Hygiene

„Die Wunde im Fokus – der Mensch im Mittelpunkt“

24.08.2023 - Interview mit Prof. Dr. med. Joachim Dissemond zum 06. Nürnberger Wundkongress

Smart Dressings, Tele-Wundversorgung oder Künstliche Intelligenz (KI) bei der Therapie von Wunden – Begriffe, die auch im Bereich der Wundversorgung immer mehr an Bedeutung gewinnen. Kongresspräsident Prof. Dr. med. Joachim Dissemond, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Essen, erklärt im Interview, wie weit fortgeschritten die digitale Wundversorgung ist und ob Smart Dressings die Zukunft gehört.

Dissemond
Kongresspräsident Prof. Dr. med. Joachim Dissemond Foto: Universitätsklinikum Essen

 

M&K: Sie selbst werden einen Vortrag mit dem Thema Perspektiven in der Wundbehandlung (Hauptsitzung 24.11., 10.45 – 12.15) halten. Welche Ansätze sind in diesem Bereich vielversprechend?

Prof. Dissemond: Wir wissen schon heute, dass nicht alle Patienten mit dem Symptom chronische Wunde gleich sind. Daher werden wir uns in der Zukunft deutlich mehr um eine zielgerichtete und individuelle Wundtherapie bemühen müssen. Derzeit gibt es bereits erste sehr interessante Ansätze, die dann aber bei allen Patienten angewendet werden sollten. Daher müssen zuerst individuelle Faktoren in Wunden gemessen und dann gezielt behandelt werden. Neben der Lokaltherapie mit „intelligenten“ Wundauflagen, könnten das durchaus auch systemische Behandlungsansätze beispielsweise mit spezifischen Antikörpern sein.

Laut Bundesverband Medizintechnologie gibt es rund 900.000 Patient*innen mit chronischen Wunden in Deutschland. Inwiefern können intelligente Hightech-Verbandsmaterialien, kurz Smart Dressings, die Wundversorgung verbessern?

Prof. Dissemond: Bei diesen Smart Dressings gibt es zwei grundlegende Ansätze. Zuerst sollten kontinuierlich zahlreiche Faktoren im Wundmilieu gemessen und dann kontaktlos beispielsweise mit einem Handy ausgelesen werden. Diese Informationen könnten an das Wundbehandlungsteam gesendet werden. In einem zweiten Schritt wäre auf der Basis dieser Daten dann auch eine gezielte individuelle Behandlung möglich. Im Optimalfall müsste nicht immer ein Verbandwechsel erfolgen, sondern es werden die entsprechenden Therapeutika direkt aus dem Smart Dressing freigesetzt. Wichtig ist aber auch eine Alarmfunktion, wenn sich beispielsweise eine Wundinfektion entwickelt. Je besser wir diese Prozesse verstehen, desto mehr kann uns dabei in Zukunft auch die Künstliche Intelligenz (KI) bei der optimierten Behandlung unserer Patienten unterstützen.

Wie weit ist der Ausbau der digitalen Wundversorgung fortgeschritten?

Prof. Dissemond: Auch wenn die Grundlagen für die digitale Wundversorgung für Deutschland u.a. mit dem E-Health-Gesetz bereits geschaffen wurden, stecken die vielen guten Ideen meist noch in den Kinderschuhen. Der zentral entscheidende Punkt dabei ist leider eine meist unzureichende Vergütung. Hier sollten mehr Anreize für die überaus sinnvolle Entwicklung geschaffen werden.

In welchen Fällen macht die digitale-Wundversorgung Sinn und wo liegen die Grenzen der Telemedizin in diesem Bereich?

Prof. Dissemond: In Hinblick auf die epidemiologische Entwicklung mit immer mehr älteren Menschen und zeitgleich immer weniger Mitarbeitern im Gesundheitswesen, ist die Telemedizin ein sehr wichtiger Ansatz, um die knappen Ressourcen möglichst optimal zu nutzen – insbesondere in strukturschwachen Regionen. Die Telemedizin ist aus meiner Sicht eine sehr gute Ergänzung aber niemals ein Ersatz für das zwischenmenschliche Miteinander.

