Einsatz von generativer KI in der Radiologie
20.03.2024
- In einer wachsenden Zahl medizinischer Bereiche hat KI bereits Einzug gehalten und unterstützt Mediziner bei der Datenanalyse und bei Diagnosen.
Während der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zuerst vornehmlich darauf abzielte vorhandene Daten zu analysieren und zu verarbeiten, konzentriert sich die generative KI nun darauf neue Daten und Ergebnisse zu generieren. Über den Status quo und die Herausforderungen in diesem Bereich berichtet Florian Reinhold, Leiter des Produktmarketings für KI im Bereich Digital und Automation bei Siemens Healthineers.
M&K: Welche Vorteile bietet der Einsatz von generativen KI-Modellen der Radiologie und wo sind diese bereits im Einsatz?
Florian Reinhold: Was wir hauptsächlich feststellen ist, dass viele Kunden zu uns kommen und sagen, sie haben auf verschiedenen Ebenen eine Schwierigkeit und brauchen Unterstützung. Zum Beispiel gibt es immer weniger Fachkräfte. Das Thema Fachkräftemangel ist ein massives Thema, das viele unserer Kunden beschäftigt und nicht nur die Radiologen, sondern zum Beispiel auch die MTAs, die die Geräte bedienen. Das Thema betrifft die gesamte Wertschöpfungskette und geht natürlich auch über die Radiologie hinaus. Unsere Kunden wissen, dass es schon Automatisierungsfunktionalitäten gibt, sie sagen aber diese reichen nicht aus. Die Kunden wünschen sich Hilfe in der digitalen Transformation. Die vorhandenen Daten sollen aufbereitet und in einem effizienten Wege zur Verfügung gestellt sein.
Einer unserer Kollaborationskunde aus Essen verfügt über sehr große Datenmengen für seine Onkologiepatienten. Diese Informationen, die erhoben werden, wie Laborwertanalysen oder Pathologiedaten, müssen optimiert analysiert werden, um dann Rückschlüsse schließen zu können auf die nächsten Schritte. Nur Daten zu sammeln reicht nicht, man muss sie nutzbar machen. In der Nutzbarmachung sehen wir einen der größten Vorteile von generativer KI: Sie hilft, diese Datenmengen zu durchsuchen, sie aufzubereiten und in einer Art und Weise bereitzustellen, wie der Kunde es benötigt.
Wir wollen auch noch einen Schritt weiter gehen und die großen Datenmengen prüfen, analysieren, aufbereiten und diese dann so optimieren, dass sie patientenspezifisch sind. Ein Beispiel wären die Scan-Protokolle für die Computertomographie. Also die Frage, ob ein Patient eine Kontrastmittelallergie hat. Dies könnte durch die Analyse der historischen Patientendaten automatisch gemacht werden und ein bestimmtes Scanprotokoll gewählt werden. Auf die Größe des Patienten wird die Strahlung angepasst und so weiter. Das fällt in den Bereich, in dem wir MTAs entlasten wollen, die normalerweise manuell die Protokolle auswählen.
Momentan gibt es das noch nicht als klinisch nutzbares Tool, aber es ist unsere Vision, dies vollautomatisiert dem Kunden zur Verfügung zu stellen, sodass er sich mehr auf die Patienten konzentrieren kann.
Wie profitieren die Mediziner davon, wie die Patienten?
Reinhold: Medizinersollen entlastet werden, damit sie mehr Zeit für die Patienten haben. Und wir gehen davon aus, dass den Patienten damit eine individualisierte Medizin zur Verfügung steht. Wir erwarten, dass die gesamte Wertschöpfungskette profitiert. Am Ende steht die Kommunikation zu den jeweiligen Zuweisern oder zu den Patienten. Unsere Vorstellung ist, dass, während sich der Radiologe die Bilder ansieht, ein Vorbefund erstellt wird, den der Radiologe gegebenenfalls noch erweitert und gleichzeitig ein Befund für den Patienten erstellt wird, den der Zuweiser bzw. der Patient leichter versteht, sodass er dann besser auch in den Behandlungsprozess eingebunden ist.
