Aus den Kliniken

Effektive Infektion

05.08.2021 - SARS-CoV-2 kapert Interferon-induzierte Transmembranproteine zur effektiven Infektion.

Das Coronavirus nutzt eine Vielzahl an raffinierten Strategien, um das menschliche Immunsystem auszutricksen. Nur so gelingt es SARS-CoV-2, Menschen effektiv zu infizieren und sich rasch auszubreiten. Forscher der Ulmer Universitätsmedizin haben herausgefunden, dass das Virus, das für die COVID-19-Pandemie verantwortlich ist, bestimmte Membranproteine „kapert“ und für seine eigene Vermehrung nutzt. Dabei geht es um Interferon-induzierte Transmembranproteine (IFITMs), die bislang eher dafür bekannt sind, dass sie verschiedene virale Krankheitserreger, wie beispielsweise HIV oder Grippeviren, in Schach halten. Die Ulmer Studie zeigt, dass SARS-CoV-2 IFITMs für die effektive Infektion von menschlichen Zellen nutzt.

Organoide besser als Zellkulturen

„Diese Ergebnisse haben uns sehr überrascht. Waren Interferon-induzierte Transmembranproteine doch bislang eher für ihre antivirale Wirkung bekannt“, sagt Prof. Frank Kirchhoff. Der Leiter des Instituts für Molekulare Virologie am Universitätsklinikum Ulm ist Seniorautor der Studie. Die Ulmer Daten stehen vermeintlich im Widerspruch zu Resultaten anderer Forschungsgruppen, die berichteten, dass IFITM-Proteine humane Coronaviren hemmen. „Die scheinbaren Widersprüche lassen sich jedoch erklären“, hebt Dr. Konstantin Sparrer hervor. Der Wissenschaftler leitet am Institut für Molekulare Virologie eine BMBF-Nachwuchsgruppe und war an der Studie ebenfalls federführend beteiligt. „Frühere Ergebnisse – die wir übrigens experimentell bestätigen konnten – wurden unter sehr künstlichen Bedingungen erzielt. So wurden beispielsweise die IFITMs artifiziell überexprimiert und meist Pseudovirionen verwendet“, erläutert Kirchhoff und ergänzt „Wenn jedoch Zellen aus relevanten menschlichen Geweben wie Lunge, Herz oder Darm mit richtigem SARS-COV-2 infiziert werden, erhöhen IFITMs die virale Infektion und Produktion infektiöser Viren um mehrere Größenordnungen. Dies konnten wir in unserer Studie ebenfalls zeigen.“

Für die Studie, an der auch internationale Kooperationspartner und zahlreiche weitere Forschende der Ulmer Universitätsmedizin beteiligt waren, wurden experimentelle Bedingungen genutzt, die eine größere physiologische Relevanz als die bisher verwendeten Systeme haben. So wurden unter anderem primäre Lungen-, Herz- und Darmzellen und auch Organoide verwendet. Bei schweren Verläufen gehören Lunge, Herz und Darm zu den Hauptzielen einer SARS-CoV-2-Infektion. Organoide sind künstliche 3D-Miniorgane, die die reale Situation –beispielsweise im Darm – besser nachbilden als herkömmliche Zellkulturen.

Die Forscher fanden auch erste Hinweise auf den verstärkenden Mechanismus. „Mit hochleistungsmikroskopischer Bildgebung und hochempfindlichen Interaktionstests konnten wir nachweisen, dass das Spike-Protein von SARS-CoV-2 mit den IFITMs interagiert und diese ausnutzt, was den Virus-Eintritt fördert“, bringen Caterina Prelli Bozzo und Rayhane Nchioua, beide sind Erstautorinnen der Studie, die Ergebnisse auf den Punkt. Umgekehrt konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Infektion weit weniger effizient abläuft, wenn die Produktion dieser Membranproteine experimentell unterdrückt wird.

Blockierte IFITMs hemmen Infektion

Das unerwartete Ergebnis, dass IFITMs Kofaktoren einer effektiven SARS-CoV-2-Infektion sind, hat auch therapeutisches Potential. „Blockiert man die IFITMs mit Antikörpern, hemmt dies die Infektion menschlicher Lungen-, Herz- und Darmzellen“, berichten die Forschenden. Weiterhin hilft das Ergebnis zu erklären, wieso sich dieses Coronavirus so effizient ausbreiten kann: unter anderem indem es Interferon-induzierte Transmembranproteine, die normalerweise antiviral wirken, für eigene Zwecke missbraucht.
 

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