Die künftigen High-Performer
Robotik für die stationäre Pflege: Einsatzfelder und Forschungsschwerpunkte
Welche Einsatzbereiche es gibt und wie der aktuelle Stand der Technik ist, präsentierten die Fraunhofer-Einrichtungen IPA und IMW bereits zwei Mal dieses Jahr in einem Online-Seminar. Ein Beitrag von Dr.-Ing. Birgit Graf, Leiterin der Gruppe „Haushalts- und Assistenzrobotik“ am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.
Unterstützung durch Automatisierungslösungen ist in einigen beruflichen Kontexten wie dem Produktionsumfeld, aber auch in Logistik, Landwirtschaft oder Medizin (bei Operationen oder in der Rehabilitation) bereits weit verbreitet. Mit Robotern können Unternehmen und Einrichtungen gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem demographischen Wandel oder dem Fachkräftemangel begegnen und ihre Produktivität erhalten oder sogar steigern. Der Roboter übernimmt nicht ergonomische, monotone oder unattraktive, teilweise sogar gefährliche Aufgaben. Das Personal kann dort eingesetzt werden, wo es mit seinen Fähigkeiten wie emotionaler Feinfühligkeit, Flexibilität und Lösungskompetenz die wertvollsten Ergebnisse erzielt.
Die Robotik könnte auch für die stationäre Pflege einen Mehrwert bringen. Die dortigen Herausforderungen – wie zunehmend weniger Personal bei gleichzeitig steigenden Zahlen Pflegebedürftiger – sind bekannt. Deshalb gilt es, Möglichkeiten zu finden, die die Qualität der Pflege auch unter den gegebenen Bedingungen erhalten und das Personal körperlich, zeitlich oder informatorisch entlasten. Robotische Assistenzsysteme haben genau dieses Potenzial. Aber wie weit sind die Systeme technisch? Welche Aufgaben bieten sich für sie an und was ist bereits am Markt erhältlich?
Grundsätzlich lassen sich Robotiklösungen für dieses Einsatzfeld in vier Bereiche unterteilen: Roboter für Warentransport und Logistik, für Reinigung und Desinfektion, für Service und Interaktion sowie schließlich in die intelligenten Pflegehilfsmittel.
Warentransport und Logistik
Pflegeutensilien dort zur Verfügung zu haben, wo sie gerade gebraucht werden, bedeutet für die Pflegekraft Laufwege und Zeitaufwand. Beides zu reduzieren, ist der Wunsch vieler Pflegekräfte, damit ihnen mehr Zeit für Patienten und Bewohner bleibt. Zwar gibt es in großen Krankenhäusern bereits seit Jahren fahrerlose Transportsysteme (FTS), die Container beispielsweise aufnehmen oder ziehen können. Sie fahren jedoch aus Sicherheitsgründen in abgetrennten Bereichen. Das Personal entlasten sie nur in Teilen, da sie Materialien höchstens bis zur Station bringen, wo sie dann manuell geleert werden müssen.
Zusätzlich zu den FTS gibt es auch verschiedene kompakte, vollintegrierte Transportplattformen, die zum Beispiel Pflegematerialien, Blutproben oder ähnliches in Schubladen transportieren können. Das Fraunhofer IPA hat für dieses Einsatzszenario im Forschungsprojekt „SeRoDi“ mit Partnern einen intelligenten Pflegewagen entwickelt und mehrere Monate in zwei Pflegeeinrichtungen und einem Krankenhaus getestet. Der Pflegewagen kann autonom navigieren, Pflegeutensilien vor den Patientenzimmern bereitstellen und den Materialverbrauch dokumentieren. So steht die benötigte Ware auch auf der sogenannten letzten Meile automatisch zur Verfügung. Aktuell entwickeln die Fraunhofer-Forscher den Wagen im Projekt „MobDi“ zum universalen Transportroboter weiter, der beliebige Handwagen innerhalb der Station oder zwischen Station(en) und dem Zentrallager autonom mitführen kann.
Manche Transportroboter sind überdies mit einem Arm ausgestattet. Dank dieser Handhabungsfähigkeiten können sie beispielsweise spezialisierte Transporte durchführen oder einzelne Objekte erkennen, greifen, transportieren und anreichen. Diese Funktion macht sie flexibel, da sie nicht darauf angewiesen sind, dass verbrauchte Materialien vom Personal nachgefüllt werden. Nachteil dieser Systeme ist, dass sie um einiges teurer als Roboter ohne Arm sind. Für eine wirtschaftliche Nutzung müssen sie verschiedene Aufgaben übernehmen können, um den Großteil des Tages produktiv zu sein.
Reinigung und Desinfektion
Roboter für diese Anwendung können eine regelmäßige, ggf. auch mehrmals tägliche, Reinigung und Desinfektion ermöglichen. Die automatisierte Ausführung sorgt für Zuverlässigkeit und Nachvollziehbarkeit.
Am Markt gibt es bereits verschiedene Bodenreinigungsreinigungsroboter. Diese sind gut geeignet für großflächige Umgebungen und führen eine nasse oder trockene Bodenreinigung durch. Sie sind jedoch meist nicht flexibel, mehrere Aufgaben zu übernehmen. Forschungsseitig hat das Fraunhofer IPA deshalb im Projekt „BakeR“ einen Reinigungsroboter entwickelt, der alternativ Saugen und Wischen kann. Indem er Verschmutzungen automatisch erkennt, setzt er die ergebnisorientierte Bodenreinigung um. Dank seines Manipulators kann er Türen öffnen und zum Beispiel Papierkörbe leeren.
