Aus den Kliniken

EHEC-Weltkongress VTEC 2012: Wissenschaftler und Kliniker von MFM und UKM ziehen Bilanz

11.05.2012 -

Ein Jahr nach dem großen EHEC-O104:H4-Ausbruch in Deutschland, bei dem Ärzte des Universitätsklinikums Münster (UKM) schwer erkrankte Patienten versorgten und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Münster (MFM) des Institutes für Hygiene am UKM maßgeblich an der Erregeridentifizierung und -charakterisierung beteiligt waren, ziehen Kliniker und Wissenschaftler Bilanz.

Das Team von Prof. Dr. Dr. h. c. Helge Karch war in dieser Woche mit 15 Beiträgen am EHEC-Weltkongress VTEC 2012 beteiligt. Der EHEC-Weltkongress repräsentiert die wichtigste Plattform, um neueste Forschungsergebnisse zu präsentieren und gemeinsam zu diskutieren.

Wissenschaftliche Highlights der VTEC 2012 waren:

  • 1. Beiträge zu dem in 2011 erfolgten großen EHEC O104:H4-Ausbruch in Deutschland

Von dem Team aus Münster wurde beobachtet, dass sich nach Ende der Epidemie der EHEC O104:H4-Ausbruchsstamm in seiner Virulenz abgeschwächt hat. Eine mögliche Erklärung ist eine evolutive Veränderung dieses Bakteriums, was sich z. B. in einem Plasmidverlust und dadurch in einer verringerten Anhaftung an das Darmepithel bemerkbar macht. Dies könnte erklären, weshalb O104:H4-Infizierte in 2012 bisher kein HUS entwickelt haben, obwohl dieser Erreger in Deutschland weiterhin bei menschlichen Trägern nachgewiesen wird. Diese Veränderungen sind ein Beispiel für das grundsätzliche Potential von EHEC, sich innerhalb kürzester Zeit für den Menschen nachteilig zu entwickeln. Verantwortlich dafür ist seine hohe genomische Variabilität, die beispielsweise auch zur ESBL-Antibiotikaresistenz geführt hat.

  • 2. Epidemiologische Studien, die die international vergleichsweise niedrige EHEC-Infektionsrate in Deutschland belegten

Deutschland rangiert mit ca. 1000 gemeldeten EHEC-Erkrankungen pro Jahr am untersten Ende der Skala der großen Industrienationen. Darüber hinaus wurde, gerade auch als Lehren aus dem vergangenen großen Ausbruch, das Gefahrenpotential von bislang wenig beachteten „EHEC-Minoritäten", d. h. seltenen EHEC-Subtypen, hervorgehoben und der hohe Forschungsbedarf für die Zukunft betont.

  • 3. Untersuchungen zur Analyse von genetischen Fingerabdrücken

In vielen Beiträgen wurde die Bedeutung einer zuverlässigen Diagnostik und Erregertypisierung aufgezeigt, um die Erregerausbreitung und Erregerveränderungen schneller zu erkennen. Hierbei wurden zunehmend DNA-sequenzbasierte Technologien eingesetzt, die allgemein als State-of-the-Art anerkannt wurden. Nationale Bakterienbibliotheken, wie sie bereits am Institut für Hygiene für Deutschland bestehen und auf die man in Ausbruchsfällen zum Vergleich zurückgreifen kann, wurden als unabdingbar bezeichnet.

  • 4. Studien über groß angelegte Impfungen von Rinderbeständen in den USA und Großbritannien

Amerikanische und britische Wissenschaftler berichteten über groß angelegte, viel versprechende Impfstudien, in der Rinderbestände, die als das wichtigste Reservoir für EHEC-Erreger angesehen werden, mit neu entwickelten EHEC-Impfstoffen behandelt wurden. Das Ziel bestand darin, die Tiere gegen EHEC zu immunisieren, um so die Ausscheidung von EHEC des Serotyps O157:H7 zu verringern. Dadurch könnte bereits auf der Stufe der Fleischproduktion die EHEC-Belastung von Rindfleisch drastisch reduziert werden („hygiene on the farm"). Diese Strategie hat zum Ziel, EHEC aus dem Darm von Rindern zu eliminieren und damit von vornherein eine Freisetzung in Form von Fäkalien in die Umwelt auszuschließen. Die entscheidende Frage, die intensiv diskutiert wurde, ist allerdings, wer die hohen Kosten für ein derartiges Impfprogramm übernimmt und ob all die verschiedenen EHEC-Varianten eliminiert werden.

  • 5. Erste Ergebnisse zu neuen humantherapeutischen Ansätzen mit monoklonalen Antikörpern gegen Shiga Toxine

In seinem Vortrag berichtete der kanadische Wissenschaftler Dr. Martin Bitzan über die neuesten Ergebnisse einer erfolgreichen klinischen Phase II-Studie in Südamerika (Argentinien, Chile, Peru), in der monoklonale Antikörper (ShigamapsTM) als viel versprechende Therapeutika eingesetzt wurden. In diesen Ländern ist die Prävalenz von EHEC-Infektionen sehr hoch. Zwei monoklonale Antikörper, die die von EHEC produzierten Shiga Toxine 1 und 2 neutralisieren können, zeigten eine sehr gute Verträglichkeit bei den behandelten Patienten. Das Ziel dieser Therapie besteht darin, die Antikörper präventiv bei EHEC-Durchfallerkrankungen einzusetzen, um so die Entwicklung eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) zu verhindern. Im Rahmen dieser Studie ist das Institut für Hygiene in Münster das zentrale EHEC-Diagnostiklabor, um eine Infektion sicher zu bestätigen. Eine klinische Phase III-Studie ist bereits in Vorbereitung.

