Aus den Kliniken

"Die aktuelle Krebstherapie ist im Grunde unzumutbar“

15.02.2024 - Prof. Dr. Claudia Rössig sagt zum Kinderkrebstag: „Die aktuelle Krebstherapie ist im Grunde unzumutbar“

„Dass das eigene Kind lebensbedrohlich erkrankt ist und möglicherweise nicht überlebt, ist die schlimmste Diagnose, die Eltern bekommen können. Und auch für die behandelnden Ärzte und Pflegeteams ist es schwer zu ertragen, wenn ein kleiner Patient verstirbt“, erklärt Prof. Dr. Claudia Rössig, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der José Carreras Leukämie-Stiftung, zum Internationalen Kinderkrebstages am 15. Februar und fordert weitere Forschungsanstrengungen.

Seit 2015 leitet die mehrfach ausgezeichnete Fachärztin als Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Münster eines der größten kinderonkologischen und kinderhämatologischen Zentren in Deutschland.

„Die aktuelle Krebstherapie bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen, ist im Grunde unzumutbar“, stellt Prof. Rössig fest und erklärt: „Die heutige Krebstherapie beruht auf dem Prinzip, dass alle Zellen im menschlichen Körper, die sich schnell teilen, vernichtet werden. Keine Zelle teilt sich so schnell wie eine Krebszelle, aber durch die herkömmlichen Therapien wird insbesondere bei Kindern ein immenser Flurschaden angerichtet.“ So werde durch die Chemotherapie oft die Blutbildung beeinträchtigt. Die Patienten hätten über einen längeren Zeitraum keine Abwehrkräfte und könnten sich nicht gegen Infektionen wehren. In vielen Fällen würden insbesondere die Schleimhäute zerstört. „Man kann es wirklich kaum ertragen“, sagt Prof. Rössig, obwohl „ohne Frage diese Form der Therapie sehr erfolgreich bei der Zerstörung der Krebszellen“ sei.

Die Klinikdirektorin: „Viele Kinder und Jugendliche heilen wir zwar mit dieser Therapie, aber die Nebenwirkungen sind eine schwere Belastung für die jungen Patienten. Es kommt häufig zu Spätfolgen, zum Beispiel, dass Kinder einen Hörschaden erleiden oder nicht gut wachsen. Meistens haben die Kinder irgendeinen messbaren Schaden, insbesondere nach einer Knochenmarkstransplantation. Wir suchen deshalb nach Alternativen, die zum einen wirksam sind, also die Krebszellen vernichten, aber vor allem diese schwerwiegenden Spätfolgen nicht verursachen. Wir wollen die Kinder nicht nur gesund machen, sondern auch die Qualität des Überlebens verbessern.“

Derzeit leitet Prof. Rössig eine Arbeitsgruppe und forscht gemeinsam mit Kollegen an den Universitäten in Erlangen, Hannover und Regensburg an neuen CAR-T-Zellen-Therapien. Ziel ist die Entwicklung hochwirksamer, spezialisierter Immunzellen, die Leukämie- und Tumorzellen erkennen und gezielt abtöten. Dazu werden T-Zellen oder Natürliche Killerzellen, die sogenannten NK-Zellen, des Patienten oder eines gesunden Spenders durch genetische Veränderung mit Rezeptoren ausgestattet, die eine Erkennung von Tumorzellen über Oberflächenmerkmale ermöglichen. Diese Rezeptoren werden CARs genannt, „chimeric antigen receptors“. „Wir arbeiten sehr intensiv und werden noch in diesem Frühjahr mit einer klinischen Studie starten“, so Prof. Rössig.

Neben der Immuntherapie sei es außerdem wichtig, den krebsauslösenden Mechanismus besser zu verstehen. „Wir müssen die Achillesferse der Krebszelle finden, um wirksame Therapien zu entwickeln. Wir wollen weg vom Schrotschuss Chemotherapie. Die Therapie der Zukunft wird eine Kombination aus Chemotherapie, Immuntherapie und eben dieser ,Achillesfersen-Therapie‘ sein, die den Krebs nachhaltig bekämpft, aber möglichst wenige Nebenwirkungen auslöst. Deshalb ist Forschung so wichtig. Und die Arbeit der José Carreras Leukämie-Stiftung, deren Spenderinnen und Spender uns in der Forschung unterstützen.“

Obwohl Krebs im Kindes- und Jugendalter eine seltene Erkrankung ist, erkranken nach Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters in Deutschland jährlich mehr als 2.000 Kinder neu an Krebs. Darunter ist Blutkrebs mit fast 50 % die häufigste Diagnose (Leukämien 29,7 %, Lymphome 15,3 %). Die José Carreras Leukämie-Stiftung fördert seit 1995 Projekte auf dem Gebiet der Leukämien und verwandter bösartiger Blut- und Knochenmarkserkrankungen, insbesondere im Bereich der Forschung.

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