IT & Kommunikation

Coronavirus auf CT-Scans dank künstlicher Intelligenz erkennen?

03.05.2021 - Das Coronavirus lässt sich auch auf Computertomografie-Scans erkennen, neben den verbreiteten PCR-Tests zur Diagnose von Infektionen mit SARS-CoV-2.

Durch eine neue Methode in der automatisierten Bilderkennung kann diese Diagnoseform präzisiert und für das medizinische Personal nachvollziehbarer gemacht werden. In einer internatio­nalen Kooperation hat der Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) – Forschungsbereich Interaktives Maschinelles Lernen (IML) ein interaktives KI-System entwickelt: mit einer Erfolgsrate von 92 % auf einem speziellen, öffentlich verfügbaren Testdatensatz ermöglicht es eine der weltweit präzisesten automatischen Diagnosen von SARS-CoV-2 anhand von CT-Scans. Prof. Dr. Daniel Sonntag, Leiter des Forschungsbereichs IM am DFKI, erläutert die Details.

M&K: Sie haben in Zusammenarbeit mit Ihrem Doktoranden Duy Nguyen und Forschenden der Dublin City University (Irland), der University of California, ­Berkeley (USA), der VNUHCM-University of Science (Vietnam) und des Max-Planck-Instituts für Informatik einen neuen Prototyp zur automatischen Erkennung von SARS-CoV-2-Infektionen auf CT-Scans entwickelt. Was leistet dieser Prototyp aktuell?

Prof. Dr. Daniel Sonntag: Die automatische Auswertung der Computertomografie-Bilder oder Röntgenbilder ist sensitiver als PCR-Tests. Wie man dieses Ergebnis im klinischen Alltag einsetzen soll, ist Gegenstand der aktuellen Debatte von Radiologen und Klinikern. Der Hauptvorteil der Point-of-Care-Tests ist die Spezifität, eines der Maße für die Funktionalität eines diagnostischen Tests. Sie gibt an, zu wie viel Prozent ein Corona-Test tatsächlich Patienten ohne Corona auch als negativ erkennt. Die Sensitivität dagegen gibt an, zu wie viel Prozent ein Corona-Test bei tatsächlich Infizierten die Krankheit auch positiv erkennt. Auf einer der letzten internationalen Konferenzen im Dezember 2020 (Vienna Radiology Symposium) wurden Vergleichswerte diskutiert. Die Literatur gibt beim RT-PCR Test eine Sensitivität von 50–70 % an. Deswegen müssten diese Tests eigentlich mehrfach wiederholt werden, vor allem, wenn der klinische Verdacht hoch ist.
Im Gegensatz dazu ist die Sensitivität unseres Prototyps auf Röntgenbildern über 90 %. Dieser Wert der deskriptiven Statistik ist das Ergebnis unserer aktuellen Forschungsarbeit, wir erreichen 91,2 % Sensitivität bei 94 % Spezifität. Diese Werte sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da wir einen speziellen Testdatensatz zur Verfügung hatten, der nicht repräsentativ ist. Dennoch, die Angabe und Verbesserung dieser statistischen Gütekriterien diagnostischer Tests erlauben dem Arzt anhand der Testergebnisse eine verantwortungsvollere Behandlungsentscheidung. Der besondere Clou ist, dass es zusätzlich erstmals gelungen ist, dem Arzt visuelle Anhaltspunkte zu geben, warum das KI-System einen Coronafall erkennt (siehe dazu auch diese Publikation).

Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz (KI) bei diesem Verfahren und wo sehen Sie die aktuellen Grenzen der künstliche Intelligenz?

Sonntag: Lassen Sie mich vorausschicken, weder in den asiatischen noch in europäischen Ländern, oder in den USA, war man im Frühjahr 2020 auf digitale Anwendungen vorbereitet, die das Erfassen und Nutzen großer Datenmengen und ihrer Auswertung durch KI-Systeme ermöglichen. Das gilt übrigens nicht nur für SARS-CoV-2, sondern im Prinzip allgemein für klinische Daten. Denn oft scheitert es nicht an den KI-Methoden, sondern daran, dass es keine digitalen Patientendaten gibt, die man zur Verfügung stellen könnte. Würde endlich die elektronischen Patientenakte durchgesetzt, würde sich das schnell ändern, denn dann könnte man anonymisierte Daten einfacher und rechtskonform erzeugen und für Diagnostik und Versorgungsprozess auswerten. Der Datensatz zum Trainieren hatte nur 2.500 CT-Bilder, da ist noch viel Luft nach oben. Unser Verfahren basiert jedenfalls zu 100 % auf künstliche Intelligenz und die Grenzen hängen sehr vom verfügbaren Datenmaterial ab. Es geht aber bei Anwendungen der künstlichen Intelligenz nicht nur um die Bilddiagnostik, sondern auch beispielsweise um das Pandemiemanagement, Gensequenzierung und die automatische Auswertung medizinischer Texte. Die Musteranalyse auf Bildern erlaubt zukünftig unter Einbeziehung weiterer Kontextfaktoren und Patienteninformationen (vorliegender Krankheitsverläufe und Patientendaten) bald auch eine sofortige Einschätzung des Krankheitsstadiums. Dies ist besonders wichtig, weil dadurch die „Triage“ zusätzlich zur Einschätzung des Arztes auf KI-Algorithmen gestützt werden kann, ob die Krankheit wahrscheinlich einen milden oder schweren Krankheitsverlauf beim Patienten hat.

