Entlassmanagement – Was passiert nach dem Krankenhausaufenthalt?
07.11.2022
- Seit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Kranken-versicherung (GKV-VSG) haben gesetzlich versicherte Patienten einen Anspruch auf ein Entlassmanagement.
Die im Oktober 2017 gestartete gesetzliche Regelung zielt darauf, eine lückenlose Versorgung der Versicherten im Übergang von und nach der Krankenhausbehandlung zu gewährleisten. Nach fast fünf Jahren ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in Berlin.
M&K: Das Entlassmanagement soll für eine kontinuierliche Versorgung sorgen, die Patienten und ihre Angehörigen entlasten und den Austausch zwischen den beteiligten Versorgungsbereichen optimieren. Was braucht es im Jahr 2022 ganz allgemein, damit dies gelingt? Welche Hürden gilt es dafür zu überwinden?
Prof. Dr. Henriette Neumeyer: Seit Inkrafttreten des Rahmenvertrages haben die Krankenhäuser insbesondere durch Standardisierungen die internen Strukturen im Krankenhaus stetig weiterentwickelt, um die bedarfsgerechte, kontinuierliche Versorgung der Patienten im Anschluss an die Krankenhausbehandlung zu sichern. Elementare Aspekte eines effizienten Entlassmanagements sind Kommunikation und Information, sowohl krankenhausintern als auch sektorübergreifend. Hierfür bedarf es jedoch digitaler Lösungen. Einerseits müssen die am Entlassmanagement beteiligten Personen im Krankenhaus zeitgleich Zugriff auf erforderliche Daten haben. Andererseits muss eine zeitnahe Kommunikation mit Kostenträgern, Nachsorgeeinrichtungen und dem niedergelassenen Bereich gewährleistet sein. Eine häufige Rückmeldung aus den Krankenhäusern hierzu ist mangelhafte Erreichbarkeit und Genehmigungsdauer auf Seiten der Kostenträger. Die Kommunikation mit den Krankenkassen erfolgt derzeit vielfach noch über zentrale Fax-Nummern. Hierdurch kann sich die Bearbeitungszeit verlängern.
Die neu eingeführte Möglichkeit der Übergangspflege im Krankenhaus hat den bürokratischen Aufwand im Rahmen des Entlassmanagement nochmals gesteigert. Optimierung im Entlassmanagement geht zum großen Teil mit Digitalisierung von Behandlungsabläufen einher. Die Verringerung von Bürokratie gehört jedoch besonders mit Blick auf die Belastung des Krankenhauspersonals dazu. Auch hier kann Digitalisierung unterstützen und Bürokratie vermeiden helfen, z. B. bei der Erfassung von Informationen zu Dokumentationszwecken oder der automatisierten Übermittlung strukturierter Informationen an weiterbehandelnde Stellen. Das löst zudem manuelle Prozesse ab.
Welche Rolle spielt das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) m Rahmen des Entlassmanagements?
Neumeyer: Entlassmanagement ist mit erheblichem personellem Aufwand verbunden. Die Suche nach den für Patienten passenden Einrichtungen oder ambulanten Diensten gestaltet sich für die Mitarbeiter im Krankenhaus in der Regel sehr zeitintensiv. Die Anforderungen des KHZG sollen den Austausch zwischen den Versorgungsbereichen weiter verbessern, sowohl durch Standardisierung als auch durch die verpflichtende Umsetzung entsprechender Muss-Anforderungen. Zu diesen Anforderungen gehören u.a. ein strukturierter Datenaustausch zwischen Leistungserbringern und die Bereitstellung von Dokumenten auf Basis anerkannter Standards an nachgelagerte Leistungserbringer, wie z. B. im Hinblick auf notwendige Kontrolluntersuchungen oder Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit. Durch das KHZG wird der Digitalisierungsprozess vorangetrieben. Dabei können aktuelle Entwicklungen diesen Prozess weiter unterstützen, wie z. B. der von DKG und Kassenärztlicher Bundesvereinigung gemeinsam entwickelte Krankenhaus-Entlassbrief als Medizinisches Informationsobjekt (MIO).
Insellösung oder integrierte Plattform? Welche Antwort gibt die DKG auf diese Gretchenfrage bei der Wahl einer digitalen Lösung für das Entlassmanagement?
Neumeyer: Die Richtung hier ist eindeutig: Je stärker Behandlungsabläufe digitalisiert werden, umso wichtiger wird es, die medizinischen Behandlungsdaten von ihrer Entstehung an in standardisierter Form zur Verfügung zu stellen. Alle beteiligten Software-Systeme müssen hier quasi die gleiche Sprache sprechen, damit die Nutzer schnell und verlässlich die Informationen zu ihren Patienten in der gewohnten Bedienoberfläche sehen. Insellösungen helfen auf Dauer nicht weiter. Eine integrierte Plattform kann hier ihre Stärken ausspielen, insbesondere bei der Datenbereitstellung an den externen Schnittstellen, die im Entlassmanagement von zentraler Bedeutung sind. Nicht zuletzt hat der Gesetzgeber die Einrichtung entsprechender Systeme im Entlass- und Überleitungsmanagement gefordert. Auf Basis einer digitalen Plattform innerhalb eines Netzwerkes von ambulanten und stationären Pflege- oder Rehabilitationsanbietern muss es Mitarbeitern der Klinik möglich sein, den Versorgungsbedarf ihrer Patienten melden zu können und mit Hilfe der digitalen Plattform innerhalb eines Netzwerkes zeitnah Rückmeldung hinsichtlich passender freier Kapazitäten zu erhalten. Diese Anforderung ist im Übrigen als Muss-Anforderung nach derzeitigem Stand ein sanktionsbewehrter Tatbestand des KHZG.
