Bildverarbeitung in der Medizin dient in erster Linie dem Patientenwohl
30.03.2011 -
Die Tagung "Bildverarbeitung für die Medizin 2011" (BVM) Ende März in Lübeck ist auf große Resonanz gestoßen. Ein positives Fazit zog Tagungsleiter Prof. Dr. Heinz Handels: "Die 230 Teilnehmer haben zwei hoch interessante Tage mit einer breiten Palette von Themen erlebt", so der Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der Universität zu Lübeck.
"Das Spektrum reichte von neuesten Techniken des Magnetic Particle Imaging über die Bildsegmentierung und Bildregistrierung bis zur Visualisierung." Die große Resonanz der Teilnehmer und Vorträge aus Lübeck verdeutlicht die tiefe Verwurzelung des Themas in der dortigen Forschung. Gerade in der Hansestadt bearbeiten sehr viele verschiedene Institute verschiedenste Aspekte der medizinischen Bildverarbeitung, teilweise auch institutsübergreifend.
" Ziel der BVM ist es, Wissen zu schaffen und Grundlagenforschung mit zu betreiben - und das sehr anwendungsorientiert. Das Wohl des Patienten steht immer im Vordergrund", formuliert Prof. Handels den Anspruch der Tagung. Im Fokus steht die Erstellung dreidimensionaler Modelle des menschlichen Körpers, die für eine sichere Diagnostik und Therapie unabdingbar sind. Dazu bedarf es u.a. spezifischer Verfahren der Bildanalyse, die schnell und weitgehend automatisch ablaufen sollen. "Wir haben immer den Patienten im Blick und wollen die Ärzte möglichst weitgehend unterstützen. Um die Interdisziplinarität zu betonen, haben wir nicht nur Techniker in das lokale BVM-Komitee berufen, sondern auch Chirurgen und Radiologen", so der Tagungsleiter. "Die Gastvorträge von Prof. Rueckert und Prof. Bruch haben deutlich gemacht, wie relevant die Verfahren für die moderne Medizin sind und dass hier noch enormes Zukunftspotenzial steckt."
Mit Bildgebungsverfahren dem Alzheimer auf der Spur
Dieses soll sich auch in der Diagnostik demenzieller Erkrankungen offenbaren. Mit diesem Feld befasst sich Prof. Dr. Daniel Rueckert, Leiter der Gruppe Biomedizinische Bildanalyse am Department of Computing des Imperial College London. "Die Herausforderung besteht in der präklinischen Diagnose. Um den Patienten in Zukunft einmal helfen, die Erkrankung also stoppen oder verlangsamen zu können, muss sie frühzeitig erkannt werden. Nicht erst dann, wenn sich bereits kognitive Defizite offenbaren", so Prof. Rueckert. Seine Gruppe beschäftigt sich mit der Entwicklung von Tests, die potentiell so sensitiv sind, dass sie eine Alzheimererkrankung diagnostizieren lassen, bevor die klinischen Symptome eingesetzt haben.
Es gibt momentan experimentelle Bildgebungsverfahren, mit denen Ablagerungen im Gehirn visualisiert werden, die Vorzeichen von Alzheimer sind. "Wir entwickeln hauptsächlich Segmentierungsalgorithmen und arbeiten an der Weiterentwicklung von Methoden des maschinellen Lernens. Einen Schwerpunkt dabei bildet gegenwärtig die Differentialdiagnose", führt Prof. Rueckert aus. Demenz ist der Oberbegriff einer Krankheit mit unterschiedlichen Formen und Krankheitsbildern. Diesen liegen sehr unterschiedliche neurologische und neurobiologische Prozesse zugrunde, weshalb sie spezifizische Diagnosemethoden erfordern. "Heute ist es für Kliniker sehr schwierig, eine Differentialdiagnose zu treffen, da die Patienten hauptsächlich über Gedächtnisstörungen klagen. Aus diesen Symptomen läßt sich jedoch keine Differentialdiagnose ableiten. Die moderne Bildverarbeitung eröffnet hier beispielsweise die Möglichkeit, Gehirnareale zu lokalisieren, in denen die Veränderungen auftreten. Aus diesen Ergebnissen kann dann die Form der Demenz hergeleitet werden. Die Bildverarbeitung gibt dem Arzt also quantitative Messungen an die Hand, mit denen er die Differentialdiagnose anwenden kann", erläutert der Londoner Professor.
