Ein nonverbales Kommunikationsmittel
Farbe im Seniorenheim: Anknüpfen an fest verankerte Ur-Assoziationen
Als größte sichtbare Oberfläche jedes Gegenstandes ist die Farbe bewusst oder unbewusst ein dauerhaftes Mittel der Kommunkation mit dem Betrachter. Seine Wirkung kann man sich zur Unterstützung einer Raumwirkung zunutze machen. In einem zweiteiligen Beitrag für medAmbiente befasst sich die Farbdesignerin und Interior-Designerin Sonja I. Graeff-Schimmelpfennig mit dem Einsatz von Farbe – im folgenden ersten Teil geht es um die allgemeine Farbwirkung im Raum, an Boden, Wand und Decke.
Oft ist der Aufenthalt zu Hause aus verschiedenen Gründen nicht mehr möglich. Ob der Mensch geistig abgebaut hat, er sich nicht mehr versorgen kann, die Familie nicht in der Nähe ist, oder Beruf und Pflege für die Angehörigen zur Belastung werden. Sicher ist das Pflegeheim für viele der „letzte Ausweg“ – und für die meisten sicherlich die letzte Station ihres Lebens. Doch es ist auch oft eine Erleichterung für die Angehörigen, das Familienmitglied in sicheren Händen zu wissen. Oft werden mit diesem Schritt die Menschen auch aus einer gewissen sozialen Isolation gerettet.
Um diesen Schritt so positiv wie möglich zu gestalten, sollte auch das Heim die Aspekte des Wohnens so weit wie möglich widerspiegeln. Der Bewohner – als Mensch, das Zentrum meines Denkens – ist der Leitfaden, der eine gute Planung leiten sollte. Sein Umfeld ist sein Dienstleister.
Für die Gestaltung eines Umfelds müssen alle Faktoren berücksichtigt und in eine Konzeption mit einbezogen werden. Boden-, Wand-, Deckengestaltung in Material und Farbe, sowie Innenarchitektur, sprich Raumplanung, Zonierung von Lebensbereichen, Führung von Bewegungsabläufen, technische Hilfen und wichtige Akzente. Nur so ist eine homogene und schlüssige, in gewissem Sinne „ganzheitliche“ Gestaltung möglich.
Ohne Aussage keine Kommunikation
Für ein schlüssiges und nach außen gut lesbares Farbkonzept muss man erst einmal eine Kernaussage formulieren. Um diese zu finden, wähle ich für ein Seniorenheim eine analytische Vorgehensweise. Einem gelungenen Ergebnis geht eine gründliche Recherche voran. Ebenso ist fundiertes Wissen über Besonderheiten der Menschen, die einen Raum bewohnen, unabdingbar für eine wirkungsvolle Gestaltung des Lebensumfeldes im geschlossenen Raum.
Ein erster Ausgangspunkt: Der Bewohner, als entwurzelter Mensch, braucht Geborgenheit, um sein neues Umfeld anzunehmen und sich der Pflege zu öffnen. Orientierung ist eines der wichtigsten Merkmale großer Gebäude – besonders im Gesundheitswesen und der Pflege, wo kurze Wege, Sicherheitsbedürfnis und Wohlbefinden für den Bewohner an erster Stelle stehen. Das gilt besonders nach dem Umzug aus einem kleinen Zuhause in ein großes Heim.
Als nächstes ist das Pflegepersonal zu betrachten, welches schnell und möglichst uneingeschränkt seine essenzielle Arbeit am Bewohner ausüben muss. Ferner ist ein gutes Farbkonzept auch eine Visitenkarte des Gebäudes und gibt dem Besucher, der seine Angehörigen besucht, einen schnellen und umfassenden positiven Eindruck.
Abwechslung im Alltag ist der nächste, nicht minder zu berücksichtigendem Parameter. Sie ist für die Genesung und das Wohl des Bewohners von großer Bedeutung, steigert das Behagen in hohem Maße und ist lebensbejahend.
Verankerte Assoziationen
Die Wirkung von Umwelt und Farbe auf Pflegeheimbewohner ist schwer bzw. gar nicht in einer Studie nachzuweisen, da sich die Befragung sehr schwierig gestaltet, besonders bei an Demenz erkrankten Patienten. Durch meine jahrelange Arbeit als Farbdesignerin und als Leiterin von wöchentlichen Malangeboten mit mehreren Bewohnergruppen eines Pflegeheims, auch mit Demenzpatienten, konnte ich die Reaktionen der verschiedenen Bewohner in unterschiedlichen Wohnsituationen und Farbszenarien beobachten und analysieren. Die daraus gewonnen Ergebnisse habe ich wiederum bei der Gestaltung des Heims, in dem ich arbeite, umgesetzt, um die Bewohner besser zu erreichen.
Eines der wesentlichen Dinge, die mir aufgefallen sind, ist die Verankerung bestimmter Assoziationen bis zuletzt im Kopf des Menschen. Grün für Gras, Blau für Himmel und Meer, Gelb für Sonne etc. Die ganz einfachen Dinge die wir zu allererst lernen, sind die letzten, die sich aus dem Kopf wieder lösen, sofern der Mensch noch die körperliche Fähigkeit besitzt diese Farben zu erkennen. Dieses Wissen kann man sich für die Wahl der Akzentfarben, mit denen man bestimmte Dinge unterstreicht, zunutze machen, um die Aussage eines Farbkonzepts abzurunden oder zu unterstreichen.