Wenn aus dem Prototyp ein in der täglichen Krankenhauspraxis verwendbares Verfahren geworden ist (wann schätzen Sie, wird das so weit sein?), welche Vorteile werden Ärzte davon haben? Welche Bedeutung wird das für die Corona-Diagnostik haben?

Sonntag: Die Thoraxbildgebung mit Thoraxradiografie und CT ist ein Schlüsselinstrument für die Diagnose und Behandlung von Lungenerkrankungen. Die klinische Rolle bei der Behandlung von COVID-19 ist noch unklar. Ein multidisziplinäres Gremium, das sich hauptsächlich aus Radiologen und Lungenärzten aus zehn Ländern zusammensetzt und Erfahrung mit der Behandlung von Patienten mit COVID-19 hat, hat dies kürzlich untersucht. Hier die drei Hauptresultate, die man eventuell ab 2022 als klinische Leitlinie ausarbeiten kann: Erstens: Die automatische Klassifikation durch Bildgebung ist bei Patienten mit Verdacht auf Corona
(COVID-19) und milden klinischen Merkmalen nicht angezeigt, es sei denn, sie haben ein hohes Risiko für das Fortschreiten der Krankheit. Zweitens: Die Bildgebung ist bei einem COVID-19-Patienten mit sich verschlechterndem Sauerstoffstatus angezeigt. Drittens: In einer ressourcenbeschränkten Umgebung ist die Bildgebung für die medizinische Triage angezeigt, bei Patienten, bei denen Verdacht auf COVID-19 besteht und die mittelschwere bis schwere klinische Merkmale aufweisen und eine hohe Wahrscheinlichkeit der Krankheit besteht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass negative PCR-Tests alleine manchmal nicht ausreichen, um einen positiven Patienten zu identifizieren. Eine Kombination des PCR-Tests mit unserem KI-basierten Test auf den Thorax-Bildern erleichtert zukünftig hoffentlich eine Prognose hinsichtlich der Aufnahme auf der Intensivstation. Täglich erfasst auch beispielsweise das DIVI-Intensivregister die freien und belegten Behandlungskapazitäten in der Intensivmedizin. Im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie werden zudem auch aktuelle Fallzahlen intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Patienten aufgezeichnet. Die Zahlen zu Virusinfektionen und Atemwegserkrankungen können durch KI genauer werden. Eine wertvolle Grundlage zur Reaktion und zur datengestützten Handlungssteuerung in Echtzeit.

Welche Durchbrüche erwarten Sie in den nächsten zwei bis fünf Jahren beim Thema KI für diagnostische Aufgaben? Wird es hier eine sprunghafte Fortentwicklung geben – oder wird der Fortschritt hier eher Schritt für Schritt erfolgen?

Sonntag: Ich glaube, der Fortschritt wird eher Schritt für Schritt erfolgen. Dennoch lassen sich konkrete Aufgabenfelder benennen. In der Konzeption meines Lehrstuhls an der Uni Oldenburg in Zusammenarbeit mit dem DFKI haben wir Folgendes angesetzt: Das Gesundheitswesen ist mit allen seinen Ausprägungen der diagnostischen und interventionellen Datenerhebung und -archivierung eines der Forschungs- und Entwicklungsgebiete mit dem größten potentiellen Nutzen durch KI-Systeme. Im Besonderen kann eine systematische Auswertung von umfangreich erfassten und komplexen patientenspezifischen Daten unterschiedlicher Natur (klinische Daten und selbstverwaltete Daten) zu Verbesserungen und höherer Effizienz von klinischen Prozessen sowie zur Entwicklung neuer und qualitativ besserer medizinischer, flächendeckender Lösungen in Arztpraxen, Prozessen und Dienstleistungen führen. Je mehr Informationen über den Zustand eines Patienten zur Verfügung stehen, desto individualisierter und spezifischer ist die Behandlungsentscheidung und umso qualitativer wird die gesundheitliche Versorgung des Patienten.

Zur Person

Prof. Dr. Daniel Sonntag ist Leiter des Forschungsbereichs Interaktives Maschinelles Lernen (IML) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und Inhaber der Stiftungsprofessur Künstliche Intelligenz an der Universität Oldenburg.

Autor: Arno Laxy, München

 

Kontakt

Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) GmbH

Trippstadter Straße 122
67663 Kaiserslautern

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