Die Segmentierung funktioniert nach einer recht einfachen Methode: In einem ersten Schritt wird das zu segmentierende Objekt, zum Beispiel ein dreidimensionales Bild des Gehirns, in einem iterativen Prozess deformiert. Das geschieht so lange, bis es einem Bild in einem bekannten Atlas ähnlich ist. Wenn die Bilder dann visuell identisch aussehen, können die Pixel im zu segmentierenden Bild mit denen im Atlas verglichen werden. So wird die erkrankte Region identifiziert und läßt Rückschlüsse auf die Form der Demenz zu. Dazu bekommt der Arzt für alle 83 Regionen im Gehirn einen Volumenwert angezeigt, der die Größe der Struktur bestimmt. Im Vergleich dazu wird die Struktur bei einem vergleichbaren gesunden Patienten farbcodiert angezeigt. So sieht der Arzt, welche Strukturen er sich genauer ansehen sollte, weil sie außerhalb des Normbereichs liegen.
Neben der Diagnostik spielt diese Methode auch in der Wirkstoffforschung eine gewichtige Rolle. Dort kann mit Hilfe von objektiven Messungen im Gehirn festgestellt werden, ob ein Medikament die gewünschte und adressierte Wirkung hat.
Bildverarbeitung soll Robotik im OP möglich machen helfen
Viele Arbeiten, die auf der BVM 2011 vorgestellt wurden, rückten die Chirurgie in den Fokus. Hier ist speziell die Navigation des Chirurgen beim Zugang zum Tumor zu nennen. Verfahren, die auch Prof. Dr. Hans-Peter Bruch, Leiter der Klinik für Chirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, in seiner täglichen Arbeit zugute kommen würden: "Wir müssen unsere operativen Methoden so umstellen, dass möglichst kein Blut mehr gebraucht wird. Und da hilft uns die moderne Technik ganz besonders weiter."
Am anschaulichsten lassen sich die Effekte moderner Bildverarbeitung am Beispiel der Leber erläutern, einem lebenswichtigen Organ für den Menschen. Sie verfügt über äußerst komplexe, sich durchdringende Strukturen. "Wenn wir jetzt eine operative Intervention an der Leber vornehmen, muss dieses Gesamtsystem auch danach genauso funktionieren wie vorher. Und da bietet uns die moderne Technik natürlich ganz herausragende Möglichkeiten, weil der Mensch durchsichtig geworden ist", so Prof. Bruch. Er sieht heute nicht mehr nur die äußere Struktur des Organs, sondern auch die Gefäßversorgung und die Gallenwege. "Das heißt, wir können in die innere Struktur des Menschen hineinblicken und wir können diese Struktur, wenn wir operieren, zum Beispiel durch Sonographie sichtbar machen. Und die Mathematiker sind heute in der Lage verschiedene Bilder - das eine CT, das andere MR, das dritte Ultraschall - zusammenzufügen zu einem Bild, was wir Bildfusion nennen. So sehen wir in Zukunft immer, was wir tun und wo wir sind", zeigt sich der Chirurg begeistert.
Seine Kollegen und er bleiben stets dem Patientenwohl verpflichtet. Alles was dem dient, erhält auch eine Chance in der klinischen Anwendung. So sieht Prof. Bruch auch die computer- oder roboterassistierte Chirurgie auf einem guten Wege. "Wir wissen, wie es geht. Nur nicht genau. Wir arbeiten jetzt an den Fehlern, um noch genauer in den Verfahren zu werden. Drei Millimeter Abweichung hört sich nicht viel an, kann für den Patienten aber lebensbedrohend werden. Können wir die Ungenauigkeit auf einen Millimeter reduzieren, ist Robotik denkbar und besser als die menschliche Hand." Der Roboter würde das Formelement, das aus dem Organ herauszuschneiden ist, identifizieren und zeigen, welche Schnittrichtung zu wählen ist. "Und er wird uns, wenn wir das schaffen, was wir uns wünschen, daran hindern, etwas anderes zu tun", so der leitende Chirurg.
CURAC neuer Förderer der BVM
Die Möglichkeiten der Bildverarbeitung gerade für die Chirurgie hat auch die Deutsche Gesellschaft für Computer- und Roboterassistierte Chirurgie (CURAC) erkannt und trat 2011 erstmals als Förderer der BVM auf. "Unser Ziel ist es, die Forschung zu fördern. Und das geschieht hier in vorbildlicher Weise. Künftig arbeiten wir eng mit der BVM zusammen, um auch die Fragestellungen der Praxis noch stärker einzubringen", erläutert Prof. Dr.-Ing. Bernhard Preim, Vizepräsident für Forschung der CURAC. Anknüpfungspunkte ergeben sich ausreichend. "Die Bildverarbeitung liefert uns die Basis für jede Operation. Basis für die Auswertung von 3D-Modellen ist die Bildregistrierung, und die ist ein wesentlicher Bestandteil der BVM", so Dr. Arya Nabavi, Neurochirurg und Vizepräsident für Öffentlichkeitsarbeit der CURAC.
2012 findet die BVM vom 18. bis 20. März in der Charité in Berlin statt.