  • 6. Ergebnisse aus Langzeitbeobachtungen an HUS-Patienten

Wer eine EHEC-HUS-Erkrankung überstanden hat, muss sich möglicherweise auf Folgeerkrankungen einstellen. Diesen Schluss legt zumindest eine Studie deutscher und österreichischer Forscher nahe, an der auch Helge Karch beteiligt ist. Fünf Jahre nach der Erkrankung entwickelten 30 Prozent der untersuchten Patienten eine oder mehrere Folgeerkrankungen. Zu den Langzeitauswirkungen zählten Bluthochdruck, verschiedene neurologische Symptome sowie eine erhöhte Eiweißausscheidung (Proteinurie) oder eine erhöhte glomeruläre Filtrationsrate (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22412065). Auf die Fälle der EHEC-Epidemie im vergangenen Sommer sind diese Ergebnisse jedoch nicht 1:1 anzuwenden. Denn die Studiendaten beziehen sich auf Kinder, die typischerweise von EHEC-Erkrankungen betroffen sind. Unter den HUS-Patienten war ein Kind welches sich 2001 mit EHEC O104:H4 (HUSEC 041) infiziert hatte. Dieses Kind hatte im Laufe der 5-Jahres-Untersuchung jedoch keinerlei Komplikationen entwickelt. Im vergangenen Jahr waren zudem überwiegend erwachsene Frauen betroffen. „Wir können daher nicht davon ausgehen, dass auch die Betroffenen aus 2011 bis zu einem Drittel Folgeerkrankungen entwickeln. Die Studie legt nahe, dass auch scheinbar vollständig genesene Patienten über einen Zeitraum von mehreren Jahren regelmäßig medizinisch überwacht werden sollten", unterstreicht Prof. Karch

Krankenversorgung am UKM

Die Ärzte des Universitätsklinikums Münster haben zahlreiche schwer erkrankte Patienten mit EHEC/HUS im letzten Jahr während des Ausbruchs versorgt. Die ersten Verdachtsfälle wurden am 24.05.2011 durch das Institut für Hygiene bestätigt; am 25.05.2011 wurde der exakte Erregertyp von Karch und Mitarbeitern identifiziert. In den darauf folgenden Tagen stieg die Anzahl der Patienten stetig an. Insgesamt wurden 30 Patienten mit EHEC/HUS am UKM behandelt.

Hierbei handelte es sich um 15 Erwachsene und 15 Kinder, die in der Medizinischen Klinik D (Prof. Hermann Pavenstädt) bzw. in der Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Kindernephrologie (Prof. Martin Konrad, Prof Heymut Omran) stationär betreut wurden. Die Patienten waren akut sehr schwer erkrankt. Viele Patienten mussten zum Teil über Wochen intensivmedizinisch behandelt werden. Der weitere Krankheitsverlauf war aber erfreulich, beinahe alle Patienten haben sich vollständig erholt.

„Nach den zum Teil sehr schweren Krankheitsverläufen ist das ein großer Erfolg. Heute wird der Gesundheitszustand auch in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten regelmäßig überprüft. Wir hoffen, dass dieser positive Verlauf auch in den kommenden Monaten und Jahren anhält", sagt Prof. Dr. Hermann Pavenstädt, Direktor der Klinik für Innere Medizin D. Seine Klinik ist an einem Register beteiligt, in dem die Daten von insgesamt 500 EHEC-HUS-Patienten analysiert werden.

Universitätsmedizin Münster

„Der EHEC-Ausbruch hat deutlich gemacht, wie wichtig eine gut funktionierende Zusammenarbeit von Krankenversorgung und Forschung ist. Ich freue mich, dass der Gesundheitszustand unserer Patienten dank der ausgezeichneten Versorgung heute so positiv zu bewerten ist und die ausgezeichnete Forschungsarbeit von Prof. Karch und seinem Team weltweit anerkannt ist. Beides zeugt von der Leistungsfähigkeit des UKM und der Medizinischen Fakultät Münster und dem Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", lobt Prof. Dr. Norbert Roeder, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM, die Arbeit der Teams.

Der Dekan der Medizinischen Fakultät Münster, Prof. Dr. Wilhelm Schmitz, betont, dass die schnelle Übertragung neuester Forschungsergebnisse in die Krankenversorgung (so genannte Translationale Forschung) praktisch noch am selben Tag, eine große Herausforderung für Universitätsklinika darstelle. „Die weltweit hoch ankerkannte Forschung von Prof. Helge Karch und seine interdisziplinäre Vernetzung mit Forschern und Ärzten ist ein Paradebeispiel für den Erfolg der Strategie der translationalen Forschung, in die die Universitätsmedizin in Münster seit mehreren Jahren zunehmend auch auf anderen Feldern als der Infektionsforschung investiert", so Prof. Schmitz.

 

Kontakt

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