Welche ethischen Überlegungen sollten bei der Entwicklung und dem Einsatz generativer KI-Modelle eine Rolle spielen?
Reinhold: Das sind im Prinzip dieselben, wie bei bildbasierten KI. Man muss gewährleisten, dass man eine Patientenkohorte hat, die nicht nur einem einzigen Patientenbild entspricht. Dazu arbeiten wir bei der Ausformulierung, der Programmierung und dem Training der Algorithmen immer mit Kollaborationskunden aus verschiedenen Ländern zusammen.
Was muss noch entwickelt werden, um generative KI-Modelle in der klinischen Routine einzusetzen?
Reinhold: Man sieht bei allen Modellen, dass sie bisher nicht hundertprozentig zuverlässig sind. Bei der bildbasierten KI sind wir schon ganz gut, aber bei der generativen KI können Halluzinationen entstehen. Das sind Fehler, bei denen etwas nicht zusammenpasst. Derartige Fehler muss man natürlich so gering wie möglich halten. Daran arbeiten bei uns zurzeit verschiedene Gruppen.
Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für den Einsatz generativer KI, was erwarten Sie für das Arbeitsfeld der Radiologen?
Reinhold: Wir sehen vier Anwendungsfelder für den Einsatz generativer KI entlang der Wertschöpfungskette im Krankenhaus bzw. beim Radiologen.
Im ersten Bereich geht es darum, wie man die Patientenhistorie am effizientesten zusammenfassen kann, sodass derjenige, der mit dem System dann arbeitet, interagieren kann. Das betrifft die Frage, gibt es irgendwelche wichtigen Informationen, die ich für den nächsten Arbeitsschritt brauche? Gibt es zum Beispiel irgendwelche Allergien des Patienten? Da müssen die verschiedensten Datentypen miteinander kombiniert und verarbeitet werden. Wir wollen keine Silos im Krankenhaus abbilden, sondern die Daten über den gesamten Patientenpfad verfügbar machen, sodass jeder in dem Schritt die Informationen bekommt, die er benötigt.
Der zweite Bereich betrifft die bildgebenden Untersuchungen, also Röntgenuntersuchung, Computertomographie oder MR-Untersuchung. Die Parameter, die bei der Patientenhistorie gefunden wurden, sollen personalisiert auf die Protokolle der jeweiligen Scanner angepasst werden. Weil sie nicht generisch erzeugt werden, sondern wirklich personalisiert auf den Patienten zugeschnitten sind, können so die besten Ergebnisse erzielt werden.
Der dritte Anwendungsbereich für den Einsatz generativer KI ist die Unterstützung des Radiologen beim Lesen und Befunden der Bilder. Das würde bedeuten, dass Ergebnisse der bildbasierte KI, Informationen die aus der Patientenhistorie und was man in der Untersuchung gefunden hat, ein Befundvorschlag erstellt wird, die der Radiologe dann abzeichnet oder ggf. etwas hinzufügt.
Der vierte Bereich ist die Kommunikation zum Patienten und den Zuweisern. Wichtig wäre, verständliche Dokumente zu erstellen. Ein Patientenchat wäre hier eine weitere Möglichkeit zum Austausch.
Zur Person
Florian Reinhold leitet bei Siemens Healthineers das globale Produktmarketing für den Geschäftsbereich Digital & Automation, welcher sich mit Lösungen für die Digitalisierung der Gesundheitssysteme weltweit beschäftigt. Reinhold kam im Jahr 2007 zur Medizintechniksparte von Siemens und hatte dort zunächst im Softwaregeschäft verschiedene Positionen in den Bereichen Beratung, Projektmanagement und Marketing in Österreich und Deutschland inne. 2015 übernahm er die Rolle des Produktmanagers für Röntgen- und Fluoroskopiesysteme im zuständigen Geschäftsbereich X-Ray Products. Im Jahr 2019 wechselte Reinhold zurück in den Digitalbereich und verantwortete dort verschiedene Marketingthemen, bis er schließlich die Leitungsposition für das globale Produktmarketing übernahm.
Autor: Dr. Jutta Jessen, Weinheim