Einen Boom erleben seit der Corona-Pandemie die Desinfektionsroboter. Während zunächst verschiedene vorhandene Roboter für eine flächendeckende Desinfektion mit UV oder Chemikalien umgerüstet wurden, wurden später auch neue Roboter entwickelt, die gezielt kritische Flächen wie Lichtschalter oder Türklinken desinfizieren können. Im Projekt „DeKonBot“ ist am Fraunhofer IPA vergangenes Jahr ein Desinfektionsroboter aufgebaut worden, der zu reinigende Objekte automatisch erkennt und diese dann per Wischdesinfektion säubert. Im MobDi-Projekt wird die Roboterhardware aktuell im Hinblick auf eine zukünftige Serienfertigung optimiert. Dazu gehört auch der Aufbau neuer Desinfektionswerkzeuge z.B. für die Desinfektion mit Bürsten, UV oder Plasma. Neue Algorithmen sollen den Roboter befähigen, je nach erkanntem Objekt und dessen Material die am besten geeignete Desinfektionsmethode zu wählen.
Service und Interaktion
Roboter für dieses Einsatzgebiet sollen mit Patienten oder Bewohnern direkt interagieren, beispielsweise im Rahmen therapeutischer Maßnahmen oder durch die Bereitstellung von Waren oder Informationen. Im Kontext von Corona bieten sie zudem den Mehrwert, dass das Pflegepersonal durch Roboter weniger Kontakt mit (potenziell) Infizierten hat und sich so die Ansteckungsgefahr reduziert. Kleinere Interaktionsroboter werden bereits in verschiedenen Einrichtungen zur Aktivierung oder Unterhaltung genutzt. Sogenannte emotionale Roboter, die zum Beispiel ähnlich einem Tier gestaltet sind, werden bereits seit einigen Jahren erfolgreich für Therapiezwecke eingesetzt.
Telepräsenzroboter ermöglichen es bspw. Medizinern, den Gesundheitszustand erkrankter oder infizierter Personen in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen regelmäßig zu prüfen. Sie sind teilweise mit Diagnosegeräten wie einem Stethoskop ausgestattet. Außerdem ermöglichen sie das Kontakthalten zu Familie und Freunden in Zeiten von Krankheit oder wenn diese weit entfernt leben.
Am Fraunhofer IPA sind zwei Assistenzroboter für Service und Interaktion entwickelt und im Pflegekontext getestet worden: Der mobile Kommunikationsassistent MobiKa interagiert mit Pflegebedürftigen und kann z.B. mithilfe von Spielangeboten die Aktivierung unterstützen. Der robotische ServiceAssistent kann ebenfalls in Gemeinschaftsräumen Personen erkennen und auf diese zufahren. Zudem kann er ihnen verschiedene Getränke anbieten und deren Ausgabe protokollieren.
Intelligente Pflegehilfsmittel
Intelligente Pflegehilfsmittel sollen künftig das Pflegepersonal bei Kerntätigkeiten entlasten, indem vorhandene Pflegehilfsmittel mit (teil-)autonomen Assistenzfunktionen ausgestattet werden. Insgesamt gibt es in diesem Anwendungsgebiet noch keine Serienprodukte auf dem Markt, sondern diverse Forschungsaktivitäten. Ein Entwicklungsschwerpunkt zielt auf die körperliche Entlastung des Pflegepersonals beim Bewegen von Personen. Dafür wurden verschiedene Lifter- und Transfersysteme entwickelt. Zudem finden erste Erprobungen von Exoskeletten in der Pflege statt. Ein autonom navigierender Personenlifter, wie im Konzept „Elevon“ vom Fraunhofer IPA dargestellt, könnte von der Pflegekraft mit dem Smartphone an seinen Einsatzort bestellt werden. Ausgestattet mit entsprechender Sensorik könnte er beim Heben der Person bestmöglich unterstützen, indem er diese erkennt und sich entsprechend positioniert.
Ein zweiter Einsatzbereich betrifft die Körperhygiene. Hier gibt es Entwicklungen von Hilfsmitteln wie einer robotischen Waschkabine oder einem Haarwaschroboter. Für den europäischen Markt wurde in einem Forschungsprojekt untersucht, inwiefern robotische Assistenzsysteme pflegebedürftigen Personen in der Dusche zur Hand gehen können.
Fazit
Es zeigt sich, dass Robotik auf vielerlei Art und Weise zur Unterstützung pflegerischer Tätigkeiten im stationären Kontext beitragen kann. Aktuell verfügbare Produkte sind dabei auf eine klar umrissene Aufgabe beschränkt. Sie orientieren sich oft an existierenden Pflegehilfsmitteln und vereinfachen deren Bedienung mit (teil-)autonomen Assistenzfunktionen. Der Schwerpunkt liegt in der Automatisierung pflegeferner Tätigkeiten wie z. B. dem Warentransport. Verfügbare Produkte, die eine Interaktion mit Patienten und Bewohnern vorsehen, wie z. B. Telepräsenz- oder emotionale Roboter, beschränken die Interaktion auf primär nicht-physische Assistenzfunktionen. Produkte, die eine physische Interaktion vorsehen, z. B. in Form von Handhabungshilfen, werden bisher hingegen vom Nutzer komplett ferngesteuert und beinhalten keine oder nur sehr geringe Autonomie. Roboter mit umfangreichen, auch physischen Interaktionsfähigkeiten und komplexem autonomem Verhalten sind noch der Forschung zuzuordnen.
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