Gibt es bereits konkrete Behandlungen bei der Wundversorgung in der Telemedizin?

Prof. Dissemond: Ich kenne in Deutschland nur einige wenige Modellprojekte bei denen Telemedizin sehr erfolgreich in der Wundversorgung eingesetzt wurde. Unser Kongress bietet die Möglichkeit hier ein Update zu erfahren und sich auch untereinander auszutauschen. So können hoffentlich für die nahe Zukunft mehr und effektivere telemedizinische Behandlungen in der Wundversorgung erfolgen.

Können Sie mir einen Stand nennen bei der Wundbehandlung mit Maden, Fischhaut, Spinnenseide & Co.?

Prof. Dissemond: Die von Ihnen genannten Methoden sind allesamt sehr interessante und innovative Ansätze in der Wundbehandlung. Leider fehlt es aber noch an einer ausreichenden wissenschaftlichen Evidenz um exakt zu sagen welche Patienten wann von welchem Therapieansatz profitieren. Das führt dann leider dazu, dass eine Kostenerstattung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) meist nicht gegeben ist. Daher gilt es diese wirklich interessanten Ansätze jetzt besser wissenschaftlich zu untersuchen, damit die guten Ideen auch mit Fakten untermauert
werden können.

Mit der Zunahme älterer Patienten ist auch seit Jahren eine Zunahme chronischer Wunden, wie z.B. das Krankheitsbild diabetischer Fußulcus (DFU), zu verzeichnen. Lässt sich diese Situation verbessern?

Prof. Dissemond: Insbesondere durch die immer besser werdende medizinische Versorgung werden wir immer mehr ältere Menschen in Deutschland haben. Da chronische Wunden mit zunehmendem Lebensalter häufiger auftreten, ist in der Zukunft mit einer Zunahme der Betroffenen zu rechnen. Ein wichtiger Ansatzpunkt diesem Szenario entgegenzuarbeiten ist die Prävention. Chronische Wunden wie das DFU oder Ulcus cruris venosum entstehen nicht über Nacht, sondern auf der Basis einer über lange Zeiträume nicht optimal behandelten Grunderkrankung. Die frühzeitige Erkennung und Therapie dieser Krankheitsbilder ist somit essentiell und sollte mehr in den Fokus unserer gesundheitspolitischen Strategien rücken.

Unerlässlich für den Heilungsprozess einer chronischen Wunde ist die Ernährung. Warum wird der Stellenwert einer richtigen Ernährung zur Unterstützung der Wundheilung unterschätzt? Wie müsste die Heilung von Wunden gefördert werden?

Prof. Dissemond: Eine ausgewogene gesunde Ernährung ist sicher ein wichtiger Bestandteil der erfolgreichen Wundbehandlung. Gerade bei älteren Menschen stellen wir da immer wieder teils erhebliche Defizite fest. Um dieses Problem zu erfassen sollten regelmäßig validierte Messinstrumente wie beispielsweise Fragebögen mit den Patienten ausgefüllt und dann für entsprechende Beratungen genutzt werden.

In der Fülle von Veranstaltungen – welche ist ihr Highlight?

Prof. Dissemond: Das ist eine ganz schwierige Frage, da es wirklich sehr viele, sehr wichtige und spannende Themen geben wird. Da ich mir aber einen Redner für die Eröffnungsveranstaltung wünschen durfte, möchte ich diese gerne etwas bewerben. Hier wird Herr Prof. Schedlowski aus seiner Sicht als Psychologe und ausgewiesener Experte über die beeindruckenden Effekte von Placebos und Nocebos berichten – darauf freue ich mich schon sehr. Es ist alles andere als ein Standardthema auf Wundkongressen, aber für das Verständnis von Behandlungserfolg und -misserfolg sehr wichtig. Es lohnt sich also bereits bei der Eröffnungsveranstaltung zu erscheinen.

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