Eine zentrale Herausforderung in der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist ja die intersektorale Kommunikation. Wie sehr spielt sie beim Entlassmanagement eine Rolle und inwieweit hat sich der Austausch zwischen den beteiligten Versorgungsbereichen verbessert, was muss noch geschehen?
Neumeyer: Wenn Patienten im Anschluss an die stationäre Versorgung in die Nachbehandlung durch den niedergelassenen Bereich oder in Pflege- und Reha-Einrichtungen wechseln, müssen ihre Daten begleitend zur Verfügung stehen. Und dies in einer Form, die den Weiterbehandelnden eine nahtlose Datenübernahme der benötigten Informationen ermöglicht. Dafür braucht es einerseits die Unterstützung entsprechender Standards. Wichtig ist aber auch, dass in den Krankenhäusern Prozesse etabliert sind, die eine Bereitstellung dieser Daten in elektronischer Form im Rahmen des Entlassmanagements ermöglichen. Im Bereich der Standardisierung sehen wir eine Entwicklung, die nicht zuletzt durch das KHZG forciert wird. Im Rahmen der Anschlussrehabilitation entwickeln DKG und GKV-Spitzenverband ein Verfahren, um den aktuell noch über PDF-Dokumente laufenden Prozess der Beantragung mittels einer strukturieren Datenübermittlung abzulösen und den Beantragungsprozess so weiter zu digitalisieren. Dies kommt den Patienten zugute, letztlich jedoch auch den Kliniken, wenn die Entlassung nicht mehr an der Frage einer noch nicht bewilligten Reha-Maßnahme scheitert. Wichtig ist es, im Blick zu behalten, dass es um ein Zusammenwirken für die lückenlose Versorgung der Patienten geht. Da müssen den Mitarbeitenden an den intersektoralen Schnittstellen die richtigen Informationen zur Verfügung stehen, um Handlungsbedarfe für die Patienten frühzeitig zu erkennen.
Welche Rolle spielen DiGAs im Entlassmanagement?
Neumeyer: Digitale Gesundheitsanwendungen sind ein Thema, das grundsätzlich Potenzial hat. Sie können grundsätzlich im Rahmen des Entlassmanagements für die Versorgung in einem eingeschränkten Zeitraum verordnet werden, soweit dies für die unmittelbar im Anschluss an die Krankenhausbehandlung folgende Versorgung von Patienten notwendig ist. Der Rahmenvertrag Entlassmanagement wurde unlängst hinsichtlich dieser Verordnungsmöglichkeit angepasst. Wir sehen, dass dies auch ein spannender Raum für innovative Start-Ups ist, die z. B. in der OP-Nachsorge Patienten digitale Hilfsangebote machen wollen. Aufgrund der derzeit begrenzten Anzahl der in Frage kommenden DiGAs und der geltenden Voraussetzungen für eine Verordnung kommt den DiGAs aber (noch) keine wesentliche Bedeutung im Entlassmanagement zu.
Was empfiehlt die DKG kleinen und großen Häusern für das Entlassmanagement?
Neumeyer: Die Anforderungen an das Entlassmanagement sind in den letzten fünf Jahren gewachsen. Um diese und die kommenden Veränderungen im Interesse der Patienten umsetzen zu können, empfehlen sich digitale Lösungen, um einen erforderlichen Datenaustausch mit Nachversorgern zu gewährleisten. Der Fokus muss immer auf die bestmögliche Anschlussversorgung der Patienten gerichtet sein – aber auch für die Mitarbeitenden muss der Prozess so einfach wie möglich gehalten sein. Hierfür müssen kleine und große Krankenhäuser in der Lage sein, medizinische Behandlungsdaten in standardisierter Form auszutauschen und zeitnah Informationen zu z. B. freien Kapazitäten zu erhalten. Klar ist aber auch, dass der Schwenk hin zu digitalen Lösungen gerade in der Übergangszeit doppelten Aufwand und auch Mehrkosten erzeugen wird. Und einmal aufgebaute Strukturen müssen sich auch über die Förderung des KHZG hinaus tragen. Gänzlich unbeantwortet ist dabei heute allerdings noch die Betriebskostenfinanzierung der über das KHZG geförderten Projekte über das Ende der Förderung hinaus. Der Illusion, dass sich durch Digitalisierung so viele Mittel einsparen ließen, dass sich diese – für viele Krankenhäuser neuen – Projekte quasi von alleine refinanzieren, sollte man nicht erliegen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, eine dauerhaft tragfähige Abbildung der Digitalisierungskosten in den Krankenhäusern zu etablieren.
Autor: Arno Laxy, München