer erhöhten Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit verbunden. Folgen der pAVM können insbesondere Atemnot und eingeschränkte Herz-Lungen-Belastbarkeit, chronische Zyanose (Blauverfärbung der Haut) aufgrund des Sauerstoffmangels im Blut und Lungenblutungen sein. Aufgrund der begrenzten Therapiemöglichkeiten von pAVM untersucht PD Dr. med. Marie Schafstedde, Assistenzärztin der Klinik für Angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie des Deutschen Herzzentrums der Charité (DHZC) Berlin und dort am Institut für Kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin tätig, einen in der Leber gebildeten Stoff, den sogenannten „hepatischen Faktor“. Wissenschaftler:innen vermuten die Ursache der pAVM im Fehlen eben dieses „hepatischen Faktors“. „Somit ließe sich durch den Einsatz eines solchen Faktors die Entwicklung von pAVM verhindern. Der ,hepatische Faktor‘ wird normalerweise in der Leber produziert und erreicht über das Lebervenenblut die Lunge“, erklärt Dr. Schafstedde vom DHZC.
Ein mit der renommierten Gerd Killian-Projektförderung der Deutschen Herzstiftung ausgezeichnetes Forschungsvorhaben von Dr. Schafstedde auf dem Gebiet der Kinderkardiologie soll nun im Rahmen einer Studie am DHZC mit 50 Patient*innen langfristig zur Entwicklung einer medikamentösen Therapieform für pAVM beitragen. Der Titel der mit 60.000 Euro geförderten Studie lautet „Auf der Suche nach dem ‚hepatischen Faktor‘: Proteom-, Metabolom- und Zellkulturanalysen bei Patient*innen mit univentrikulärer Physiologie“. Die Projektförderung wurde von der Herzstiftung auf der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) in Hamburg vergeben.
Therapieoptionen bei pAVM nur „sehr begrenzt“ vorhanden
Für die ohnehin chronisch schwer kranken Patient*innen mit Ein-Kammer-Herz sind die Therapieoptionen bei dem Vorliegen von pAVM sehr begrenzt. „Umso dringlicher ist für Kinder mit univentrikulärem Herz die Forschungsarbeit von Frau Dr. Schafstedde und ihrem Team, die den Krankheitsmechanismus der pAVM untersuchen und nach einem neuen Therapieansatz forschen“, betont Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Eine medikamentöse Therapie zur Behandlung von pAVM gibt es bislang nicht und eine Rückbildung von pAVM konnte lediglich (invasiv) nach chirurgischer oder interventioneller Umleitung von Lebervenenblut in das Lungengefäßbett erreicht werden. Die mit der Killian-Projektförderung unterstützte prospektive Studie mit einer zweijährigen Laufzeit könnte laut DHZC-Ärztin Dr. Schafstedde entsprechend zur Entwicklung einer nicht-invasiven medikamentösen Therapie führen, „die den ,hepatischen Faktor‘ ersetzt und so die Bildung oder das Fortschreiten von pAVM verhindert“.
In Blutanalysen dem „hepatischem Faktor“ auf der Spur
In vergleichenden Proteom-, Metabolom- und Zellkulturanalysen suchen Dr. Schafstedde (DZHC) und Kooperationspartner am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) nach einem potenziellen Kandidaten für den in der Leber erzeugten „hepatischen Faktor“. Der nämlich hemmt das ungerichtete Wachstum der Blutgefäße (Angiogenese) und verhindert normalerweise die Ausbildung von pAVM, im Falle seines Fehlens hingegen begünstigt er die Bildung von pAVM. „Mit der Identifikation eines ,hepatischen Faktors‘ könnten wir einerseits den potenziellen Wirkmechanismus der pAVM ergründen und andererseits, falls möglich, im weiteren Verlauf medikamentöse Therapieoptionen gegen pAVM entwickeln, indem wir den fehlenden ,hepatischen Faktor‘ durch einen geeigneten Kandidaten ersetzen“, so Dr. Schafstedde.
Den „hepatischen Faktor“ erhoffen sich Dr. Schafstedde und ihr Team im Zuge von gezielten vergleichenden Blutuntersuchungen von Lebervenenblut und von Blut aus der oberen Hohlvene von 40 Patient*innen mit einem Ein-Kammer-Herz in unterschiedlichen Stadien der chirurgischen/interventionellen Behandlung zu bestimmen. Als Kontrollgruppe dienen 10 Patien*innen mit einem anatomisch korrekten Zwei-Kammer-Herz, die einer Herzkatheteruntersuchung unterzogen wurden. Alle Blutproben werden im Rahmen einer routinemäßigen Herzkatheteruntersuchung entnommen und auf deren Protein- und Metabolitzusammensetzung in erste Zellkulturversuchen (in vitro) vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) und dem MDC untersucht. Eine Metabolom-Analyse sei notwendig, „weil es bislang keine Gewissheit darüber gibt, ob es sich bei dem ,hepatischen Faktor‘ überhaupt oder zumindest ausschließlich um ein Protein handelt. Auch Veränderungen des Lipid- oder Aminosäurestoffwechsels in der Lunge könnten zur Ausbildung von pAVM führen“, erklärt die Ärztin.
Übertragbarkeit der Untersuchungsergebnisse neben Herz auch auf andere Organe?
Bisher gebe es noch keine vergleichbare Studie, in der Blutproben sowohl direkt aus der Lebervene und der oberen Hohlvene bei unterschiedlichen Patient*innen mit Ein-Kammer- und Zwei-Kammer-Herz per Proteom-, Metabolom- und Zellkulturanalysen untersucht wurden. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf weitere Erkrankungen im Kindes- und Erwachsenenalter, bei denen es zu Leberversagen und/oder einer angeborenen Entwicklung von arteriovenösen Malformationen in der Lunge, aber auch in anderen Organen kommt (zum Beispiel Morbus Osler), wäre denkbar. „Auch könnten zukünftige interventionelle oder chirurgische Therapieoptionen durch die gewonnenen Erkenntnisse modifiziert werden“, so die Ärztin und Forscherin.
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