Konzept für Seniorenheim mit Demenz-Schwerpunkt
Für ein Stuttgarter Seniorenheim mit Schwerpunkt Demenz habe ich die Ergebnisse meiner Studien in einem Farbkonzept umgesetzt, das im laufenden Betrieb nach und nach umgesetzt wird. Es bezieht sich auf die Gemeinschaftsflächen wie Flure und Aufenthaltsräume in einem sechs Etagen hohen Gebäude mit 15 Meter langen Fluren. Nach Analyse des Ist-Zustands und der Ziele des Hauses entschied ich mich für das eben beschriebene, an Urassoziationen gebundene Farbkonzept. Jede Etage erhält ein eigenes Thema, welches durch Farbakzente und Dekorationen unterstrichen wird.
Dieses Konzept dient lediglich der Wiedererkennung der eigenen Etage. Grundsätzlich habe ich in jedem einzelnen Bereich jedoch die Funktion des Raumes an sich unterstrichen und ein dazugehörendes Raumklima erzeugt. Dies geschieht durch die Wahl der Haupt- und der Nebenfarbe. Basierend auf der Funktion des Raumes wird eine bestimmte Aussage formuliert: Aktivierung im Flur, Wohnlichkeit und Rückzug im eigenen Zimmer, sanfte Aktivierung im Gemeinschaftsraum etc.
Entsprechend der Aufenthaltsdauer in einem Raum müssen wir auch die Stärke der Farbklaviatur wählen. Eine starke aktivierende Komposition ist für kurzweilige Aufenthalte als Abwechslung optimal, für Aufenthaltsräume, in denen sich der Bewohner länger aufhält, jedoch sehr belastend für das Auge. Dort ist eine ruhigere Farbsymphonie eine ideale Umgebung.
Raumklima: Boden und Wände
Die Flächen, mit denen wir das Raumklima gestalten, sind der Boden, als größte Fläche und die Wände als zweitgrößte Flächen. Die Bodenfarbe sollte zur Wand und zur Decke etwa in einem Helligkeitsverhältnis von 3:2:1 stehen, um dem Bewohner die nötige Erdung zu geben, die er für ein sicheres Gehgefühl benötigt. Da die Sehfähigkeit der Bewohner einen hohen Helligkeitsbedarf hat, um seine Sehschwäche auszugleichen, sollte der Boden jedoch nicht zu dunkel sein, um nicht zu viel Licht im Raum zu schlucken.
Bei Farb- oder Materialwechseln am Boden zwischen zwei Räumen muss auf einen ähnlichen Hellbezugswert geachtet werden, um nicht das Gefühl einer Stufe zu erzeugen. Dadurch würde der Bewohner seinen Schritt anders setzten und gegebenenfalls stürzen. Ebenso ist der Blendfaktor zu berücksichtigen. Ein zu glänzender Boden ist blendend für den Bewohner, kann daher stark verunsichernd wirken und im schlimmsten Fall zu Stürzen führen.
Letzter Schritt: Wahl der Farben
Eine erdende Farbe am Boden beispielsweise kommt dem Bewohner entgegen und gibt ihm Halt unter den Füssen. Der Trend der Holzoptik kommt dem sehr entgegen. Auch wenn man in einem Seniorenheim nicht unbedingt den optischen Trends folgt, so sind doch gut entwickelte Oberflächen, die sich immer mehr den Anforderungen der Hygiene und Anmutung etc. anpassen, willkommene Dienstleister in der Innenarchitektur.
In der Wandgestaltung kann man mit Pastellfarben für die größeren Flächen und Akzentfarben für die kleinen Flächen arbeiten. Die Pastelltöne erzeugen das Raumklima, die Geborgenheit, das Wohlfühlambiente; die Akzentfarbe gibt Orientierung und tätigt eine wichtige Aussage in der Farb-Kommunikation. Sie können z. B. besondere Bereiche, wie einen Eingang oder die Lage des Gemeinschaftsraumes schon vom Flur aus signalisieren. Es wird eine Sogwirkung erzeugt und diese hilft dem Bewohner sich zurecht zu finden bzw. dahin zu kommen, wo er hinmöchte. „Hier kenne ich mich aus. Hier gehöre ich hin!“
Ein bestimmter Klang
Welche Farben ich konkret wähle, hängt von dem Ergebnis ab, das ich erreichen möchte.
Grundsätzlich gilt, dass warme Farben anregend und entgegenkommend sind und kühle weitend und kühlend, bzw. beruhigend. Bei der Farbwahl geht es jedoch in erster Linie um eine ausgewogene Gesamtkomposition mit einem bestimmten Klang. Dazu muss sie kühle und warme, gesättigte und ungesättigte, helle und dunkle sowie polare, bzw. komplementäre Töne enthalten.
Zu viel von einer Sache ergibt entweder eine monotone oder eine zu starke Wirkung. So ergeben verschiedene helle, dunkle, kräftige und gebrochene Blau- und Türkistöne im Wandbereich eine frische und freundliche Klaviatur zum Thema Meer und Himmel. Dazu runden ein warmer Terrakotta-Boden und Holzmöbel mit warmer Erdung das Gesamtbild ab.
Dasselbe gilt für Grüntöne: moosiges bis helles frisches oder glasiges Grün mit dunkelgrünen Akzenten ist eine wunderbare Komposition, die an einen Wiesentag erinnert. Dazu passen auch Terrakotta oder ein warmer Holzboden.
Für das Fine-Tuning hilft es oft, sich die Zeit zu nehmen, nicht die einzelnen Farben, sondern die Wirkung aller Farben aufeinander in den einzelnen, wie auch in den aufeinander folgenden Räumen vorzustellen.
Kontakt
Pigmentatelier: Graeff-Schimmelpfennig
Martin-Luther-Str. 96
70372 Stuttgart
Deutschland
0711-46996606