Besser kein Streit um die Herausgabe von Patientendaten
08.02.2024 - Was sich durch die Datenschutzgrundverordnung hinsichtlich der Kosten geändert hat.
Behandelnden ist meist nicht zu raten, eine Herausgabe bis zum Erhalt eines Kostenvorschusses zu verweigern. Dies meint Patrick Weidinger, Deutsche Ärzteversicherung, im Gespräch mit Dr. Lutz Retzlaff.
M&K: Aktuelle Urteile legen nahe, dass die Datenschutzgrundverordnung Krankenhäuser sowie Ärzte verpflichtet, Kopien von Krankenunterlagen gratis zu fertigen und herauszugeben. Bevor wir uns über dieses neue Thema unterhalten: In welchem allgemeinen rechtlichen Rahmen bewegen sich die Dokumentationspflicht und das Recht von Patienten, Einsicht in die ihre betreffenden Unterlagen zu erhalten?
Patrick Weidinger: Die Dokumentationspflicht ergibt sich aus dem Behandlungsvertrag und ist heute im Patientenrechtegesetz in § 630f Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt. Die Dokumentation soll das Behandlungsgeschehen festhalten und dem Behandelnden, aber auch anderen medizinisch Mitwirkenden, das Behandlungsgeschehen transparent machen.
Das heißt, für die Dokumentationspflicht spielen ausschließlich medizinische Belange eine Rolle?
Weidinger: Ja, das Unterbleiben eines medizinisch nicht gebotenen Dokumentierens hat keine rechtlichen Folgen. Anders verhält es sich, wenn die medizinisch gebotene Dokumentation angreifbar ist, z. B. weil sie unvollständig ist oder ein Befund nicht gesichert oder ein Aufklärungsgespräch nicht festgehalten wurde. In diesen Fällen muss dann auf andere Beweismittel wie den Zeugenbeweis zurückgegriffen werden, übrigens durchaus mit Erfolgsaussicht.
Gibt es zum Thema Dokumentationsfehler und Schadenersatz einen Fall, den Sie uns besonders mit auf den Weg geben wollen?
Weidinger: Der Fall, der mir jetzt als erstes einfällt, hat zu einer richtungsgebenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) geführt. Der BGH hat der elektronischen Dokumentation einer Augenärztin jeglichen Beweiswert abgesprochen, weil die Software mögliche nachträgliche Änderungen nicht zwingend erkennbar macht. Eine elektronische Dokumentation, die den Voraussetzungen des § 630f BGB nicht entspricht, ist also schon von vornherein zur Beweisführung nicht geeignet.
Kommen wir nun zum Einsichtsrecht von Patienten. Finden sich die Grundlagen dazu auch im Patientenrechtegesetz?
Weidinger: Ja, und zwar in § 630g BGB. Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.
Ist dies nach dem BGB für Patienten kostenfrei?
Weidinger: Nach dem BGB sind dem Behandelnden für Kopien und Abschriften die entstandenen Kosten nicht nur zu erstatten, sondern diese auch vorzuschießen. Insoweit halte ich analog dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) je Kopie 0,50 € und ab der 50. Kopie 0,15 € für vertretbar.
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) soll das nun aber anders regeln, nämlich keine Kostenerstattung zulassen.
Weidinger: Art. 15 der DSGVO gibt Patienten das Recht, Auskunft über verarbeitete personenbezogene Daten zu verlangen und diese bei elektronischem Antrag auch elektronisch zu erhalten. Der Verantwortliche hat dann eine Kopie der Daten zur Verfügung zu stellen und darf ein Entgelt erst für weitere beantragte Kopien verlangen.
DSGVO und BGB widersprechen sich also. Welche Regelung hat denn nun Vorrang?
Weidinger: Das Landgericht Dresden (Urteil vom 29.05.2020, Az. 6 O 76/20) hatte auf Grundlage der DSGVO einen Krankenhausträger verpflichtet, kostenfreie Auskunft über den Inhalt der Patientenakte zu erteilen. In einem anderen Fall, eine Zahnärztin hatte die kostenfreie Herausgabe von Kopien verweigert, hat der Bundesgerichtshof den Konflikt zwischen nationalem Recht, also dem BGB, und Europarecht, der DSGVO, nicht selbst auflösen wollen und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Prüfung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 29.03.2022, Az. VI ZR 1352/20). Der BGH wollte vor allem wissen, ob die DSGVO Behandelnde verpflichtet, Patienten eine erste Kopie unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, wenn es nicht um die personenbezogenen Daten, sondern um die Prüfung arzthaftungsrechtlicher Ansprüche geht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Konflikt im Oktober 2023 zugunsten der DS-GVO gelöst, so dass § 630g II BGB entsprechend anzupassen ist (EuGH, 1. Kammer, Urteil vom 26.10.2023–C-307/22, NJW 2023, 3481 ff.)
Sie würden Behandelnden also nicht raten, sich auf das BGB zu berufen und eine Herausgabe bis zum Erhalt eines Kostenvorschusses zu verweigern?
Weidinger: Bei der ersten Kopie auf jeden Fall. Zumal eine gerichtliche Klage auf Überlassung von Duplikaten Kosten auslöst, die regelmäßig kein Fall für die Haftpflichtversicherung sind.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die elektronische Patientenakte? Wird sie nicht ohnehin einen generellen kostenfreien Zugriff auf wesentliche Patientendaten ermöglichen?
Weidinger: Ja, das sehe ich genauso. Viele Dinge, an die sich ein Patient nicht mehr erinnert, sind dann transparent und brauchen nicht mehr recherchiert zu werden.
Autor: Dr. Lutz Retzlaff, Neuss