Hygiene

„Die im Dunkeln sieht man nicht“

31.10.2023 - Fast 50 Jahre nach dem ersten Todesfall sind Legionellen immer noch eine weithin unterschätzte Gefahr – besonders für immungeschwächte Menschen.

Ray Brannon fühlte sich nicht wohl an diesem 27. Juli. Dem schlanken, ein wenig angegrauten 61-Jährigen plagten Fieber und Schmerzen. Drei Tage vorher hatte er sich mit seinen ehemaligen Kameraden der Air Force in Philadelphia getroffen.
Sie feierten dort im schönen Bellevue Stratford Hotel die 200-jährige Unabhängigkeit der USA. 2.000 Veteranen versammelten sich im Ballsaal des Hotels. Sie waren dennoch nicht unter sich. Eine Vielzahl von Bakterien waren in der Luft des Ballsaals mit anwesend. Keiner der Veteranen ahnte, dass sie einmal Namensgeber einer Krankheit sein würden, die in den folgenden Dekaden weltweit unter dem Namen Legionärskrankheit Bekanntheit erlangen sollte.
Ray Brannon starb an jenem 27. Juli 1976 an einer Herzattacke, die von Legionellen aus dem Hotel verursacht wurde. Er war der Erste. Weitere 182 Kameraden erkrankten und 29 von ihnen folgten Ray Brannon in den Tod.

Bis zu 60.000 Legionellen-Infektionen pro Jahr

25 Jahre später, im Jahre 2001, wurde in Deutschland für diese Krankheit eine Meldepflicht eingeführt. Seither werden die Zahlen im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts regelmässig veröffentlicht. Die Zahlen Infizierter sind niedrig, die Dunkelziffer ist hoch. Allein von 2015 bis 2019 stieg die Zahl der Erkrankungen um fast 90 %, von ca. 800 auf 1.500 (RKI 2021). Im Jahr 2020 ging sie wegen der COVID-bedingten weitgehenden Reisebeschränkung vorübergehend zurück. 2015 rechnete das Robert Koch-Institut unter Berücksichtigung der Untererfassung mit bis zu 30.000 Fällen pro Jahr, diese Zahl dürfte sich mittlerweile auf ca. 60.000 verdoppelt haben. Die Mortalität liegt zwischen 5 % (Reise-assoziiert) und 17 % (Klinik-assoziiert). Abgesehen von einigen spektakulären Ausbrüchen, wie zuletzt in Polen, finden die meisten Infektionen im Stillen statt. Insbesondere Gebäude, die nicht untersuchungspflichtig sind, wie selbstgenutzte Privathäuser, gehören zum Dunkelbereich. Eine Vielzahl von Erkrankungen wird von Reisen mitgebracht.
Die Ursachen der hohen Dunkelziffer von 97 % sind teilweise bekannt. Zu ihnen gehören:

  • unzureichende oder fehlende Diagnostik,
  • zu niedrige Warmwassertemperaturen,
  • Totleitungen,
  • geringer Verbrauch,
  • die Diagnosemethode selbst (Zacharias et al. 2023).

Ein weiterer Anstieg der Fälle ist zu erwarten. Dazu trägt die Erwärmung des Klimas bei, die teilweise schon zu Kaltwassertemperaturen von mehr als 20 °C führt. Der Wasserverbrauch ist in den letzten Jahrzehnten um 20 % gesunken, damit steigt auch die Verweildauer des Wassers im Leitungsnetz. Die Energiepreise führen zusätzlich zu sparsamem Verhalten und veranlassen so manchen Verbraucher, die Warmwassertemperatur zu reduzieren. Zugleich ist ein signifikanter Anstieg von Investitionen in bestehende Infrastruktur eher nicht zu erwarten.

Immungeschwächte Menschen brauchen verlässlichen Schutz

Ein neuer Grenzwert wurde in der Trinkwasserverordnung verankert. Nunmehr müssen Maßnahmen zur Verringerung der Legionellen-Belastung nicht erst bei Überschreitung, sondern bereits beim Erreichen des technischen Maßnahmenwerts nach § 51 TrinkwV für Legionella spec. von 100 KBE (koloniebildende Einheiten) pro 100 Milliliter Trinkwasser ergriffen werden. Ein wichtiger Schritt.

Besonders betroffen von einer Legionellen-Infektion sind immungeschwächte, meist ältere Menschen. Die Mortalität beträgt in Pflegeeinrichtungen und Kliniken etwa 10 %. Deswegen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) insbesondere für Hochrisikostationen einen Grenzwert von < 1/100 ml (DGKH 2018). Dieser Grenzwert gilt übrigens auch für andere fakultativ pathogene Keime. Eine Einhaltung dieser Grenzwerte ist oft nur unter Einsatz endständiger Sterilfilter möglich. Da eine Infektionsdosis generell nicht quantifiziert ist und zudem für diese Patientengruppe mit Sicherheit weitaus niedriger liegt als für immunkompetente Menschen, ist der verlässliche Schutz besonders wichtig.

Hohe Dunkelziffern führen zu Unsicherheit und wirtschaftlichen Schäden. 60.000 vermeidbare Infektionen im Jahr verursachen zudem enorme Kosten. Eine Sensibilisierung insbesondere bei Infektionen in den Sommermonaten würde helfen, die Ursachen zu ergründen. Lösungsansätze stehen zur Verfügung. Jeder einzelne Mensch, der Ray Brannon folgen muss, ist einer zu viel.

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